Klimakrise
Brauchen wir ein neues Wirtschaftssystem?

Die Art, wie in den letzten 200 Jahren gewirtschaftet wurde, mit fossiler Energie und stetigem Wachstum, hat die Klimakrise produziert. Welche Auswege gibt es? Reichen regulierte Märkte oder braucht es ein ganz anderes System?

    Ein mit Kohlenstaub bedeckter Bergmann trägt mit freiem Oberkörper ein schweres Metallrohr. Von seinem gelben Helm strahlt die Grubenlampe in die Dunkelheit der Kohlenmine. Stonava near Karvinâa, Czech Republicâ, January 22, 2025.
    Bergbau in Tschechien: Kohle war Grundlage für Industrialisierung und Kapitalismus (IMAGO / CTK Photo / Vladimir Prycek)
    Sind besser regulierte Märkte die Hoffnung für eine klimagerechte Wirtschaft oder braucht es einen radikaleren Systemwechsel? In Deutschland beschäftigen sich Forschende verschiedener Fachrichtungen mit dieser Frage und kommen zu unterschiedlichen Einschätzungen. Ein Überblick über die Grundzüge dieser Debatte:

    Inhalt

    Was verstehen Forschende unter Kapitalismus?

    Die meistzitierten wissenschaftlichen Arbeiten zu den Schlagworten „Klima“ und „Kapitalismus“ argumentieren, der Weg aus der Klimakrise bedeute den Abschied vom Kapitalismus. Oder noch drastischer: Sie sehen den Kapitalismus bereits an sein Ende gekommen. Immerhin gehen die Naturressourcen, die das Wachstum der letzten zwei Jahrhunderte ermöglicht haben, inzwischen zur Neige und werden entsprechend teurer.
    Doch das heißt nicht, dass der Kapitalismus keine Verteidiger:innen in der Klimaforschung hätte. Bloß nennen sie ihn nicht so. Sie sprechen von Marktwirtschaft oder Sozialer Marktwirtschaft, stellt Markus Wissen fest. Der Transformationsforscher von der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin hat 2024 zusammen mit Ulrich Brand das Buch „Kapitalismus am Limit“ veröffentlicht.
    Für ihn zeichnet sich die kapitalistische Wirtschaftsweise durch zwei Merkmale aus: Erstens verfüge eine Minderheit über die Produktionsmittel, während eine Mehrheit nur die eigene Arbeitskraft verkaufen könne. Zweitens sei kapitalistisches Wirtschaften „nicht von dem Motiv geleitet, gesellschaftlich sinnvolle Dinge herzustellen und menschliche Bedürfnisse zu befriedigen. Das Motiv ist vielmehr, Gewinne zu erwirtschaften und einen Teil davon wieder zu investieren, das heißt in Kapital zu verwandeln.“ Und er sagt, der Kapitalismus sei mehr als ein Wirtschaftssystem, nämlich eine Art, die Gesellschaft zu organisieren.

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    Karen Pittel, Umweltökonomin am Münchner Ifo-Institut, widerspricht: „Das ist eben genau, was Kapitalismus nicht ist.“ Kapitalismus verstehe sie nicht als Gesellschaftssystem, sondern rein ökonomisch. Kennzeichnend sei neben dem Privateigentum an Produktionsmitteln der dezentrale Wettbewerb über Märkte. Der führe dazu, dass Ressourcen effizient eingesetzt werden. Schon in den Definitionen zeigt sich eine normative Bewertung: Ungleichheit versus Effizienz. „Da liegt die Schwierigkeit in der Kommunikation zwischen Disziplinen, weil wir eigentlich über unterschiedliche Dinge reden“, stellt Pittel fest.

    Warum braucht der Kapitalismus die Natur?

    Wissenschaftliche Strömungen wie die Weltsystemtheorie oder der Postkolonialismus verorten die Entstehung des kapitalistischen Weltsystems im 15. Jahrhundert, mit der Eroberung des amerikanischen Doppelkontinents. Dass die europäischen Eroberer natürliche Ressourcen und menschliche Arbeitskraft ausbeuten konnten, hat die kommenden Epochen maßgeblich geprägt.
    Der moderne Kapitalismus entstand hingegen im 18. Jahrhundert in Großbritannien. Entscheidend war einerseits die industrielle Revolution, andererseits Reformen, die den Privatbesitz an Boden und anderen Produktionsmitteln ermöglichten. Relevant für die Erderwärmung wird der Kapitalismus im frühen 19. Jahrhundert mit dem Zugang zu preisgünstiger fossiler Energie: erst Kohle für den Antrieb der Dampfmaschinen, später Öl und Gas. Das Nebenprodukt waren klimaschädliche Emissionen.
    Dafür, die Atmosphäre mit diesen Emissionen zu belasten, mussten die Unternehmer nichts zahlen – es gab keinen Preis für saubere Luft. Für Transformationsforscher Markus Wissen gehört das zum Kern des Kapitalismus. Die kapitalistische Wirtschaftsweise brauche solche nicht-kapitalistischen gesellschaftlichen Bereiche, um überhaupt funktionieren zu können. Damit meint er die Natur oder auch unbezahlte Haus- oder Pflegearbeit. Doch diese Ressourcen habe der Kapitalismus zusehends erschöpft.
    Aus systemimmanenter Perspektive handelt es sich aber nicht um ein strukturelles Merkmal des Kapitalismus, sondern um ein Versagen des Marktes. Eine Lösung sei, solche Effekte einzupreisen. Mit dieser Strategie beschäftigt sich eine Studie zur Weiterentwicklung der Sozialen Marktwirtschaft vom Münchner Ifo-Institut. Die Einpreisung sei der Ansatz, der am meisten konform sei mit dem vorherrschenden marktwirtschaftlichen Verständnis eines Staates, der den Wettbewerbsrahmen steckt.

