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Gaza-Konflikt
"Europa steht in der Pflicht"

Europa will Unterstützung für den Gazastreifen in Form von Kontrollen an Grenzübergängen anbieten. Reinhold Robbe, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, begrüßt dieses Engagement. Israelis würden einen langfristigen Frieden wollen und dabei könne Europa eine wichtige Rolle spielen, sagte er im DLF.

Reinhold Robbe im Gespräch mit Sandra Schulz | 07.08.2014
    Der Wehrbeauftragte des Bundestags, Reinhold Robbe (SPD) präsentiert am Dienstag (16.03.2010) in der Bundespressekonferenz in Berlin seinen Bericht für das Jahr 2009. Es ist der letzte Bericht des SPD- Politikers als Wehrbeauftragter. Seine fünfjährige Amtszeit läuft im Mai 2010 aus.
    Der SPD-Politiker Reinhold Robbe, Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, will die israelische Offensive nicht beurteilen. (Rainer Jensen dpa/lbn)
    Es bestehe eine Notwendigkeit, dass die Europäische Union in der Region Verantwortung übernehmen müsse, sagte er im DLF. Auch Deutschland habe trotz der Vergangenheit eine Verantwortung gegenüber Israel.
    Allein die Zahlen und Fakten, die man aus dem Gazastreifen höre, seien furchtbar, sagte Robbe. Auch in dieser Situation müsse aber darauf hingewiesen werden, wer die Verursacher der Schäden seien: "Vordergründig sind es die Israelis, die mit ihren militärischen Mitteln und Dingen, diese Verwüstung angerichtet haben." Aber dahinter stecke die Hamas, die zuvor mit ihren Waffen die Israelis bedroht und in Panik versetzt hätten.
    Ob die israelische Offensive verhältnismäßig gewesen sei, wollte Reinhold Robbe nicht beurteilen. Er betonte, dass Israel ein Rechtsstaat sei und bereits eine Untersuchungskommission eingerichtet habe, die sich mit offenen Fragen und Vorwürfen befassen würde. Die Hamas werde allerdings im Gegenzug wohl kaum infrage stellen, was sie angerichtet habe.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Einen Durchbruch gibt es noch nicht bei den Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern um eine dauerhafte Waffenruhe. Aber die Bereitschaft Israels zu einer, so heißt es, bedingungslosen Verlängerung der Feuerpause, die gibt es. Gut ist, die Waffenruhe in Nahost hält weiterhin. Schlecht ist, das Ausmaß der Zerstörung ist kaum zu ermessen.
    Bis morgen, sieben Uhr unserer Zeit, läuft die Waffenruhe in Nahost noch. Erleichterung herrscht nicht nur in der Region über die Atempause – jetzt sind alle Bemühungen natürlich darauf gerichtet, für eine längerfristige Beruhigung der Lage zu sorgen. Die Verhandlungen laufen über Kairo. Israelische und palästinensische Unterhändler tauschten Papiere mit ihren jeweiligen Forderungen aus, und jetzt, da die Waffen einstweilen schweigen, da zeichnet sich auch erst ab, wie groß die Schäden sind.
    Unsere Kollegin Bettina Marx hat uns vor gut einer Stunde die Situation im Gazastreifen so geschildert.
    Und am Telefon begrüße ich Reinhold Robbe, lange SPD-Bundestagsabgeordneter und heute Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Guten Morgen!
    Reinhold Robbe: Guten Morgen, Frau Schulz, ich grüße Sie!
    Schulz: Herr Robbe, wie groß der Schaden ist, wir haben es gerade noch mal gehört, das zeichnet sich jetzt erst richtig ab. Die palästinensische Seite meldet 1.900 Tote, 65.000 Menschen sollen ohne Bleibe sein. Was sagen Sie zu dieser Bilanz?
