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Gefälschte Arzneistudien
Nur "akzeptierte Institute" beauftragen

Wenn Medikamentenstudien in Ländern durchgeführt werden, in denen es Korruption gebe, müsse mit Fälschungen gerechnet werden, sagte der Gesundheitsexperte Gerd Glaeske im DLF. Er forderte, Untersuchungen nur noch von anerkannten Instituten durchführen zu lassen.

Gerd Glaeske im Gespräch mit Sandra Schulz | 06.12.2014
    Gerd Glaeske, Professor für Gesundheitsökonomie an der Uni Bremen.
    Gerd Glaeske, Professor für Gesundheitsökonomie an der Uni Bremen. (dpa/Privat/Universität Bremen/Zentrum für Sozialpolitik)
    Offensichtlich bringe der Kostendruck die pharmazeutische Industrie dazu, preisgünstigere Studien in anderen Teilen der Welt in Auftrag zu geben. Dort aber gebe es oft starke Korruption und auch das Personal sei vielleicht geringer qualifiziert als etwa in Europa, sagte der Pharmazeut und Professor für Gesundheitsversorgung an der Universität Bremen. Das seien schlechte Voraussetzungen dafür, "vernünftige Studien abzuliefern". Wenn dort durchgeführte Studien nicht günstig verliefen, müsse mit Fälschungen gerechnet werden.
    Er forderte, darüber nachzudenken, solche Studien künftig nur noch "von akzeptierten Instituten" durchführen zu lassen. Nur das gewähre eine Transparenz und eine Sicherheit - sowohl für die Versuchspersonen der Studien als auch für Patienten, die anschließend die Medikamente einnähmen. Von einer Gesundheitsgefährdung gehe er aber nicht aus, sagte der Gesundheitsexperte. Es handele sich bei den meisten Produkten um Generika. Hier gehe es vor allem darum, ob das Medikament äquivalent zu dem Original sei und in seiner Dosierung die gleichen Effekte habe. Probleme befürchtet er aber, wenn eine sehr genaue Einstellung des Patienten wichtig sei, etwa bei Schilddrüsenpräparaten. Er wisse aber nicht, so Glaeske, ob solche Arzneimittel von dem aktuellen Skandal betroffen seien.
    Fast 200 Medikamenten-Zulassungen in Deutschland werden derzeit überprüft, weil sie auf gefälschten Studien einer indischen Firma beruhen könnten. Das gab das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) am Freitag in Bonn bekannt. Ein Gesundheitsrisiko bestehe aber nicht.

    Das Interview können Sie hier in voller Länge nachlesen:
    Sandra Schulz: Für Risiken und Nebenwirkungen lesen Sie die Packungsbeilage oder fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker, heißt es ja in der Werbung immer. Das setzt natürlich voraus, dass Arzt oder Apotheker die Risiken und Nebenwirkungen auch kennen, und gerade daran konnten einem jetzt Zweifel kommen nach den Medienberichten vom Ende der Woche. Danach könnten zahlreiche Studien, die Voraussetzung für die Zulassung von neuen Medikamenten sind, manipuliert worden sein. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte kündigt jetzt an, erste Arzneimittel vom Markt zu nehmen. Anna Neifer berichtet
    Informationen waren das von Anna Naifer. Und am Telefon ist jetzt Professor Gerd Glaeske, an der Uni Bremen Leiter der Abteilung Gesundheitsökonomie, Gesundheitspolitik und Versorgungsforschung. Guten Morgen!
    Gerd Glaeske: Guten Morgen, Frau Schulz!
    Schulz: Was bedeuten die Erkenntnisse insgesamt für die Medikamentensicherheit. Wie groß ist die Dimension?
    Glaeske: Sie bedeuten insgesamt, dass wir die Probleme immer weiter entfernt sehen. Das heißt, wir haben eine globalisierte Welt, wir haben offensichtlich einen Kostendruck, der die pharmazeutische Industrie dazu bringt, um ihre Profite zu halten, immer weiter in andere Länder zu gehen, in denen möglicherweise die klinischen Studien und auch sonstige Untersuchungen etwas preisgünstiger zu haben sind als im europäischen Umfeld. Und das bedeutet natürlich, dass wir die Überwachungsmöglichkeiten oder auch die Situation vor Ort mit einkalkulieren müssen, die oftmals leider, muss man sagen, auch von Korruption und von wenig Qualifikation geprägt sind. Und das könnte bedeuten, dass man im Grunde genommen hier zum ersten Mal aufdecken konnte, dass diese Voraussetzungen eigentlich sehr schlechte Voraussetzungen dafür sind, vernünftige Studien abzuliefern, beziehungsweise dann, wenn Studien vielleicht nicht ganz so günstig ausgehen, mit Fälschungen rechnen zu müssen.
