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Messengerdienst Telegram
Was die Politik gegen Hetze und Gewaltaufrufe tun kann

Der Messengerdienst Telegram steht immer wieder wegen der Verbreitung von Hassbotschaften in der Kritik. Nun will das Bundesinnenministerium härter durchgreifen. Nur wie? Telegram zu regulieren ist schwer - auch weil das Unternehmen kaum zu erreichen ist.

Text: Isabelle Klein und Bettina Schmieding |
    Eine Hand hält ein Smartphone mit der geöffneten Telegram-App
    Telegram ist ein in Deutschland weit verbreiteter Messenger-Dienst (IMAGO / YAY Images)
    Bei Telegram werden immer wieder Todesdrohungen gegen Politikerinnen, Wissenschaftler und Journalistinnen geäußert und geteilt. Politische Entscheidungsträger in Deutschland suchen daher händeringend nach Möglichkeiten, den Messengerdienst in die Schranken zu weisen . Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte Mitte Januar in einem Interview gesagt, sie wolle Telegram abschalten lassen - jedoch ohne näher auf die Details einzugehen.
    Obwohl das Netzwerkdurchsetzungsgesetz nach Ansicht des Bundesinnenministeriums bei Telegram angewendet werden kann, fehlt es offensichtlich an wirksamen Sanktionsmöglichkeiten, wenn der Messengerdienst Hass und Hetze nicht ahndet. Bundesinnenministerin Faeser hat sich unterdessen von ihrer Ankündigung, Telegram abzuschalten, distanziert. Sie habe lediglich den Druck auf den Messengerdienst erhöhen wollen, sagte sie im Hessischen Rundfunk.

    Was unternehmen die Sicherheitsbehörden gegen Telegram?

    Das Bundeskriminalamt (BKA) richtete in dieser Woche eine Taskforce zur Verfolgung von Straftaten bei Telegram ein. Ziel sei es, Tatverdächtige zu identifizieren und strafrechtlich zu verfolgen, wie die Behörde mitteilte. Dabei will das BKA eng mit den Polizeien der Bundesländer und der Zentralstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main zusammenarbeiten. Überprüft werden auch das Verhalten des Messengerdienstes bei Löschungsanregungen und Bestandsdatenabfragen im Bereich der politisch motivierten Kriminalität, erklärte die Behörde weiter.
    Da Telegram den Empfang von Behördenpost bislang verweigert, könnte ein neuer Weg über eine Veröffentlichung im Bundesanzeiger führen, wenn Schreiben nicht in angemessener Zeit zugestellt werden könnten. Der neue Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) hatte diese Möglichkeit im Interview mit der "Passauer Neuen Presse" genannt.

    Welches Problem hat Telegram mit Hass und Hetze?

    Telegram gilt vielen Nutzerinnen und Nutzern trotz fehlender Ende-zu-Ende-Verschlüsselung privat als sichere Alternative zum Messengerdienst WhatsApp. Spätestens seit sich dort in der Corona-Pandemie Falschnachrichten und Hassbotschaften zum Thema häufen, ist klar, dass die App auch von Verschwörern und Kriminellen gerne genutzt wird.
    In Telegram-Kanälen würden mittlerweile direkte Aufrufe zur Gewalt geteilt, erklärte der Journalist Alexander Roth im Dlf, der die sogenannte Querdenker-Szene dort beobachtet hat. Die Diskussion über eine allgemeine Corona-Impfpflicht sei ein entscheidender Punkt bei der Radikalisierung.
    Bei Telegram verbreiteten sich Verschwörungsmythen besonders gut, weil auch die Vernetzung gut funktioniere, sagte Simone Rafael von der Amadeu Antonio Stiftung im Deutschlandfunk Kultur: "Telegram erlaubt es sehr einfach, Kanäle und Gruppen zu erstellen, Inhalte zu teilen. Das heißt, man kann auch als Einzelperson oder als einzelne kleine Gruppe sich schnell einer großen Bewegung anschließen, die es dort schon gibt. Das gilt leider eben auch für rechtsextreme, demokratiefeindliche oder kriminelle Kräfte".

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    Was will die Politik dagegen tun?

    Nach Ansicht des Bundesinnenministeriums und des Bundesamtes für Justiz handelt es sich bei Telegram um ein soziales Netzwerk, das dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) unterliegt. Damit seien die Betreiber verpflichtet, gegen strafbare Inhalte vorzugehen. Messengerdienste werden eigentlich vom Netzwerkdurchsetzungsgesetz nicht erfasst, wenn sie zur Individualkommunikation bestimmt seien. Bei Telegram aber könnten öffentliche Kanäle inzwischen von einer unbegrenzten Anzahl an Personen abonniert werden. Für diese Kanäle gälten bereits heute dieselben Regeln wie etwa für Facebook oder Twitter, so Faeser gegenüber der Funke Mediengruppe.