    Robbe: Das ist, wenn man die Zahlen hört, wenn man die Fakten hört, wie wir Sie gerade von Ihrer Korrespondentin aus Gaza geschildert bekommen haben, natürlich alles nur furchtbar, und man kann es auch gar nicht anders beschreiben. Allerdings, auch in dieser Situation muss immer wieder darauf hingewiesen werden, wer die Verursacher sind und wer diejenigen sind, die eigentlich, vom Ursprung her, diese ganze Situation letztlich zu verantworten haben. Vordergründig betrachtet, sind es die Israelis, die mit ihren militärischen Mitteln und Dingen diese Verwüstungen angerichtet haben, aber dahinter steckt natürlich die Hamas, das muss man immer wieder betonen, die mit ihren Waffen zunächst die Israelis nicht nur bedroht haben, sondern die israelische Bevölkerung in Panik versetzt haben, und das ist die Ursache. Aber unabhängig davon –
    "Israel ist ein Rechtsstaat"
    Schulz: Aber die israelische - Herr Robbe, war die israelische Offensive nach allem, was wir bisher wissen, verhältnismäßig?
    Robbe: Das will ich an dieser Stelle nicht beurteilen. Ich kann es auch gar nicht, weil mir dafür die Informationen ganz schlichtweg nicht vorliegen. Aber ich sage Ihnen, all diese Dinge, die jetzt auch zum Vorwurf erhoben werden, die werden ganz detailliert untersucht. Israel ist ein Rechtsstaat, man muss immer wieder darauf hinweisen, und die Israelis selber haben schon eine Untersuchungskommission eingerichtet, die sich mit diesen offenen Fragen und mit diesen Vorwürfen befasst. Auf der anderen Seite werden Sie es aber nicht erleben, dass die islamistische Hamas, die Terroristen in irgendeiner Weise das infrage stellten, was sie angerichtet haben. Das muss man auch an dieser Stelle betonen.
    "Die ganze Situation ist unverhältnismäßig"
    Schulz: Aber Herr Robbe, Sie sagen, Ihnen liegen die ausreichenden Informationen nicht vor. Die Verhältnismäßigkeit, das ist ja immer eine Abwägung von Nutzen und Kosten. Die Kosten, das haben wir gerade gehört, die sind sehr hoch – was hat Israel denn gewonnen?
    Robbe: Israel hat zunächst einmal einige Ziele gewonnen, aber sie hat diesen Krieg letzten Endes nicht gewonnen. Vor allen Dingen, und das wissen auch alle Politiker – ich war letzte Woche in Jerusalem –, man weiß ganz genau, dass man den Krieg der Bilder nicht gewinnen wird, weil hier immer eine Unverhältnismäßigkeit unterstellt wird. Und diese Unverhältnismäßigkeit hat ihre Ursache darin, dass Sie es auf der einen Seite mit einer regulären Armee zu tun haben, nämlich die israelische Armee, und auf der anderen Seite haben Sie es mit Terroristen zu tun, die aus Wohngebieten heraus ihre Waffen abschießen. Es gibt jetzt auch wirklich deutliche Anzeichen dafür, dass es eine gewollte Strategie der Hamas war, die Zivilbevölkerung, die eigene Bevölkerung zu gefährden und die eigene Bevölkerung quasi als Schutzschild einzusetzen. Und das ist etwas, was sie niemals erklären können, was sie auch niemals darstellen können. Das ist eine Unverhältnismäßigkeit, die es im Grunde in dieser Form auch nur in dieser Situation im Nahen Osten gibt.
    Schulz: Also Unverhältnismäßigkeit, damit meinen Sie den Einsatz oder die Offensive oder die Situation?
    Robbe: Das ist die ganze Situation. Die Israelis haben schlichtweg kaum eine Möglichkeit, sich gegen den Terror zu wehren, wenn sie nicht diese Mittel anwenden, wie sie sie angewendet haben. Wissen Sie, es ging um die Zerstörung dieser Tunnel, und die Israelis waren selber überrascht von der Qualität, vom Umfang, von der Form dieser Tunnel, vom Ausbau dieser Tunnel. Kein Staat dieser Welt – nennen Sie mir einen Staat – ist angewiesen auf derartige Mittel der Kriegsführung. Es gibt im Grunde, das muss man auch immer wieder betonen, keine Begründung dafür, weshalb Gaza überhaupt über diese hochmodernen Waffensysteme verfügen muss. Die sollen ihre Bevölkerung versorgen, die sollen einen Staat aufbauen. Die brauchen eine Polizei, meinetwegen auch mit Handfeuerwaffen, die brauchen aber keine Massenvernichtungswaffen, die brauchen keine modernen Waffensysteme, mit denen dann die israelische Gesellschaft bedroht wird. Darum geht es letzten Endes.
