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Geheimdienstexperte: BND wusste von den Spähprogrammen

Die britischen und amerikanischen Spionageprogramme stehen "in einer langen Traditionslinie von nachrichtendienstlichen Angriffen der Angelsachsen auf Kerneuropa", sagt Erich Schmidt-Eenboom. Der Geheimdienstexperte schließt nicht aus, dass die Bundesregierung informiert war.

Erich Schmidt-Eenboom im Gespräch mit Peter Kapern | 02.07.2013
    Peter Kapern: Freunde abhören, das geht gar nicht. So ließ es gestern Regierungssprecher Steffen Seibert im Namen seiner Chefin, der Bundeskanzlerin, wissen. Und er dokumentierte damit noch einmal, dass die Regierung von der Datensammlung der US-Geheimdienste hierzulande nichts gewusst hat. Ist das wirklich denkbar? – Das kann uns vielleicht der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom erklären. Guten Morgen, Herr Schmidt-Eenboom.

    Erich Schmidt-Eenboom: Guten Morgen.

    Kapern: Herr Schmidt-Eenboom, SPD-Chef Sigmar Gabriel hat unterstellt, dass Kanzlerin Angela Merkel über das Spionageprogramm der USA möglicherweise doch Bescheid gewusst habe. Die Bundeskanzlerin hat das sehr entschieden dementiert. Wer von den beiden hat Ihrer Meinung nach Recht?

    Schmidt-Eenboom: Ich denke, Herr Gabriel, mindestens tendenziell, weil wir haben in der Bundesrepublik zwei Behörden, die sich mit der äußeren Bedrohung auseinandersetzen: einmal das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, zuständig auch für den Schutz der Regierungskommunikation und verantwortlich für die Beratung der Wirtschaft auf diesem Sektor. Die müssen dort in Bonn sehr gute Bedrohungsanalysen schreiben, die müssen wissen, wie der Gegner aufgestellt ist, und zu den Gegnern zählen eben nicht nur die Volksrepublik China oder Russland, sondern auch die angelsächsischen Dienste. Diese Behörde berichtet dem Bundesinnenministerium und insofern müsste da mindestens in groben Zügen Kenntnis über diese Bedrohungslage bestanden haben. Zum anderen hat der Bundesnachrichtendienst eine technische Abteilung, klärt selber auf, aber weiß natürlich auch genau um die Kapazitäten der Partnerdienste, und die melden an das Bundeskanzleramt.

    Kapern: Sie haben jetzt zwei unterschiedliche Formulierungen benutzt, ist mir aufgefallen, Herr Schmidt-Eenboom. Einmal haben Sie gesagt, die Behörden müssen, und einmal haben Sie gesagt, die Behörden müssten. Was ist denn nun das Wahrscheinlichere im Szenario, dass sie es tatsächlich gewusst haben, oder dass sie es eigentlich hätten wissen müssen?

    Schmidt-Eenboom: Die Behörden haben es nach meiner Einschätzung sehr genau gewusst, weil ja schon aus der offenen Fachliteratur in den Vereinigten Staaten die Darstellung der NSA mit ihrem Jahresetat von zehn Milliarden Dollar, die Darstellung der Stationen, die Darstellung der strategischen Zielrichtung der USA, allgemein bekannt ist, was die treiben. Mit Sicherheit ist auch an das Bundeskanzleramt gemeldet worden. Nur ist im Bundeskanzleramt immer die Frage: Wird es vom Chef des Bundeskanzleramts für so wichtig erachtet, dass eine Kanzlerin damit konfrontiert wird.

    Kapern: Halten Sie es für möglich, dass das Abhören von Millionen von Deutschen durch amerikanische Geheimdienste für so unwichtig gehalten wird, dass die Kanzlerin nichts davon erfährt?

    Schmidt-Eenboom: Das halte ich durchaus für möglich, weil das eine langjährige Praxis ist, eigentlich seit Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Bis 1968 hatten die Alliierten ja ohnehin diese Vorbehaltsrechte, die ihnen erlaubt haben, weitflächig abzuhören. Aber auch auf der politischen Ebene haben wir häufiger erlebt, dass das thematisiert wurde, zum Beispiel von Edmund Stoiber. Damals hat der bayerische Ministerpräsident Anfang der 90er-Jahre der amerikanischen Abhörstation in Bad Aibling den Vorwurf gemacht, sie würde die deutsche Wirtschaft ausspionieren, und die ist dann auch wenige Jahre später geschlossen worden.

    Kapern: Es steht ja auch, Herr Schmidt-Eenboom, die Vermutung im Raum, dass die deutschen Sicherheitsdienste, die deutschen Geheimdienste möglicherweise sogar kooperiert haben bei diesen Abhörprogrammen, möglicherweise davon profitiert haben. Halten Sie das für möglich?

