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G7-Gipfel
"Schöne Worte reichen nicht"

Die Grünen-Politikerin Claudia Roth hat von den Teilnehmern des G7-Gipfels verbindliche Zusagen zu den wichtigen politischen Themen gefordert. Die Staaten müssten historische Verantwortung übernehmen, sagte sie im DLF. Sie kritisierte außerdem den finanziellen Aufwand für den Gipfel und den Umgang mit Gegendemonstranten.

Claudia Roth im Gespräch mit Bettina Klein | 08.06.2015
    Claudia Roth, stellvertretende Parlamentspräsidentin des Bundestages
    Claudia Roth, stellvertretende Parlamentspräsidentin des Bundestages (picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini)
    "Die Demokratie bekommt Dellen," sagte Roth mit Blick auf die hohen Kosten für den Gipfel, der außerdem in einem Naturschutzgebiet stattfinde. "Ich habe nichts dagegen, dass die G7 sich treffen," so Roth. Angesichts der zahlreichen Konflikte in der Welt, des Klimawandels sowie der Entwicklungs- und Flüchtlingspolitik reichten "schöne Worte" jedoch nicht: "Wir brauchen verbindliche Zusagen." Die G7-Staaten müssten wieder Vertrauen zu den Entwicklungs- und Schwellenländern aufbauen.
    Hoffnung auf Neuanfang in der Türkei
    Sie kritisierte den Umgang mit den Gegendemonstrationen um Schloss Elmau. Mit dem Zaun, der um das Schloss errichtet wurde, sei das Demonstrationsrecht eingeschränkt worden.
    Roth begrüßte das Ergebnis der Parlamentswahlen in den Türkei: "Das ist wirklich eine Sensation und ein guter Tag für die Demokratie." Erdogan habe für seine Politik die Quittung bekommen. Nun sei zu hoffen, dass es einen Neuanfang gebe.

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Nein, wirkliche Krawalle oder gewaltsame Auseinandersetzungen mit der Polizei gab es gestern so nicht rund um Elmau. Szenen wie aus Genua 2002 beim G8-Gipfel blieben allen erspart. Dennoch hatten Gegner der Veranstaltung Gelegenheit, ihren Protest kundzutun, ziemlich laut und ziemlich deutlich.
    Am Telefon ist jetzt Claudia Roth von Bündnis 90/Die Grünen. Sie ist Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages. Guten Morgen, Frau Roth.
    Claudia Roth: Schönen guten Morgen, Frau Klein.
    Klein: Gestern Vormittag zumindest schöne weißblaue Bilder aus Ihrer Heimat Bayern. Das muss doch auch Ihr Herz erfreut haben?
    Roth: Na ja. Aber das waren nun wirklich Bilder, die zu schön, um wahr zu sein sind. Da wird die Welt vor romantischer Kulisse gezeigt, was uns übrigens sehr teuer zu stehen kommt in jeder Hinsicht. Da wird ein Riesengipfel mit einem Wahnsinns- auch finanziellen Aufwand mitten in ein Naturschutzgebiet gelegt, egal welche ökologischen Folgen das haben wird. Und die Demokratie bekommt tatsächlich Dellen, denn über weite Teile ist das Demonstrationsrecht ausgespart worden. Man erlebt wieder ein bisschen die Methode von Frau Merkel, wording statt doing, also gut, dass man mal drüber gesprochen hat. Bemerkenswert ist, dass man zum Beispiel nicht über Bürgerrechte redet, wenn NSA komplett ausgespart bleibt.
    Klein: Aber glauben Sie nicht, Frau Roth, dass es vielleicht einfacher ist, globale und explosive Krisen einzudämmen, wenn man sich auch mal in einer solchen Kulisse, vielleicht auch mal zu einem etwas privat eingefärbten Programm trifft?
