Seit Beginn des Jahres schaukelt sich der Streit zwischen Griechenland und der Türkei um Seegebiete im Mittelmeer hoch. Deutschland hat einen neuen Vermittlungsversuch gestartet. Doch Bundesaußenminister Heiko Maas bekommt bei seinen Besuchen in Ankara und Athen zu spüren, wie verhärtet die Fronten sind. Beide Seiten zeigten sich zwar zum Dialog bereit, signalisierten aber kein konkretes Entgegenkommen.
Die Initiative von Maas sei dennoch genau das Richtige, betonte Michael Gahler, Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Europaparlaments. Auch wenn die Europäische Union in dem Streit das Recht deutlich aufseiten seines Mitglielandes Griechenland sehe, sei es wichtig, jetzt in einen Dialog zu kommen und zu deeskalieren.
Frankreich unterlege die Position der EU mit zusätzlicher militärische Präsens, auch das könne zur Deeskalation beitragen, sagte der CDU-Außenpolitiker im Gespräch mit dem Dlf. Wenn die Türkei jedoch weiter mit Erkundungsschiffen die "Ausschließliche Wirtschaftszone" Griechenlands verletzte, könnten Sanktionen durch die EU nicht ausgeschlossen werden.
Lesen Sie hier das vollständige Interview im Wortlaut.
Ann-Kathrin Büüsker: Herr Gahler, steuern Griechenland und die Türkei da auf einen Krieg zu?
Michael Gahler: Im Ergebnis denke ich, dass es dazu nicht kommen wird. Wir haben ja seit Jahrzehnten eigentlich schon immer wieder erlebt, dass in der Ägäis und im Streit um die Abgrenzung der jeweiligen Territorien es zwischen Griechenland und der Türkei immer wieder Spannungen gegeben hat. Wir haben aber in der Tat akut, auch befeuert durch natürlich die Erdgasfunde und das wirtschaftliche Interesse dabei, wir haben ein verstärktes Interesse beider Seiten daran. Aber ich denke, wir müssen eindeutig sagen, dass es wichtig ist, hier zum Dialog zu kommen, zur Deeskalation, und dass wir auf der anderen Seite aber auch als Europäische Union vor allen Dingen auch Solidarität mit unseren griechischen Partnern zeigen.
Außenminister Maas tut das Richtige
Büüsker: Hier sagen ja sowohl Zypern als auch Griechenland, dass die EU-Außengrenze verletzt werde durch die Türkei. Müsste die EU darauf nicht viel vehementer reagieren?
Gahler: Ich denke, dass unser Außenminister das Richtige tut, indem er nämlich in die beiden Hauptstädte fährt und dort zum Dialog und zur Deeskalation aufruft. Wir haben eine Situation, wo nach dem internationalen Seerechtsabkommen von 1982 zunächst mal feststeht, dass auch Inseln eine "Ausschließliche Wirtschaftszone" haben, und entsprechend, dass es sich um die "Ausschließliche Wirtschaftszone" Griechenlands handelt. Wenn man das als solches zunächst mal als Ausgangspunkt nimmt, ist immer noch, auch wenn Griechenland da im Recht ist, natürlich die Verpflichtung da, zur Deeskalation beizutragen, und aus meiner Sicht ist das mit der Reise des Außenministers, der auf beide Seiten einwirkt, der richtige Ansatz.
Büüsker: Herr Gahler, wenn ich da noch mal kurz nachfragen darf. Sie sehen aber tatsächlich schon eine grundsätzliche Grenzverletzung gegeben?
Gahler: Ja! Die Türkei untersucht dort den Meeresgrund mit diesem Schiff Oruc Reis in Gewässern, die jedenfalls nicht zur Türkei gehören, sondern zur "Ausschließlichen Wirtschaftszone" Griechenlands.
Rechtslage deutlich auf griechischer Seite
Büüsker: Deeskalation, Dialogbereitschaft – nun kann man aber auch die Frage stellen, ob Griechenland tatsächlich so dialogbereit ist. Es hat ja erst Anfang des Monats ein Abkommen mit Ägypten unterzeichnet und die Wirtschaftszonen im Mittelmeer unter sich aufgeteilt. Die Türkei sieht sich da außen vor. War das so ein kluger Schritt von Athen?
Gahler: Das müssen wir im Gesamtzusammenhang sehen. Die Türkei hat ja ein Abkommen auch mit Libyen geschlossen, mit der anerkannten Regierung dort zugegebenermaßen. Aber wenn man auf die Karte schaut, hat man jetzt im Mittelmeer nicht den unmittelbaren Eindruck, dass es eine direkte libysch-türkische Grenzlinie dort in großem Umfang gibt, sondern da ist auch dagegen verstoßen worden.