    Keine Gesundheitsgefährdung bei Generika
    Schulz: Wir haben gerade gehört, dass Experten nicht von einer Gesundheitsgefährdung ausgehen. Teilen Sie das?
    Glaeske: Ich teile das bei den Generika, weil das bei den Generika, also bei den üblichen und meisten Generika im Prinzip ja darauf ankommt, dass ich einen Wirkstoff habe, der ist klinisch beschrieben, das ist ein Wirkstoff, der ist längst untersucht, und es geht jetzt darum, zu prüfen, ob die Generika gegenüber dem Erstanbieter, also dem sogenannten Originalprodukt dann äquivalent sind. Das heißt, es werden neue Patienten damit behandelt, mit dem Generikum behandelt, um zu sehen, ob die gleiche Wirkungsstärke und die gleiche Wirkungsdosierung bei diesen Patienten die gleichen Effekte hat.
    Und das hat natürlich Probleme dann, wenn es um Arzneimittel geht, die sehr eng eingestellt werden müssen. Denken Sie zum Beispiel an Schilddrüsenpräparate oder Antiepileptika. Ich weiß jetzt nicht genau, welche Arzneimittel insgesamt dort eine Rolle spielen. Also immer dann, wenn es um eine sehr, sehr genaue Einstellung geht – und wir haben solche Arzneimittel –, kann es in diesem Zusammenhang bei Bioäquivalenzstudien, die dann auseinanderdriften, zu Problemen für die Patienten kommen. Aber davon ist bisher keine Kenntnis dargestellt worden.
    Grundsätzlich gehe ich mal davon aus, dass für die Patientinnen und Patienten keine, ich sag mal, erkennbaren Probleme auftreten als die, dass möglicherweise bei einer Umstellung die Wirkstärke des Generikums nicht so genau vergleichbar ist wie die des Originalproduktes, das dann bis dahin verordnet worden ist.
    Vertrauensverlust in Generika darf nicht steigen
    Schulz: Müssen Patienten – fast jeder nimmt ja ab und zu ein Medikament – müssen Patienten jetzt sozusagen durch die Bank reagieren?
    Glaeske: Na ja, was ich erkennen kann und schon aufgrund der Diskussion erkennen kann, ist, dass Patientinnen und Patienten also ein bisschen an Vertrauen in die Generika verlieren, was mich natürlich sehr stark beunruhigen würde, weil die Generika im Prinzip eine Basis in der Zwischenzeit der Versorgung in Deutschland sind. 75 Prozent aller Arzneimittelverordnungen werden mit Generika bestritten. Das heißt, wir haben eine Situation, wo man Generika als kostengünstige Nachahmerprodukte mehr und mehr verordnet.
    Und wenn das Vertrauen in Generika sinkt, weil man meint, über diese Vorfälle jetzt ableiten zu können, dass das bei einigen anderen Generika auch der Fall ist, dann wäre das natürlich eine Situation, die für Patientinnen und Patienten eben sehr unsicher ist und mit Unsicherheit verbunden ist. Insofern ist das ein gewisser Punkt. Und darum meine ich, dass die pharmazeutischen Hersteller aufgerufen werden müssen, tatsächlich für die Sicherheit und die Qualität der Studien zu sorgen und deutlich zu machen, dass das Vertrauen in diese Generika und das Vertrauen in diese Studien gerechtfertigt ist. Und darum ist es nur sinnvoll, dass auch jetzt von den Zulassungsbehörden die Studien noch einmal überprüft werden, um zu schauen, welche dieser Generika, die auf dem Markt sind, möglicherweise durch die Studien nicht in ihrer Qualität gedeckt sind und dann entweder neue Studien gemacht werden müssen oder eben diese Mittel vom Markt müssen.
    Studien und Institute müssen sorgfältig überprüft werden
    Schulz: Bekannt wurde das jetzt ja mehr oder weniger zufällig durch eine Stichprobe. Ist das die Konsequenz, die es jetzt geben muss, dass es einen Appell gibt an die Pharmaunternehmen, sozusagen für mehr Sicherheit zu sorgen?
    Glaeske: Nein, es geht auch an die Überwachungsbehörden. Man muss natürlich deutlich machen, dass man, wie das auch schon längere Zeit in den USA der Fall ist, dass man die Institute, in denen solche Studien gemacht werden, gut kennt. Dass man auch schwarze Listen hat, dass man auch sieht, welche Prüfleiter von solchen Studien vielleicht auffällig sind, dadurch, dass ihnen hier und da die echte Qualifikation fehlt. Dass man eben genau hinschauen muss, wie sind die Studien überhaupt angelegt, bis hin zu der Frage, ist es überhaupt sinnvoll, dann an Menschen in Indien solche Untersuchungen zu machen und dann zu vermuten, dass das eigentlich die gleichen Ergebnisse hätte, wenn man diese Studien in Deutschland oder in Europa macht.