    Funktioniert es, Umweltkosten einzupreisen?

    Ein prominentes Beispiel, ökologische Effekte einzupreisen, sind CO2-Preissysteme. Eine übergreifende Studie verschiedener Universitäten kam zu dem Schluss, dass durch 17 von 21 CO2-Preissystemen die klimaschädlichen Emissionen zurückgegangen sind. Doch es gibt Zweifel, ob der CO2-Preis allein die Klimakrise aufhalten kann.
    Obwohl es den 20 Prozent der reichsten Länder gelungen ist, ihr Wirtschaftswachstum vom CO2-Ausstoß zu entkoppeln, steigen global gesehen sowohl die klimaschädlichen Emissionen als auch die Investitionen in fossile Energien. Das zeigt die Grenzen nationalstaatlichen Handelns, immerhin sind Staaten in ein globales Wirtschaftssystem eingebettet.
    Eine Studie kam zu dem Ergebnis, dass ein Teil der im europäischen Handel eingesparten Emissionen ins Ausland verlagert wurde. Und auch der Umstieg auf emissionsfreie Energieträger kann negative Folgen haben. So führt der Abbau von Metallen und Seltenen Erden für Batterien zu sozialen Problemen und Umweltschäden in den Abbauländern.
    Die Studie zur Sozialen Marktwirtschaft baut deswegen darauf, sogenannte planetare Leitplanken einzuhalten. Regulatorische Rahmenbedingungen müssten so gesteckt werden, dass neun Grenzen (wie Temperaturanstieg oder Ozeanversauerung) nicht überschritten werden. Innerhalb dieser Grenzen könne sich der Markt dann frei entfalten und effiziente Lösungen hervorbringen. Markus Wissen ist hingegen skeptisch: „Im Kapitalismus gibt es keine Möglichkeit, demokratisch über das Genug zu entscheiden. Der Kapitalismus ist prinzipiell grenzenlos.“

    Wie kann das Wirtschaften der Zukunft aussehen?

    Die Studie zur Sozialen Marktwirtschaft schlägt einen Instrumentenmix vor. Das zentrale Element darin solle die Einpreisung von Ökosystemleistungen und -kosten sein. Das heißt: Die Umwelt zu belasten, müsste Geld kosten. Wer Maßnahmen zum Umwelt- oder Klimaschutz durchführt, müsste dafür Geld erhalten. Außerdem solle es eine Anschubfinanzierung für technologische Innovationen geben und in Infrastruktur investiert werden. So werde es attraktiver, bestimmte eingeschlagene Pfade wie die Verbrennung fossiler Energieträger aufzugeben.
    Solange es höhere Rendite abwirft, in fossile Energien zu investieren als in erneuerbare, wird das wohl auch passieren. Der Wirtschaftsgeograf Brett Christophers plädiert deswegen für noch weitreichendere Maßnahmen: Der Staat solle nicht nur finanzielle Anreize für erneuerbare Energien setzen, sondern am besten selbst investieren. Das geschieht gerade Großbritannien, wo ein staatlicher Energiekonzern gegründet wurde, um den Ausbau Erneuerbarer Energien voranzutreiben.
    Noch weiter geht Markus Wissens Vision einer „demokratisch geplanten Ökonomie“. In der hätten nicht Kapitalbesitzende, sondern eine breite Masse an Menschen die Möglichkeit, demokratisch darüber zu entscheiden, was, wie und wie viel produziert wird. In seinem Buch „Kapitalismus am Limit“ nennt er das Beispiel von italienischen Arbeitern und Arbeiterinnen, die nach der Schließung der Fabrik den Betrieb übernahmen. Sie entschieden, statt Autos Lastenräder und Photovoltaikanlagen herzustellen.
    Wettbewerb mit planetaren Leitplanken versus demokratisch geplante Ökonomie - die Debatte ist hitzig wie das Klima selbst, und sie hat nicht zuletzt mit unterschiedlichen Wertesystemen zu tun. Doch bei allen Gegensätzen stecken auch Gemeinsamkeiten darin. Sowohl Pittel als auch Wissen sprechen sich für eine stärkere Rolle des Staates aus, beiden ist demokratische Partizipation ein Anliegen.
    Die gesellschaftswissenschaftliche Klimaforschung ist sich weitgehend einig, dass die große Systemfrage nicht mehr heißt: Turbokapitalismus versus autoritärer Einparteiensozialismus. Es geht um neue Wege, demokratische und klimagerechte Wirtschafts- und Gesellschaftsweisen zu entwickeln.

    Mirjana Jandik