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    Telegram müsse demnach offensichtlich strafbare Inhalte innerhalb von 24 Stunden löschen und rechtswidrige Inhalte innerhalb von sieben Tagen. Außerdem gelte eine Meldepflicht an das Bundeskriminalamt.
    Auch aus Sicht von Bundesjustizminister Buschmann muss Telegram vom Netzwerkdurchsetzungsgesetz erfasst werden. "Telegram ist mehr als ein Messengerdienst. Dort gibt es Funktionalitäten, mit denen man sich an hunderttausende Menschen richten kann, die auch für die allgemeine Öffentlichkeit zugänglich sind. Insofern meinen wir, dass Telegram ein soziales Netzwerk ist", sagte Buschmann am 13.12.2021 in den Tagesthemen. Es brauche hier aber einen "gemeinsamen europäischen Rechtsrahmen" gegen Hass und Hetze im Netz. "Mein Wunsch ist, dass wir keinen deutschen Sonderweg einschlagen", so Buschmann bei Twitter.

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    Die SPD-Co-Vorsitzende Saskia Esken forderte im Dlf-Interview die Sicherheitsbehörden dazu auf, öffentliche Telegram-Chatgruppen schon jetzt nach strafbaren Inhalten zu durchsuchen und diese dann auch zu verfolgen. "Das wäre dringend notwendig, dort werden Straftaten angekündigt, die dann anschließend auch entsprechend umgesetzt werden", so Esken.
    Umgang mit Telegram - Interview Saskia Esken, SPD-Parteivorsitzende (14.12.2021)

    Welche Möglichkeiten hat die Politik, Telegram zu regulieren?

    Viele Optionen hat die Politik hier aus Sicht von Matthias Kettemann, Experte für Internetrecht und Professor an der Universität Innsbruck, nicht. Neue nationale Gesetze "werden bestimmt nicht kommen", sagte er im Dlf. Denn die EU berate derzeit noch den Digital Services Act, der Plattformen verpflichten soll, strafbare Inhalte zu löschen und den Behörden zu melden. Es sei sinnvoll, die bestehenden Gesetze besser durchzusetzen.
    Ein Verbot hält Kettemann für verfassungswidrig. "Unsere Lösung darf nicht sein, Telegram zu sperren. Wir müssen Telegram zwingen, besser zu moderieren und klar rechtswidrige Inhalte schneller zu löschen". Das gehe einerseits über gesellschaftlichen Druck auf Telegram, andererseits über den Druck durch "die großen Gatekeeper".
    Telegram habe beispielsweise die Kanäle von Attila Hildmann auf den Druck der App-Stores hin gelöscht. „Der deutsche Staat kann noch nicht effektiv gegen alle Arten von Rechtswidrigkeit online vorgehen. Da sind die privaten Eigentümer der Onlineräume sehr stark gefragt – auf die muss Druck ausgeübt werden", so Kettemann.

    Warum ist Telegram so schwer zu erreichen?

    Das Bundesamt für Justiz hat gegen Telegram bereits zwei Verfahren wegen Verstößen gegen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz geführt, auf die das Unternehmen mit Sitz in Dubai aber nicht reagiert: Bundesjustizminister Marco Buschmann konnte am 13.12.2021 in den Tagesthemen lediglich mitteilen, dass sein Ministerium Telegram bislang nicht erreicht habe. "Da funktioniert wenig – Telegram will einfach nicht", so Kettemann.
    Telegram hat seinen Firmensitz nach eigenen Angaben in Dubai. „Spiegel“-Journalisten wollten für eine Recherche über den App-Gründer Pawel Durov mehr darüber erfahren und sind nach Dubai gereist – konnten am Firmensitz allerdings keine Mitarbeiter antreffen, beschreibt „Spiegel“-Redakteur Max Hoppenstedt im Dlf:
    „Es ist ein hohes Bürogebäude in der Nähe der Flaniermeile in Dubai. Dort, im dreiundzwanzigsten Stock, ist der offizielle Firmensitz des Unternehmens, aber da ist niemand. Das Büro scheint verwaist zu sein. Selbst die Empfangsdame sagte: Wir haben nichts von denen im System, nicht mal Kontaktdaten. Sie konnte sozusagen nur sehen, dass die Büros dort eigentlich sein müssten. Das deckt sich mit dem, was auch die Regierung und die anderen da sehen.“

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    Wo der Firmensitz tatsächlich ist, könne man schwer bestimmen, so Hoppenstedt. Pawel Durov, der das Unternehmen in Sankt Petersburg gegründet habe, zeige sich auf seinem Instagram-Profil immer wieder von vielen Orten auf der Welt. Dubai spiele aber „zumindest eine wichtige Rolle im Unternehmen“. Durov selbst habe sich schon mit hochrangigen Vertretern aus den Emiraten getroffen, „was insofern bemerkenswert ist, weil er ja sonst eine Staatsferne pflegt“.
    "Spiegel"-Redakteur Max Hoppenstedt über den Messenger Telegram (14.12.2021)
    Dass Telegram noch nicht auf Schreiben der Bundesregierung reagiert hat, wundert Hoppenstedt nicht. Das Unternehmen sei dafür bekannt, relativ staatsfern zu sein und nicht auf Anordnungen von Regierungen zu reagieren. „Bis zum heutigen Tag haben wir 0 Byte Nutzerdaten an Dritte weitergegeben, einschließlich aller Regierungen“, heißt es in den FAQs der offiziellen Telegram-Seite.