Dienstag, 23. April 2024

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Gabriels Besuch in Katar
"Wenn wir ehrlich vermitteln wollen, müssen wir die gleiche Distanz wahren"

Bundesaußenminister Sigmar Gabriel will bei seiner Reise in die Golfregion im Streit zwischen mehreren arabischen Staaten und Katar vermitteln. Der Grünen-Politiker Omid Nouripour forderte Gabriel im Deutschlandfunk auf, dabei eine neutrale Rolle einzunehmen.

Omid Nouripour im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 03.07.2017
    Der außenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Omid Nouripour.
    Der außenpolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Omid Nouripour. (picture-alliance / dpa / Britta Pedersen)
    Dem stünden allerdings deutsche Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien entgegen, so Nouripour. Er sieht die Spannungen zwischen Katar und seinen Nachbarn als Teil der Auseinandersetzung zwischen den Regionalmächten Saudi-Arabien und Iran.
    Saudi-Arabien, Bahrain, die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten haben die diplomatischen Beziehungen zu dem Land abgebrochen. Die vier Staaten werfen Katar vor, islamistische Terrorgruppen zu finanzieren. Sie stellten mehrere Forderungen wie die Schließung des Nachrichtensenders Al-Dschasira.
    Sigmar Gabriel sprach vor seinem Abflug nach Saudi-Arabien von einem besorgniserregenden Konflikt und forderte einen ernsthaften Dialog.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Tobias Armbrüster: Es ist eine durchaus heikle Reise, die Außenminister Sigmar Gabriel ab heute unternimmt. Er reist in die Golf-Region. Unter anderem ist er in den kommenden Tagen zu Gesprächen in Saudi-Arabien und in Katar. Das sind zwei Länder im diplomatischen Dauer-Clinch. Katar ist in der Region inzwischen regelrecht isoliert, weil die Anrainerstaaten der Führung des Landes zu große Nähe zum Erzfeind Iran vorwerfen. Außerdem soll Katar den IS unterstützen.
    In der vergangenen Nacht hat das Emirat in diesem Streit nun ein Ultimatum verstreichen lassen. Zwei Tage mehr hat es jetzt noch einmal Zeit bekommen. Aber dass Katar wirklich einlenken wird, das halten die meisten Beobachter für unwahrscheinlich. Wir haben darüber heute Morgen schon berichtet.
    – Am Telefon ist jetzt Omid Nouripour, der außenpolitische Sprecher der Grünen. Schönen guten Morgen!
    Omid Nouripour: Schönen guten Morgen!
    Armbrüster: Herr Nouripour, wie brisant ist das, was dort zurzeit am Golf passiert?
    Nouripour: Es ist schon sehr brisant, weil es sich auch zusammenbrauchen kann zum regionalen Großbrand. Wir haben im Nahen Osten zurzeit wirklich genug Probleme. Und deshalb ist es wirklich nicht nachvollziehbar, dass der Golf-Kooperationsrat um Saudi-Arabien herum gerade diese Nummer fährt. Katar ist ein ganz, ganz schwieriges Land, das ist überhaupt keine Frage. Aber ehrlich gesagt: Die Vorwürfe, die Saudi-Arabien Katar gegenüber erhebt – teilweise sind sie berechtigt, teilweise nicht; teilweise hat man nicht einmal versucht, sie zu beweisen -, die kann man genauso auf Saudi-Arabien selbst beziehen. Deshalb wirkt diese ganze Streiterei, ehrlich gesagt, in erster Linie nur bizarr.
    Armbrüster: Was ist denn dann der tatsächliche Hintergrund dafür?
