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G20-Gipfel in Hamburg
"Es geht nicht um Hilfe, sondern um Selbsthilfe"

Der Linken-Politiker Jan van Aken beklagt ein zu hartes Vorgehen der Polizei gegen Demonstranten beim G20-Gipfel in Hamburg. Dabei würden Grundrechte ausgehebelt, sagte er im Dlf. Er kritisierte zudem das G20-Format als grundsätzlich falsch. 19 "selbstermächtigte" Länder bereicherten sich dabei selbst.

Jan van Aken im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Jan van Aken, außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion
    Jan van Aken, außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion (imago/Müller-Stauffenberg)
    Mit Blick auf das Vorgehen der Polizei bei einem geplanten Protestcamp im Elbpark Entenwerder sagte van Aken, es ginge nur darum, "harte Hand zu zeigen". Dabei sei man über das Ziel hinausgeschossen. Nicht mal unter der Ägide von Hamburgs Ex-Innensenator Ronald Schill sei so hart vorgegangen worden. "Und jetzt marschieren Grüne und SPD vorneweg." Er warf Bundesinnenminister Thomas de Maizière vor, die Situation mit seiner Äußerung, "Gewalt im Keim zu ersticken", zu eskalieren.
    Van Aken begrüßte zwar, dass bei dem Gipfel über wichtige Dinge miteinander gesprochen werde - allerdings entschieden dabei 19 Länder über den "Rest der Welt". Er kritisierte etwa, dass nur ein afrikanisches Land eingeladen sei, obwohl über eine Initiative für Afrika beraten werde. Der Gipfel finde nur statt, damit der Norden der Welt sich an den afrikanischen Ländern bereichern könne.

    Das Interview mit Jan van Aken in voller Länge.
    Tobias Armbrüster: Es ist eine regelrechte Mammut-Aufgabe für die Sicherheitsbehörden, der G20-Gipfel am Freitag und Samstag in Hamburg. Mehr als 20.000 Polizisten sind deshalb in dieser Woche in der Stadt im Einsatz. Sie haben gestern schon mal durchgegriffen und ein Protestcamp geräumt. Es war ein kleiner Vorgeschmack auf weitere Demonstrationen, die wir in dieser Woche in Hamburg erleben könnten. Ich habe darüber vor etwa einer Stunde mit dem Hamburger Bundestagsabgeordneten Jan van Aken gesprochen, dem außenpolitischen Sprecher der Linkspartei. – Schönen guten Morgen.
    Jan van Aken: Einen schönen guten Morgen.
    Armbrüster: Herr van Aken, Sie sind selbst Hamburger. Wir erreichen Sie heute Morgen in Hamburg. Was bekommen Sie mit von den Vorbereitungen für das kommende Wochenende?
    van Aken: Leider viel zu viel. Wir hatten gestern wirklich einen heißen Tag hier in Hamburg. Erst gab es diesen wunderbaren Auftakt mit der sogenannten Protestwelle, eine sehr große Demonstration auf der Alster, in der Stadt, und dann ganz unschöne Bilder. Heute Nacht ist ein Camp zum Teil geräumt worden von der Polizei mit relativ viel Gewalt, Pfefferspray, obwohl dieses Camp vom Gericht genehmigt worden ist. Ich bin tatsächlich immer noch ein bisschen erschrocken, wie hier tatsächlich Gerichte für solche Proteste entscheiden und dann die Polizei sich einfach über Gerichtsentscheidungen hinwegsetzt. Das habe ich noch gar nicht richtig verdaut.
    Schlafzeit oder kein Schlafzelt?
    Armbrüster: Wobei allerdings bei diesem Camp immer noch die Frage offen bleibt, ob es tatsächlich genehmigt war, auch dafür, dass Demonstranten dort übernachten, oder?
    van Aken: Erst mal ist das natürlich eine ganz schwierige Frage: Woran erkennen Sie an einem Zelt, ob das ein Schlafzelt ist oder kein Schlafzelt ist? Und es ging stundenlang so, dass die Polizei überhaupt niemanden auf die Wiese gelassen hat, und das, nachdem gerade dieses Verwaltungsgerichtsurteil war, und das finde ich schon ein bisschen hart. Wir leben in einem Rechtsstaat. In einem Rechtsstaat entscheiden Gerichte und nicht die Polizei über das, was passiert.