    Schmidt-Eenboom: Auf einem Sektor ganz bestimmt, und das ist die Abwehr des internationalen Terrorismus. Da arbeiten die technischen Aufklärungsbehörden aller NATO-Staaten sehr eng zusammen, auch erfolgreich, und daraus zieht der BND natürlich auch einen großen Nutzen und das ist ein Grund dafür, warum man die anderen Verletzungen des Partnerdienstes nicht thematisiert, nicht an die Öffentlichkeit bringt, weil man sie in diesem Bereich nachhaltig braucht.

    Kapern: Wie muss man sich so eine Zusammenarbeit konkret vorstellen?

    Schmidt-Eenboom: In der Regel tauschen Nachrichtendienste, wenn sie nicht sehr eng befreundet sind wie Briten und Amerikaner, nicht das Rohmaterial aus, sondern sogenannte "finished intelligence". Das heißt Erkenntnisse, die in Studien zusammengefasst werden und die dann unter Partnerdiensten meistens in ihren Auswerterabteilungen diskutiert werden. Ein Sonderfall sind natürlich Terror-Frühwarnungen. Wenn also die NSA aus der Überwachung der Telekommunikation eine akute Bedrohung erkennt, dann geht das sofort als Eilmeldungen an die entsprechenden deutschen Behörden und auch an das Bundeskanzleramt.

    Kapern: Wenn das aufgearbeitete Erkenntnisse sind, also umgeschriebene Erkenntnisse, die das eine Land an das andere, der eine Geheimdienst an den anderen weitergibt, kann es sein, dass der Empfängergeheimdienst dann gar nicht wissen will, wie diese Erkenntnisse zustande gekommen sind?

    Schmidt-Eenboom: Das geht wieder in verschiedenen Bereichen in verschiedene Richtungen. Er will natürlich bei der Terrorbekämpfung sehr genau wissen, wie diese Ergebnisse gewonnen wurden. Da hakt man auch schon mal nach. Aber bei der politischen und wirtschaftlichen Aufklärung, da werden Erkenntnisse kaum getauscht, da folgt jeder seinen eigenen nationalen Interessen. Das hat der amerikanische Außenminister Kerry ja auch sehr deutlich gemacht, dass es nicht nur um gemeinsame Bündnisinteressen geht, sondern in erster Linie prioritär um die nationale Sicherheit der USA, und das scheint zu umfassen, dass man auch die Politik und die Wirtschaft der Bundesrepublik Deutschland intensiv aufklärt.

    Kapern: Und wenn Sie nun lesen, Herr Schmidt-Eenboom, dass die NSA Büros und Sitzungsräume der Europäischen Union in Brüssel oder deren Vertretungen in Washington und New York ausspioniert hat, klingt das für Sie plausibel?

    Schmidt-Eenboom: Auch das hat eine lange Tradition. Wir haben vor einigen Jahren erlebt, dass die Amerikaner diese Bankenzentrale für alle innereuropäischen Überweisungen ausspioniert hat. Wir haben erfahren, dass die Briten schon in den 80er-Jahren die Europäische Gemeinschaft intensiv ausgeforscht haben, vorrangig Frankreich und die Bundesrepublik Deutschland. Das steht also in einer langen Traditionslinie von nachrichtendienstlichen Angriffen der Angelsachsen auf Kerneuropa.

    Kapern: Gibt es das auch anders herum? Hat der BND das Weiße Haus verwanzt?

    Schmidt-Eenboom: Nein, in keiner Weise. Der BND ist außerordentlich gut parlamentarisch kontrolliert. Der muss selbst seine Suchwortlisten von der G10-Kommission des Deutschen Bundestages genehmigen lassen und er konzentriert sich wirklich auf elementare Bedrohungen wie organisierte Kriminalität oder internationalen Terrorismus.

    Kapern: Das heißt, Sie halten es bei den deutschen Geheimdiensten für ausgeschlossen, dass die derart außer Kontrolle geraten, wie man es jetzt der NSA unterstellt?

    Schmidt-Eenboom: Die NSA ist ja nicht außer Kontrolle geraten, sondern sie folgt Weisungen des Weißen Hauses. Und der BND folgt Weisungen des Bundeskanzleramts und die sehen nicht vor, dass es Wirtschafts- und Politikspionage gegen enge Verbündete gibt.

    Kapern: Der Geheimdienstexperte Erich Schmidt-Eenboom, der Direktor des Forschungsinstituts für Friedenspolitik in Weilheim, heute Früh im Deutschlandfunk. Herr Schmidt-Eenboom, vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Schmidt-Eenboom: Auf Wiederhören!


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