    Nouripour: Ich glaube, das hat erstens was damit zu tun, dass Ägypten ja mittlerweile so was ist wie eine Großmarionette Saudi-Arabiens. Die verschenken ja auch Inseln mittlerweile an Saudi-Arabien. Und der Hauptfeind des dortigen Präsidenten Sisi sind die Muslim-Brüder. Es ist Fakt, dass Katar die Muslim-Bruderschaft durchgehend finanziert und unterstützt. Und die Muslim-Bruderschaft sind keine aufrechten Demokraten, so wie Sisi auch nicht. Das ist richtig. Das Zweite ist aber nach meiner Auffassung, dass es auch um einen alten Plan geht Saudi-Arabiens. Die wollen nämlich die ganze Zeit mehr amerikanische Soldaten bei sich selbst stationiert sehen. Sie glauben, dass es ihnen mehr Schutz gibt gegen den Iran. Die Amerikaner werden sicher nicht mehr Leute im Nahen Osten stationieren, erst recht nicht dauerhaft. Die haben aber 15.000 Mann derzeit in Katar. Ich glaube, dass die Saudis sehr stark darauf abzielen, dass die amerikanischen Soldaten von Katar nach Saudi-Arabien gebracht werden. Das würde Devisen mit sich bringen, das würde das Land politisch auch in Washington noch weiter aufwerten.
    Armbrüster: Jetzt reist nun ab heute Sigmar Gabriel, der deutsche Außenminister, zu Gesprächen in diese Region, heute zunächst mal nach Saudi-Arabien. Im Laufe der Woche ist dann auch ein Besuch und sind Gespräche in Katar geplant. Was kann der deutsche Außenminister da erreichen?
    Nouripour: Es ist gut, dass er dahin fährt. Ich kann das nur richtig finden, dass der deutsche Außenminister versucht, in einer solchen brisanten Situation zu vermitteln. Allerdings glaube ich, dass das zu dringend gehört. Wenn immer wieder das Thema Iran hochgefahren wird, wenn die Saudis Iran beispielsweise als Alliierten Katars bezeichnen, was aus meiner Ansicht heraus, ehrlich gesagt, ein bisschen merkwürdig klingt, dass Sigmar Gabriel auch klar macht, dass wir jetzt bereit sind, eine Äquidistanz einzunehmen zwischen Iran und Saudi-Arabien. Und dass wir jetzt nicht mehr sagen, Saudi-Arabien ist unser strategischer Partner, Iran ist auf der anderen Seite irgendwie weit weg. Iran ist sicher kein guter strategischer Partner. Die Rolle des Iran in der Region ist hoch schwierig. Aber wenn wir dort ehrlich vermitteln wollen, dann müssen wir tatsächlich die gleiche Distanz zu beiden aufzeigen. Das tut die Bundesregierung vor allem mit ihren Waffenlieferungen nach Saudi-Arabien bisher nicht.
    Armbrüster: Kann man denn nicht sagen, dass Iran für uns ein deutlich unangenehmerer Gesprächspartner ist als Saudi-Arabien?
    "Die geben sich gegenseitig nicht viel"
    Nouripour: Ich glaube, dass die Iraner weniger feine Anzüge tragen und weniger Geld ausgeben in den Fußgängerzonen bei uns. Aber die hoch aggressive iranische Regionalpolitik beispielsweise in Syrien wird gespiegelt von den Saudis im Jemen. Die geben sich gegenseitig nicht viel und deshalb glaube ich nicht, dass man sagen kann, dass der eine weit schlimmer ist als der andere, während Saudi-Arabien jetzt ein strategischer Partner ist. Der Hauptunterschied zwischen diesen beiden Staaten ist, dass Saudi-Arabien das Land ist, das die Dschihadisten-Finanzierung, die über die Salafisten tatsächlich funktioniert, die in unseren Fußgängerzonen stehen und unsere Kinder in den Dschihadismus verführen, dass Saudi-Arabien das bezahlt.
    Armbrüster: Und wird das in Deutschland genügend thematisiert?
    Nouripour: Ich glaube, dass es genug Informationen in Deutschland gibt. Es gab sehr viele spannende Reportagen, sehr viele investigative Recherchen über das, was Saudi-Arabien auch in Deutschland macht. Ich fürchte nur, dass die Bundesregierung bisher nicht ausreichend Konsequenzen daraus gezogen hat. Ich kann das nur wiederholen. Es ist nicht wirklich ratsam, zu sagen, wir wollen Druck auf Saudi-Arabien ausüben auf der einen Seite und gleichzeitig denen Waffen verkaufen. Da macht man sich einfach unglaubwürdig.
