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Gaehtgens: Trennung von Doktorvater und Gutachter nötig

Die Plagiate-Jagd geht weiter, die Unis prüfen verdächtige Werke - aber am Promotionsverfahen selbst ändert sich nichts, kritisiert der ehemalige HRK-Präsident Peter Gaehtgens. Wichtig sei vor allem eine Trennung von Betreuung und Prüfung.

Peter Gaethgens im Gespräch mit Manfred Götzke | 28.07.2011
    Manfred Götzke: Sie scannen und scannen, Doktorarbeit für Doktorarbeit: die Plagiatejäger auf Vroni Plag und Co. –sie sind mal wieder fündig geworden, und zwar mal wieder bei einem Kultusminister: Roland Wöller, Kultusminister in Sachsen, soll massiv aus einer Magisterarbeit abgeschrieben haben. Der Beschuldigte verfährt nach bekannter Taktik: erst mal wegducken und dementieren. Die Plagiatejagd geht also weiter, die Unis prüfen verdächtige Werke – aber am Promotionsverfahren selbst, da ändert sich nichts. Genau das kritisiert Peter Gaehtgens, der ehemalige Vorsitzende der Hochschulrektorenkonferenz. Herr Gaehtgens, Sie würden das Promotionsverfahren am liebsten ganz grundsätzlich reformieren. Wie genau?

    Peter Gaehtgens: Also ich denke zumindest, dass die Universitäten darüber nachdenken sollten, ob das Promotionsverfahren so, wie sie es traditionell durchführen, das heißt, die Einzelpromotion traditionell durchführen, wirklich angemessen ist und ob es nicht auch einer Korrektur in diesem Verfahren selbst bedarf. Ich bin vor allen Dingen der Meinung, dass, wenn man nun schon in aller Schärfe, was ich für richtig halte, gegen Plagiatoren vorgeht und die Delinquenten dadurch bestraft, dass man ihnen die Doktortitel aberkennt und damit einen erheblichen Eingriff auch in ihre weitere berufliche Karriere doch auslöst, dass man dann auch verpflichtet ist, sicherzustellen, dass das angewandte Verfahren, das man selbst entwickelt hat, sozusagen wasserdicht ist. Und da scheinen mir einige Punkte doch korrekturbedürftig.

    Götzke: Welche sind das denn im Einzelnen?

    Gaehtgens: Vor allen Dingen scheint mir ein Prinzip sehr wichtig, nämlich die Trennung von Betreuung und Prüfung. Es ist ja im derzeitigen Verfahren so, dass der Doktorvater oder die Doktormutter, der das Projekt betraut, den Doktoranden über mehrere Jahre hinweg begleitet, berät, die Doktorarbeit selbst mehrfach mit ihm bespricht und die Art der wissenschaftlichen Tätigkeit, die der Doktorand an den Tag legt, bewertet. Dass dieser Doktorvater dann anschließend auch noch Gutachter über die Dissertation wird, das erscheint mir unangemessen. Eine Mischung von Betreuung einerseits und Prüfung andererseits erscheint mir nicht angemessen, und es ist auch in dem sonstigen wissenschaftlichen Verfahren, das wir sonst so üblicherweise an den Tag legen, nicht so: Da wird immer deutlich getrennt zwischen demjenigen, der die wissenschaftliche Arbeit macht und sie vielleicht veröffentlichen will, und demjenigen, der diese wissenschaftliche Arbeit vor Veröffentlichung begutachtet.

    Götzke: Beispielsweise bei wissenschaftlichen Fachpublikationen.

    Gaehtgens: Ja, genau. Und deswegen … Und das ist eine Praxis, die sich sehr bewährt hat, die international üblich ist und die sicherstellt – und das ist der wichtige Punkt –, dass der Gutachter unabhängig ist und neutral und nicht in das Verfahren der Erstellung der Arbeit selbst in irgendeiner Weise involviert. Und das ist bei Promotionsverfahren, so, wie wir das traditionell machen, eben doch, wie ich finde, korrekturbedürftig.