    Kleine bunte Zelte stehen auf dem Rathausmarkt in Hamburg. Dahinter eine Reihe von Polizisten
    Von Gerichten genehmigt, von Polizisten geräumt: eine Demonstration gegen das Campverbot in Hamburg (imago/ Manngold)
    Und ich muss sagen: Das was der Hamburger Senat jetzt hier gerade macht, auch mit dem flächendeckenden Demonstrationsverbot, an ganz vielen Punkten geht es immer nur darum, harte Hand zu zeigen und über das Ziel hinauszuschießen, auch über die Gerichte hinauszuschießen, das finde ich im Moment einen wirklich massiven Angriff auf unsere Grundrechte hier.
    "Sie müssen doch deeskalieren!"
    Armbrüster: Thomas de Maizière, der Innenminister, hält dagegen und er sagt, Gewalt muss im Keim erstickt werden. Ist das die korrekte Marschrichtung für die 21.000 Polizisten, die wir dort in dieser Woche in Hamburg erwarten können?
    van Aken: Finden Sie die Wortwahl nicht auch schon ein bisschen erschreckend, im Keim ersticken? Ich habe überhaupt gar kein Problem damit, dass die Polizei sich auf verschiedene Szenarien vorbereitet, aber dafür gleich Grundrechte auszuhebeln, zwei Tage ein flächendeckendes Demonstrationsverbot auf 38 Quadratkilometern, das hat es in Hamburg noch nie gegeben, noch nicht mal unter der Schill-Partei damals. Aber jetzt marschieren Grüne und SPD vorweg und de Maizière heizt die Stimmung noch an. Mein Gefühl ist viel mehr: Wenn sie wollen, dass es eine gute Woche wird im Sinne von viele, viele Zehntausend protestieren bunt gegen den G20-Gipfel, dann müssen sie doch deeskalieren, und de Maizière eskaliert im Moment.
    Armbrüster: Aber wir leben ja auch in etwas anderen Zeiten als zur Schill-Partei: Terrorwarnungen aller Orten. Da muss ja die Polizei, da müssen auch die Sicherheitsbehörden drauf eingehen.
    van Aken: Das finde ich völlig richtig. Auch wir als die, die Proteste organisieren, machen uns Gedanken um mögliche Terroranschläge. Wir bereiten uns auch auf verschiedene Szenarien vor. Das ist ja völlig richtig. Aber ich bitte Sie: Ein paar Zelte auf einer Wiese am Stadtrand abzuräumen, stundenlang Verwaltungsgerichtsurteile einfach zu missachten, was hat das mit Terrorgefahr zu tun.
    Keine Wildwestmethoden, nur weil ein Cowboy kommt
    Armbrüster: Wie würden Sie denn dann die Polizeiarbeit organisieren, wenn Sie es zu tun hätten mit 20 Staatsoberhäuptern, viele von ihnen ja durchaus umstritten und man kann sie wahrscheinlich durchaus als Anschlagsziele von Terroristen einstufen? Was würden Sie machen?
    van Aken: Völlig richtig! Terrorabwehr finde ich völlig in Ordnung. Da muss man sich drauf vorbereiten. Deswegen werden die Strecken auch gesichert und deswegen sind die Hotels natürlich auch abgesichert im weiteren Umkreis. Da hat auch niemand ein Problem mit. Das große Problem fängt doch da an, wo gesagt wird, hier wird die gesamte Innenstadt bis zum Flughafen auf einer riesigen Fläche für jede Art von Versammlung gesperrt, weil es kann ja einem Donald Trump oder einem Putin nicht zugemutet werden, dass seine Karawane mal zwei Minuten warten muss. Da muss ich sagen, nur weil ein Cowboy in die Stadt kommt, darf man doch nicht Wildwestmethoden hier einführen.
    Eine Demonstrantin wird von Polizisten abgeführt
    Jan van Aken kritisiert das Polizeiverhalten: "An vielen Punkten geht es nur darum, harte Hand zu zeigen." (imago/ Manngold)
    Armbrüster: War es dann eine Fehlentscheidung, den Gipfel überhaupt nach Hamburg zu holen? Hätte man das Ganze vielleicht lieber wie andere Gipfel ja auch in früheren Jahren besser irgendwo auf dem Land, abseits der Großstädte organisiert?
    van Aken: In Hamburg ist es deswegen ein Problem: Diese Messehallen, wo es stattfindet, das ist wirklich mitten in der Innenstadt. Das kann ich fast von hier, wo ich wohne, sehen, von St. Pauli aus. Ich habe mich überzeugen lassen, dass diese Idee, das auf dem Land zu machen, in den Alpen nicht funktioniert bei so vielen Menschen. Das sind ja dann doch 6.000, die da zusammenkommen. Meine Idee wäre, entweder zwei Kreuzfahrtschiffe und dann kreuzen die drei Tage um Helgoland. Das funktioniert mit Sicherheit und da sind die auch sicher. Oder warum treffen die sich nicht eigentlich direkt vor der Generalversammlung in New York im September? Da sind die sowieso alle.