    Armbrüster: Das heißt, mit den Waffenverkäufen muss Schluss sein?
    Nouripour: Es muss dringend aufgehört werden, dass man Waffen an Saudi-Arabien und auch andere Staaten der Region liefert. Ich fordere ja nicht, dass man Waffen nach Iran verkauft. Darauf würde auch Gott sei Dank niemand kommen. Aber die Saudis spielen gespiegelt dieselbe Rolle wie der Iran in der Region. Beide setzen viele Länder in gegenseitiger Paranoia in Brand. Deshalb sollten wir aufhören, den einen Waffen zu geben, weil das tatsächlich auch zur Aufrüstung auf der anderen Seite des Golfes führt.
    Armbrüster: Was könnte denn eigentlich passieren, wenn dieser diplomatische Clinch da jetzt eskaliert? Wie könnte so eine Eskalation in den kommenden Tagen oder Wochen aussehen?
    "Nicht den Saudis sagen, sie wären strategische Partner"
    Nouripour: Ehrlich gesagt, ich glaube nicht, dass es zu einem großen Krieg kommt. Dafür sind auch die Fazilitäten auf allen Seiten zu sensibel. Wenn in eine Öl-Raffinerie eine Rakete reinfliegen würde, dann würden alle Staaten der Region massiv darunter leiden, weil die Ölpreise sicher dann auch einbrechen würden, weil andere dann auf den Markt treten würden. Ich glaube, dass sich das niemand leisten kann. Aber es ist offenkundig, dass die Kataris noch sehr lange aushalten werden. Sie haben sehr viel Geld. Eine humanitäre Katastrophe, wie man sie am Anfang befürchtet hat, steht doch nicht an. Ich meine, die Frage war, kann man Geld kaufen. Es gibt mittlerweile andere, sehr klare Versorgungsrouten für die Kataris, vor allem aus Indien und aus dem Oman, sodass ich glaube, dass diese Eskalation noch lange dauern kann. Die Frage ist, was passiert, wenn der Golf-Kooperationsrat sehr, sehr starke Finanzsanktionen verhängt, auch gegen andere Firmen? Was ist, wenn die zum Beispiel sagen, die Deutsche Bank würde von Saudi-Arabien sanktioniert, wenn sie weiterhin Geschäfte mit Katar macht? Das wären weitere Probleme, die dann der Außenminister zu lösen hätte. Auch deswegen sollte er jetzt vorbauen und nicht den Saudis sagen, sie wären strategische Partner.
    Armbrüster: Ganz kurz noch, Herr Nouripour, mit Bitte um eine kurze Antwort in einer halben Minute. Welchen Einfluss genießt denn eigentlich, oder welches Ansehen genießt Deutschland in der Region?
    Nouripour: Deutschland kann ein ehrlicher Vermittler sein. Deutschland gilt als ein Land, das nicht sehr direkte nationale Interessen dort hat. Und wir haben in den letzten 40, 50 Jahren nicht dort überall Truppen stationiert, sodass die Glaubwürdigkeit des Landes vor allem in der Breite, auch in den Bevölkerungen, doch relativ hoch ist. Auch das gibt uns die Möglichkeit, ein guter Vermittler zu sein, erst recht im europäischen Verbund. Dazu müssten wir aber dazu kommen, dass die Europäer dort eine gemeinsame Sprache sprechen.
    Armbrüster: Die schwelende Krise um das Emirat Katar – heute reist Bundesaußenminister Sigmar Gabriel in die Region. Wir sprachen darüber mit Omid Nouripour, dem außenpolitischen Sprecher der Grünen. Vielen Dank, Herr Nouripour, für Ihre Zeit heute Morgen.
    Nouripour: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.