    Ich denke mal, da gibt es schon auch immer wieder Unterschiede bezogen auf die Fragestellung von Krankheiten, die die jeweiligen Menschen haben, auch die Fragestellung, welche Menschen werden eingeschlossen in solche Studien. Das alles bringt eigentlich die Notwendigkeit auf, darüber nachzudenken, ob nicht grundsätzlich viel mehr wieder gefordert werden muss, solche Studien in akzeptierten Instituten durchzuführen, damit man eben auch solche Probleme, die dann entstehen können, weil man möglicherweise entstehen können, weil man möglicherweise hier ein Produkt gehabt hat, das die Anforderungen nicht erfüllt und dann meinte, durch Fälschungen das Ganze doch irgendwie "korrigieren" zu müssen, dass man dieses Risiko eben ausschließen kann. Und das scheint, je weiter wir weggehen mit diesen Instituten, nicht mehr unbedingt der Fall zu sein.
    Transparenz ist nicht in allen Ländern vorhanden
    Schulz: Das heißt, das ist nicht mehr gerechtfertigt, eben an diese Institute zu gehen, nach Osteuropa, Asien, Südamerika, was ja offenbar, Sie haben es ja auch gerade gesagt, immer mehr gemacht wird?
    Glaeske: Ich halte es für ein großes Problem. Und ich halte es auch für ein großes Problem, weil dadurch natürlich auch dieses Vertrauen in die Sicherheit von Arzneimitteln, Arzneimittelherstellung geschwächt wird. Und ich glaube, dass es ganz wesentlich ist für pharmazeutische Hersteller, dann eben auch Studien dort durchzuführen, wo man mit einer Qualifikation, mit einer auch Überwachung der Patientinnen und Patienten – es geht ja auch um die Aufklärung der Patienten, es geht darum, dass die Patienten wissen, was überhaupt mit ihnen geschieht, und das ist sicherlich in all diesen Ländern nicht unbedingt der Fall –, dass man wirklich hier eine Transparenz hat, eine Qualifikation hat, die auch für uns dann in diesem Land, wo die Arzneimittel eingesetzt werden, eine Sicherheit bieten und von der Qualifikation dann ausgehen kann, dass die Arzneimittel tatsächlich so wirken, wie sie wirken sollen und wie der Arzt sie verordnet hat.
    Probandenmissbrauch ist nicht auszuschließen
    Schulz: Werden die Probanden in anderen, in ärmeren Ländern benutzt als menschliche Versuchskaninchen, wenn sie an Studien teilnehmen, vielleicht auch wegen finanziellen Drucks.
    Glaeske: Das ist sicherlich nicht auszuschließen. Und wir haben ja Gesundheitssysteme, in denen auch die medizinische Versorgung relativ schlecht ist oder schlechter gestellt ist. Und wir wissen auch, dass dort Patientinnen und Patienten auch sehr gerne in klinische Studien gehen, weil es im Grunde genommen eine der wenigen Möglichkeiten ist, überhaupt medizinisch versorgt zu werden, medizinisch untersucht zu werden. Das heißt also, wir haben völlig andere Voraussetzungen. Und wir wissen eben auch, dass die Leiter dieser klinischen Studien, die Ärztinnen und Ärzte, oft nicht frei sind davon, Korruptionsangebote anzunehmen und im Prinzip mit leichter Hand solche Patientenaufklärungen durchzuführen und die Unterschriften möglicherweise sogar zu fälschen. Und man muss auch davon ausgehen, dass viele dieser Patienten vielleicht gar nicht verstehen, was dort dann in den klinischen Studien geschieht.
    Also all das bringt viele, viele Fragen mit sich, gerade in Ländern, die sich dabei sind, zu entwickeln, gerade in Ländern, in denen das Gesundheitssystem vielleicht nicht den Stellenwert hat, wie das schon bei uns entwickelt worden ist. Insofern sind all diese Notwendigkeiten eben zu berücksichtigen, gerade in diesen Ländern darauf zu achten entweder, oder grundsätzlich, was ich die bessere Lösung fände, in solchen Ländern eben nicht mehr klinische Studien durchzuführen, weil es dazu führen kann, dass man tatsächlich Ergebnisse hat, die man letzten Endes nicht für Zulassungsstudien verwenden sollte.
    Schulz: Über genau genommen zwei Skandale bei Studien zu Medikamenten habe ich gesprochen mit Professor Gerd Glaeske, Gesundheitsökonom von der Uni Bremen, heute hier im Deutschlandfunk. Vielen herzlichen Dank!
    Glaeske: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.