    G7 muss verbindlich Ziele festsetzen
    Roth: Ja gut. Die Frage ist ja, muss das 360 Millionen kosten und muss es dort stattfinden. Ich bin nicht dagegen, dass sich die G7 treffen. Sie sind nicht die Weltregierung, das ist auch klar. Vielleicht wollten sie es gerne sein, sind sie aber nicht. Aber es reicht eben nicht, angesichts der Krisen, der Konflikte, die wir haben, angesichts der Klimakatastrophe, der verschwindenden Biodiversität, des Hungers auf der Welt, der riesengroßen Fluchtbewegungen, der globalen Ungleichheit, wenn 80 Personen genauso viel besitzen wie 3,5 Milliarden, dann nur darüber zu reden, sondern auch vor dem Hintergrund, dass in diesem Jahr drei entscheidende Gipfel stattfinden, in Addis Abeba zur Entwicklungsfinanzierung in wenigen Wochen, in New York zu den Nachhaltigkeitszielen und am Ende des Jahres in Paris, da reichen schöne Worte nicht, sondern da bräuchte es verbindliche Zusagen von den G7, dass sie vorne weggehen, dass sie zur Entwicklungsfinanzierung klare Beschlüsse fassen, was das 0,7-Prozent-Ziel angeht, dass sie bei Klima deutlich sagen, das Zwei-Grad-Ziel muss gehalten werden, wir müssen Emissionen senken ...
    Klein: Frau Roth, aber es ist doch absehbar, dass da heute auch etwas beschlossen werden wird, und möglicherweise wird es ja der Kanzlerin gelingen, da auch eine Übereinstimmung zustandezubringen. Sie bezweifeln das?
    Roth: Ja wenn was rauskommt, dann ist es gut. Nur bisher zeichnet sich nicht ab, dass tatsächlich verbindlich gesagt wird, ja, wir gehen vorneweg, wir sagen, wir übernehmen für die Entwicklungsfinanzierung, wir übernehmen etwas, dass auch Deutschland 22 Tonnen CO2 einspart bis 2020. Mit Verlaub, da hat Frau Merkel zuhause hier in Deutschland eine Kohlelobby, die das systematisch boykottiert.
    G7 an Klimaproblemen mitverantwortlich
    Klein: Wir werden noch abwarten müssen, was jetzt wirklich an Ergebnissen heute im Laufe des Tages zustande kommt. Jetzt ist aber auch immer gesagt worden, das ist jetzt kein Treffen innerhalb von zwei Tagen, wo alle Probleme der Welt gelöst werden sollen, sondern es ist ein Treffen von Staaten, die einer Wertegemeinschaft angehören. Unter dieser Überschrift stand das ja. Ist es möglicherweise doch wichtig, dass man auch vor diesem Hintergrund ein Zeichen setzt und sich dann zusammensetzt zu Gesprächen?
    Roth: Noch mal: Dass die nicht alle Probleme der Welt lösen können, das ist sonnenklar. Aber natürlich trägt G7, tragen die G7-Staaten wesentlich mit zu den Problemen bei, dass das Klima in so einem desaströsen Zustand ist, dass die Welt so ungleich geworden ist, mit einer Handelspolitik und mit TTIP, wo die Entwicklungsländer noch mehr das Nachsehen haben. Noch einmal: Schöne Worte reichen nicht, sondern es braucht verbindliche, verbindliche Zusagen, wie die G7 in Addis Abeba dazu beitragen, dass es ein Vertrauen gibt von den Schwellenländern, von den Entwicklungsländern, dass die G7 tatsächlich auch historische Verantwortung übernehmen.
    Klein: Sie waren, Frau Roth, selbst auch in Elmau, zumindest am Freitag, haben dort auch mit Demonstranten und Anti-G7-Gruppierungen gesprochen. Wie wir jetzt gerade auch in dem Bericht von unserem Korrespondenten aus München gehört haben: Blut an euren Händen, Bullenschweine und dergleichen, ist das hilfreich, dann diese martialischen Töne anzuschlagen? Ist das der sicherlich berechtigten Sache vieler G7-Gegner dienlich?
