
Im Krieg zwischen Israel und der islamistischen Hamas haben sich beide Seiten auf einen Waffenstillstand geeinigt. Es ist die erste Phase eines Nahostplans von US-Präsident Donald Trump. Vereinbart wurde, dass 48 Geiseln, die beim Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 aus Israel nach Gaza verschleppt wurden, freikommen sollen. Von diesen verbliebenen 48 Geiseln sollen nach israelischen Angaben noch 20 Menschen leben.
Außerdem sollen dem Plan zufolge Hilfslieferungen ausgeweitet, palästinensische Häftlinge entlassen und israelische Truppen teilweise aus dem Gazastreifen abgezogen werden. Hält der Deal? Und ist das ein erster Schritt Richtung Frieden? Einschätzungen von CDU-MdB Norbert Röttgen, Friedensforscherin Claudia Baumgart-Ochse und Islamwissenschaftler Simon Wolfgang Fuchs.
Norbert Röttgen (CDU): „Frieden setzt Überwindung von Hass voraus"
Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen zeigt sich überzeugt, dass die erste Phase des Trump-Plans vollständig umgesetzt wird. Er sei optimistisch, weil im Konflikt eine neue Bewegung entstanden sei, die sich seiner Einschätzung nach kaum noch aufhalten lasse, sagt der Bundestagsabgeordnete.
Die Hamas sei militärisch geschwächt und politisch unter Druck. „Ihre Führung ist beseitigt, sie ist im Wesentlichen militärisch geschlagen. In Gaza – und ihre politische Führung außerhalb Gazas in Katar ist unter eindeutigem Druck sowohl von Katar wie von der Türkei, von der arabischen Welt, jetzt diesen Weg zu gehen.“
Auch Israel habe durch den Druck der US-Regierung unter Präsident Trump kaum noch eine politische Möglichkeit, von diesem Kurs abzuweichen. Das liege, so Röttgens Einschätzung, im eigenen Interesse, weil damit ein zentrales Kriegsziel Israels erreicht werde: die Rückkehr aller Geiseln, wenn auch viele von ihnen nicht mehr lebend.
In der zweiten Phase des Plans werde es um die Entwaffnung der Hamas, den Wiederaufbau und eine internationale Kontrolle über Gaza gehen. Zuerst müssten die Menschen in Gaza Lebensmittel, Wasser und medizinische Versorgung bekommen, danach gehe es um den Aufbau neuer Strukturen, um Sicherheit. Das werde eine internationale Friedenstruppe erfordern, so Röttgen. Und dafür brauche man ein UN-Sicherheitsmandat.
Röttgen betont seine Skepsis. „Ich zögere immer, von Frieden zu sprechen. Denn Frieden setzt Überwindung von Hass voraus, und das dauert Generationen.“ Dass Europa und Deutschland in diesem Prozess bislang kaum eine Rolle gespielt hätten, nennt er einen „bitteren Befund“. Nun aber gebe es die Chance, sich wieder konstruktiv einzubringen, bei der Versorgung, in der Verwaltung und beim Wiederaufbau. Dazu, so Röttgen, sei die Bundesregierung entschlossen.
Friedensforscherin Claudia Baumgart-Ochse: „Vor einem positiven Frieden sind wir weit entfernt“
Für Friedensforscherin Claudia Baumgart-Ochse vom Leibniz-Institut für Friedens- und Konfliktforschung ist das Abkommen der Beginn eines langen Prozesses, der zum Frieden führen könnte.
Baumgart-Ochse erklärt, dass mit dem Ende der Kampfhandlungen und dem Rückzug der israelischen Armee zunächst nur ein Waffenstillstand erreicht sei. In der Friedensforschung spreche man in solchen Fällen von „negativem Frieden“, also einer Situation, in der zwar keine Gewalt mehr angewendet werde, der Konflikt selbst aber weiterbestehe. Ein „positiver Frieden“ hingegen umfasse weit mehr: gesellschaftliche Gerechtigkeit, politische Freiheit und stabile Lebensbedingungen. „Vor so einem Frieden sind wir – vor allem für die Palästinenserinnen und Palästinenser – natürlich noch weit entfernt.“

Sie erinnert daran, dass beide Gesellschaften tief traumatisiert sind: die israelische durch jahrelange Bedrohung und Geiselnahmen, die palästinensische durch Zerstörung, Vertreibung und den Verlust unzähliger Zivilisten. „Und da ist es erst mal sehr schwierig, wieder Vertrauen aufzubauen. Allein das wird Jahre dauern, Jahrzehnte vielleicht. Man brauche Verhandlungen darüber, wie denn ein Frieden im Ganzen aussehen solle, nicht nur im Gazastreifen, sondern auch im Westjordanland.
Den politischen Rahmen des Trump-Plans sieht die Friedensforscherin kritisch: "Früher haben wir immer von der Zweistaatenlösung gesprochen, und die steht ja jetzt in diesem Trump-Plan überhaupt nicht mehr drin."
Islamwissenschaftler Simon Wolfgang Fuchs: „Das ist nicht der große Deal"
Für den Islamwissenschaftler Simon Wolfgang Fuchs von der Hebräischen Universität Jerusalem ist der vereinbarte Waffenstillstand ein Hoffnungsschimmer. Nach Jahren ohne Fortschritt sieht er erstmals eine reale Chance auf Veränderung. „Ich glaube, wir sind jetzt an einem Punkt, wo es vielleicht nicht mehr zurückgeht“, sagt er. „Aber es ist noch wirklich alles mit großer Vorsicht zu genießen, und die eigentlichen Fragen liegen weiterhin noch auf dem Tisch.“
Für Fuchs ist klar, dass der Waffenstillstand noch keinen endgültigen Durchbruch darstellt. „Das ist nicht der große Deal“, sagt Fuchs. „Es ist wahrscheinlich auch nicht unbedingt gleich das Ende von allem, aber es ist etwas erreicht, was wir bis vor Kurzem nicht für möglich gehalten haben.“
Fuchs geht davon aus, dass die erste Phase des Abkommens umgesetzt wird. Es werde aber auch weiterverhandelt, vor allem bei der Frage, welche palästinensischen Gefangenen freikommen sollen, gebe es noch Unstimmigkeiten. In Israel werde auch diskutiert, dass die Hamas einige der getöteten Geiseln offenbar gar nicht mehr lokalisieren könne.
Mit der vereinbarten Rückzugslinie der israelischen Armee bleibe unklar, was das konkret bedeute – und ob für die Menschen im Gazastreifen überhaupt erkennbar werde, dass sich das israelische Militär tatsächlich zurückgezogen habe. Eine wichtige Komponente der Vereinbarung sei auch, dass die humanitäre Hilfe in Gaza nun massiv ausgeweitet werden solle. „Aber wir können wahrscheinlich nicht so schnell die Krankenhäuser wieder instand setzen oder, dass auch alle Leute erreicht werden, die schon mehrfach vertrieben worden sind. Das wird noch dauern.“
ema