    Götzke: Derzeit ist es ja in der Tat so, dass der Mitgestalter des Promotionsprojekts, der Doktorvater – er ist ja auch Mentor und ist ja Teil des Forschungsgebietes, um das es geht – seine eigene Arbeit quasi mit prüft. Wie können Sie sich erklären, dass diese Praxis überhaupt so lange Bestand hatte?

    Gaehtgens: Na ja, das ist wahrscheinlich historisch gewachsen in einer Zeit, in der auch die Zahlen der Promotionen insgesamt deutlich geringer waren, und man hat es halt eben tradiert und nicht weiter kritisch hinterfragt. Heute und erst recht in einer Situation, wo jetzt diese Delikte oder so in aller Öffentlichkeit auftauchen und die Zahl derjenigen, die da unter Druck geraten, täglich zunimmt, insbesondere auch Prominente natürlich darunter sind, in einer solchen Zeit, finde ich, ist die Universität aufgerufen, ihrer Verantwortung für ihre eigenen akademischen Gebaren gerecht zu werden und daher sich selbst kritisch zu prüfen, ob sie es eigentlich richtig macht und verantwortlich umgeht mit dem Vertrauen, das in sie gesetzt wird – denn wir dürfen ja nicht vergessen: Wissenschaftliche Produkte, solche wissenschaftlichen Arbeiten können letzten Endes nur durch die Wissenschaft selbst evaluiert und bewertet werden, und dafür genießt die Universität ein hohes öffentliches Vertrauen, das muss sie sicherstellen, es ist im Moment, wie ich finde, gefährdet.

    Götzke: Wenn man die Reformprojekte, die Sie vorschlagen, durchsetzt, wird man natürlich sagen, der Aufwand steigt, weil man neutrale zusätzliche Gutachter braucht, die die ganzen Doktorarbeiten sich angucken.

    Gaehtgens: Das ist richtig, aber ein sehr schwaches Argument, denn ich denke, vor Arbeit sollte man sich nicht scheuen. Die Verantwortung gegenüber der Zuverlässigkeit der akademischen Bewertung wiegt weit mehr als die Frage, wie viel Zeit man dafür aufwenden muss. Da glaube ich muss man sich der eigenen Verantwortung stellen. Im Übrigen kann man auch darüber diskutieren, wer eigentlich als Gutachter infrage kommt: Im Prinzip gibt es ja da die Regel, wenn Sie so wollen, dass man promoviert sein muss, um wissenschaftliche Qualität bewerten zu können – denn man hat die Fähigkeit zu selbstständiger wissenschaftlicher Arbeit durch die Promotion ja belegt –, und dann könnte man den Kreis der potenziellen Gutachter natürlich auch erweitern über den Kreis hinaus, der jetzt das üblicherweise tut. Derzeit machen das ja im Wesentlichen eigentlich die Professoren an den Universitäten, aber für meine Begriffe sind Privatdozenten oder auch promovierte wissenschaftliche Mitarbeiter durchaus dazu auch in der Lage. Das muss man im Einzelfall entscheiden. Aber ich finde: Das Argument der Arbeitslast kann kein wirklich ernsthaftes Argument sein.

    Götzke: Wären all die Plagiate bei neutralerer Prüfung Ihrer Meinung nach vorher aufgefallen?

    Gaehtgens: Nein, das halte ich nicht für sicher, denn niemand kann die Gesamtheit der wissenschaftlichen Literatur so vollständig überblicken und auch so sorgfältig studiert haben, dass ihm sozusagen sofort auffällt, dass der Text, den er da vor sich hat, eigentlich von jemand anderem stammt als von dem Autor, der den Text vorlegt. Aber es geht mir eigentlich auch nicht so sehr um die Frage: Was müssen wir tun, um Plagiate zu verhindern? Darum müssen wir uns auch kümmern, aber ich finde, dass wir darüber hinaus um die Qualität der Promotionen in Deutschland insgesamt bemüht sein müssen. Da haben wir eine hohe Verantwortung und ich glaube daher, dass an dieser Stelle das Promotionsverfahren so, wie es derzeit läuft, eben auch eine Korrekturnotwendigkeit aufzeigt.

    Götzke: Peter Gaehtgens, der ehemalige Vorsitzende der Hochschulrektorenkonferenz, will das Promotionsverfahren grundsätzlich reformieren. Vielen Dank!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.