    Roth:° Hilfreich ist, dass in München 40.000 Menschen am Donnerstag auf der Straße waren, bunt, vielfältig, absolut friedlich, mit Bauern, mit jungen, mit alten Leuten, und dass auch in Garmisch viele Menschen, noch viel mehr Menschen ihr Demonstrationsrecht gerne wahrgenommen hätten, die überhaupt nicht martialisch daherkommen, sondern die sich sorgen um die Welt und um den Zustand in dieser Welt.
    Demonstrationsrecht darf nicht eingesperrt werden
    Klein: Aber solche Formulierungen sind dann auch gerechtfertigt?
    Roth: Die Formulierungen würde ich nie benutzen. Zu einer Demokratie gehört auch, solange es friedlich zugeht, dass man Formulierungen benutzen kann, die nicht so, wie sagt man da, politisch korrekt sind. Ich finde die auch zum Teil wirklich bescheuert. Aber was kein Grund ist, dass man deswegen das Demonstrationsrecht so einsperrt, wie es passiert ist. Ich kann mich erinnern, der Innenminister in Bayern hat gesagt, niemand hat die Absicht, einen Zaun zu errichten. Fakt ist, es sind sieben Kilometer Zaun errichtet worden und weitgehend gab es Situationen wie in einem Hochsicherheitstrakt. Das sind keine schönen Bilder, die über die Demokratie und den Rechtsstaat Deutschland in die Welt gehen.
    Klein: Frau Roth, wir schauen noch auf ein anderes Ereignis des gestrigen Tages, was jetzt nicht direkt eine Rolle gespielt hat beim G7-Gipfel, sondern höchstens indirekt: die Parlamentswahlen in der Türkei mit einem relativ überraschenden Ergebnis. Die Partei von Präsident Erdogan, die AKP, hat ihre absolute Mehrheit verloren. Dagegen ist die kurdische Partei HDP ins türkische Parlament eingezogen. Das ist so ein Schritt, wo viele gesagt haben, das kann noch mal eine ganz neue Entwicklung für die Demokratie auch in der Türkei bedeuten. Wie sehen Sie das?
    AKP-Niederlage guter Tag für Demokratie
    Roth: Ja. Ich muss Ihnen sagen, Frau Klein, das ist wirklich eine Sensation. Das ist ein guter Tag für die Demokratie, für die Türkei, übrigens auch ein guter Tag für uns in Deutschland, denn auch wir haben ja die Polarisierung, die Spaltung erlebt, die Erdogan systematisch vorangetrieben hat. Es ist ihm nicht geglückt die feindliche Übernahme einer demokratischen Türkei. Er hat weder die absolute, noch die verfassungsändernde Mehrheit bekommen. Er wollte eine Art Präsidialdiktatur einführen. Das hat nicht funktioniert und das ist großartig. Er hat die Quittung bekommen für Spaltung, für Polarisierung, für Gewalt, ich erinnere an die Gezi-Proteste, für eine systematische Entdemokratisierung, für Hetze, für Hass, die er gerade in den letzten Tagen noch mal von sich gegeben hat, übrigens auch in einer Beugung der Verfassung, denn der Präsident darf sich eigentlich gar nicht einmischen in die Wahl. Er hat es systematisch gemacht. Große Gewinnerin ist die HDP, die kurdisch orientierte Partei, die ein großes Sammelbecken geworden ist von Minderheiten, von Demokraten, von jungen Leuten, von denen, die auf Demokratie, die auf Ökologie setzen, und ich hoffe sehr, dass es einen Neuanfang geben kann in der Türkei, statt in Richtung einer neo-osmanischen Perspektive zu gehen mit Sultan Erdogan vorne dran.
    Klein: Die Einschätzung von der Grünen-Politikerin Claudia Roth heute Morgen zum G7-Gipfel und zum Ausgang der Parlamentswahlen in der Türkei. Ich danke Ihnen für das Gespräch, Frau Roth.
    Roth: Danke schön, Frau Klein.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.