    Vermittlung zwischen Israel und Palästina
    Schulz: Jetzt richten sich die internationalen Beobachter und die Aufmerksamkeit natürlich auf die Vermittlungsbemühungen und auf die Hoffnung für eine hoffentlich dauerhafte Waffenruhe. Welche Bedingungen müssen erfüllt sein?
    Robbe: Ja, zunächst einmal müssen die beiden Seiten überhaupt miteinander reden. Wir in Mitteleuropa haben ja im Moment den Eindruck, dass dort richtige Verhandlungen stattfinden. Im Augenblick geht es nur um den Austausch von Maximalpositionen, und ich persönlich rechne damit, dass es noch einige Tage dauern wird, bis man wirklich am Tisch sitzt und über die konkreten Fakten redet.
    Und dann wird es um die spannende Frage gehen, und darauf richten sich jetzt, glaube ich, auch alle politischen Beobachter auch in allen Hauptstädten dieser Welt. Dann geht es um die spannende Frage, wie kann das erreicht werden, was im Grunde die Bevölkerung in Gaza auch möchte, dass nämlich die Blockade so weit gelockert wird, dass Lebensmittel hineingebracht werden können, dass Baumaterialien hineingebracht werden können. Das, was wir gerade im Grunde auch im Bericht gehört haben. Aber was wir nicht haben dürfen und was wir auch nicht brauchen, ist der Export und praktisch die Lieferung von Waffen und von den Dingen, die wieder in einigen Jahren dazu führen werden, dass wir es mit so einer Situation zu tun haben. Darum wird es gehen.
    Robbe: EU-Grenzmission eine realistische Perspektive
    Schulz: Ja, Herr Robbe, das spricht dafür, um darauf noch kurz zu kommen, dass das Engagement, das Europa jetzt anbietet für Kontrollen an Grenzübergängen, dass das möglicherweise ein realistisches Szenario ist?
    Robbe: Absolut. Deswegen begrüße ich auch persönlich ausdrücklich den Vorstoß von Bundesaußenminister Steinmeier, der ja mit seinen polnischen und französischen Kollegen schon länger darüber nachdenkt, wie man hier auch aus europäischer Sicht unterstützen kann.
    Dies ist aus meiner Sicht eine realistische Perspektive, insbesondere, wenn die israelische Regierung selber auch bereit ist, sich dort auf Dinge einzulassen, über die bisher überhaupt nicht diskutiert worden ist, nämlich eine Kontrolle, meiner Auffassung nach sollte das Ganze auch UN-mandatiert sein, damit man da auch eine internationale, völkerrechtlich einwandfreie Absicherung hat.
    Ich weiß nicht, ob es ausreicht, nur mit Zollbeamten und nur mit polizeilicher Bewaffnung diese ganze Geschichte dann in den Griff zu bekommen. Ich glaube, man kann letzten Endes auf eine militärische Absicherung einer derartigen Überwachungsmission nicht verzichten. Aber das steht im Augenblick nicht im Vordergrund. Im Vordergrund steht die Notwendigkeit, dass die Europäische Union hier Verantwortung übernehmen muss. Und wir wissen, die Amerikaner haben sich inzwischen auf andere Regionen dieser Welt konzentriert. Sie wenden sich in gewisser Weise auch oder ziehen sich zurück aus Krisenherden auch in Nordafrika, im arabischen Raum, und deswegen steht Europa hier in der Pflicht.
    Ob uns das passt und ob unsere Bevölkerung, ob unsere Gesellschaft in Deutschland schon so weit ist, darüber nachzudenken, steht auf einem ganz anderen Blatt. Ich persönlich meine, wir stehen hier in der Pflicht, wir dürfen die Augen nicht verschließen, und auch Deutschland hat, trotz der Vergangenheit - ich sage das ausdrücklich dazu - hier eine besondere Verantwortung, weil die Israelis keinen kurzfristigen Frieden haben wollen, sondern sie wollen einen langfristig gesicherten Frieden. Und da kann Europa eine wichtige Rolle spielen.
    Schulz: Reinhold Robbe, der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, heute hier in den Informationen am Morgen. Danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.