    Das Problem sind die Entscheidungen
    Armbrüster: Dann lassen Sie uns kurz inhaltlich über die Agenda sprechen. Ist so ein G20-Gipfel eigentlich nötig?
    van Aken: Ich finde ja, Reden hilft immer. Das hilft im Privaten genauso wie in der Politik. Denn die, die miteinander reden, die schießen nicht aufeinander. Aber das Problem beim G20 ist doch: Die reden nicht nur, die entscheiden auch. Und zwar sind das 19 selbstermächtigte Länder, die über den Rest der Welt entscheiden. Da finde ich das riesen Problem. Deswegen finde ich dieses G20-Format falsch.
    Armbrüster: Wer sollte denn da stattdessen eher reden?
    van Aken: Wenn zum Beispiel die Kanzlerin sagt, Tagesordnungspunkt eins ist der Compact with Africa, das heißt eine neue Hilfsinitiative für Afrika, …
    Armbrüster: Kann ja niemand was dagegen haben, oder?
    van Aken: Kann niemand was dagegen haben. Aber in dem Moment, wo dann nur ein einziges afrikanisches Land da sitzt und dann die reichen Länder entscheiden, wie es jetzt weitergehen soll mit Afrika, und das, was die dort bis jetzt vorbereiten, ist grauenvoll. Da wird zum Beispiel gesagt, Staatshaushalte sanieren mit Hilfe der Erhöhung der Mehrwertsteuer. Das ist wieder: Die Kleinen bezahlen, damit die Reichen ihre Geschäfte machen. Dann werden da Infrastrukturmaßnahmen geplant, wo dann reiche Firmen aus dem Norden sich in Afrika auch noch mal an Infrastruktur bereichern. Das ist genau der falsche Weg, der seit 50 Jahren immer wieder in die falsche Richtung geht, und das liegt auch daran, dass aus Afrika niemand mit am Tisch sitzt, schon gar nicht die Menschen.
    Die Globalisierung muss gerecht sein
    Armbrüster: Aber Herr van Aken, in Hamburg werden die Staaten mit am Tisch sitzen, die über den weitaus größten Teil des Welthandels bestimmen. Das ist doch durchaus hilfreich auch für afrikanische Staaten, für Länder, die nicht so weit entwickelt sind, wenn sich diese Länder auf gemeinsame Hilfe verständigen.
    van Aken: Aber es geht eben nicht um Hilfe, sondern es geht um Selbsthilfe. Diese 19 ganz reichen Länder, die werden dort Programme beschließen, die ihnen selber am meisten nutzen. Das sieht man. Wenn man diesen Compact for Africa sieht, ist das alles eine Selbstbereicherung des Nordens wiederum an den afrikanischen Ländern, und das ist genau der falsche Weg. Wir wollen einen gerechten Welthandel.
    Demonstranten mit Papierschild sitzen auf dem Rathausplatz in Hamburg
    Demonstranten in Hamburg: Selbstbereicherung des Nordens. (imago/ Manngold)
    Wissen Sie, ich habe doch überhaupt kein Problem mit Globalisierung. Die ist doch richtig. Aber sie muss gerecht sein, sie muss umweltschützend sein und sie muss für alle Menschen da sein und nicht nur für die ganz großen Konzerne hier im Norden.
    Der Hass auf Merkel in Südeuropa
    Armbrüster: Und Sie haben Zweifel, dass Angela Merkel das als Leiterin dieses Gipfels leisten kann?
    van Aken: Na ja. Wir brauchen uns doch nur anzugucken, was Angela Merkel in den letzten zehn, zwölf Jahren in Europa veranstaltet hat. In der Finanzkrise war es Angela Merkel mit Wolfgang Schäuble, die diesen ganz strikten Sparzwang im Süden Europas durchgesetzt haben. Wenn Sie heute nach Italien gehen, nach Griechenland, Spanien, Portugal, was es dort für einen Hass persönlich auf Angela Merkel gibt, weil die ihre Renten verloren haben aufgrund dieser Sparzwang-Politik. Da haben wir immer gesagt, diese Austerität, dieser neoliberale Weg ist genau der falsche. Man muss erst mal investieren, man muss die Wirtschaft wieder ankurbeln. Und genauso eine falsche Politik versucht sie, über G20 auch weltweit durchzusetzen.
    Armbrüster: Jan van Aken, der außenpolitische Sprecher der Fraktion Die Linke im Deutschen Bundestag. Vielen Dank für das Gespräch heute Morgen.
    van Aken: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.