Wir müssen davon wegkommen, dass beide Seiten da zu einer Verhärtung kommen. Gerade weil die Rechtslage aus unserer Sicht deutlich auf der griechischen Seite ist, hat Griechenland auch die rechtliche Gewissheit, dass es dort richtig handelt. Aber danach wächst auch daraus die Verpflichtung, zur Deeskalation beizutragen, und aus meiner Sicht ist das ja auch möglich. Kurzfristig könnte man den Kompromiss schließen, sage ich mal, das türkische Schiff, das darf zwar noch da bleiben, aber hört ab sofort auf, da zu untersuchen. Dann wäre das zunächst mal für die Türkei etwas, das Schiff bleibt da, aber auf der anderen Seite für Griechenland, die Untersuchungen, die Verletzung, die eigentliche, die findet nicht statt.
Und dann sollte man sich aus meiner Sicht klar sein, dass das, was dort gefördert werden soll, das Gas und der Profit daraus, den können beide, egal wer dort zuständig ist, ja nur dann ernten oder davon profitieren, wenn die Sache geklärt ist. Aus meiner Sicht sollte man nach einem Dialog, der zu beginnen hat, sich sagen, bevor man die Hauptsache klärt, wer wo zuständig ist, dass man sich erst mal überlegt, gemeinsam vielleicht dort die Dinge zu explorieren und dann auch zu fördern, um dann später in einem späteren Schritt sich endgültig dann zu einigen.
Büüsker: Wobei eine gemeinsame Zusammenarbeit zwischen Griechenland und der Türkei, die ja seit vielen Jahren im Clinch liegen, auch mit Blick auf die Flüchtlingskrise, aktuell eigentlich undenkbar ist, oder?
Gahler: Einverstanden! Deswegen habe ich ja gesagt, das wäre dann ein nächster Schritt, nachdem man zunächst mal zu einer Verhandlung überhaupt bereit ist. Wir haben als Europäische Union uns ja, sowohl wir im Parlament, aber natürlich auch der Rat hat sich in mehrfachen Festlegungen eindeutig zur Solidarität mit unseren griechischen und auch zypriotischen Partnern verständigt, und das ist auch richtig. Aber wie gesagt: Aus dieser Rückenstärkung für Griechenland und Zypern erwächst auch die Notwendigkeit, dann die Bereitschaft zum Dialog auch zu praktizieren.
Büüsker: Heißt diese Solidarität dann auch, dass im Zweifelsfall Sanktionen gegen die Türkei durchgesetzt werden müssen?
Gahler: Das ist sicherlich nichts, was wir uns wünschen, aber das kann man nicht ausschließen, wenn die Türkei auf Dauer praktisch die griechische Wirtschaftszone dort verletzt. Die Türkei muss schon verstehen, dass das so nicht geht.
Frankreichs militärische Präsenz kann zur Deeskalation beitragen
Büüsker: Wie passt zu all Ihren Beteuerungen, dass miteinander reden sehr, sehr wichtig ist, dass Deeskalation sehr, sehr wichtig ist, dass Frankreich Kriegsschiffe ins Mittelmeer geschickt hat? Was sendet das für ein Signal?
Gahler: Das sendet das Signal, dass Frankreich die Positionierung der Europäischen Union ein Stück weit auch unterlegt mit einer zusätzlichen Präsenz. Nicht mehr und nicht weniger. Wir haben ja die Beschlusslagen auf der EU-Ebene. Die sind im Sinne unserer griechischen Freunde. Und das ist dann in dem Zusammenhang eine sichtbare Unterstreichung dieser Position.
Ich bin aber auch überzeugt, Frankreich wird dort seinerseits nicht zu einer Eskalation beitragen, sondern eher im Gegenteil. Internationale Präsenz – und insofern verstehe ich auch Frankreich dann als einen Staat, der kein Interesse an der Eskalation hat, sondern allein durch seine Präsenz kann sicherlich ein internationaler Partner da auch zu einer Deeskalation beitragen. Denn keiner würde sich sicherlich im Angesicht auch französischer Truppenpräsenz da irgendwelche Scharmützel liefern.
Büüsker: Wobei man ja auch festhalten muss, dass Frankreich und die Türkei mit Blick auf Libyen unterschiedliche Seiten unterstützen, also sehr unterschiedliche Interessen haben. Könnte man Macron hier nicht auch ein Interesse mit Blick auf Libyen unterstellen?
Gahler: Was Sie beschreiben ist richtig. Ich sage mal, ich bedauere außerordentlich, dass wir als Europäische Union in Bezug auf Libyen da keine gemeinsame Position haben. Ich glaube aber, dass in dem Zusammenhang dieser Aspekt nicht im Vordergrund der französischen Motivation steht. Ich denke, hier will Frankreich die Haltung, die die Europäische Union insgesamt zum Ausdruck gebracht hat, in dem Konflikt, auf der griechischen Seite mit unterstützen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.