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Geißler: Bahn-Ergebnis muss konflikt- und widerspruchsfrei sein

Nach den Worten des ehemaligen Vermittlers im Bahnkonflikt, Heiner Geißler, wäre ein eigenständiger Tarifvertrag für die Lokführer Voraussetzung für eine erfolgreiche Beilegung der Tarifauseinandersetzung. Dieser dürfe jedoch nicht im Widerspruch zu den Vereinbarungen mit den anderen Bahngewerkschaften stehen.

Moderation: Jochen Spengler |
    Jochen Spengler: Am Telefon um 7.20 Uhr ist nun Heiner Geißler, CDU-Politiker und im August gemeinsam mit Kurt Biedenkopf Moderator im Bahnkonflikt. Guten Morgen, Herr Geißler.

    Heiner Geißler: Guten Morgen!

    Spengler: Die Kontrahenten sind gestern Abend zwar ohne Statements auseinandergegangen, dass nun aber heute Morgen seitens der GDL gemeldet wird, dass die Gespräche fortgeführt würden heute – das ist ein gutes Zeichen, oder?

    Geißler: Ja, das ist etwas, was auch alle erwartet haben und es wäre ganz sicher auch ein Fehler, wenn die Gespräche abgebrochen werden würden, denn die Gespräche sind ja die Voraussetzung dafür, dass dann Verhandlungen aufgenommen werden können.

    Spengler: Alle hatten erwartet, dass die Bahn ein Angebot vorlegen würde. Das scheint doch nicht der Fall zu sein. Ist ein solches Angebot notwendig?

    Geißler: Ich weiß nicht, ob ein solches Angebot nicht vorgelegt worden ist. Es kann ja auch sein, dass die Bahn ein Angebot vorgelegt hat, das aber für die Lokomotivführer noch unzureichend war. Notwendig ist es schon, denn es muss ja klar sein, worüber verhandelt werden soll, denn in dem Moment, wo die Verhandlungen beginnen, beginnt ja auch die Friedenspflicht, und dann kann nicht mehr gestreikt werden.

    Spengler: Bislang hat ja die Bahn mehrere Verhandlungsangebote abgegeben, die von der GDL immer als unzureichend zurückgewiesen wurden. Wer trägt die Schuld daran, dass es immer noch diesen Konflikt gibt?

    Geißler: Ach, sehen Sie, da können Sie nicht von Schuld reden. Natürlich sind diese Angebote, die die Bahn bisher gemacht hat, aus Sicht der GDL unzureichend, und deswegen werden die Gespräche ja auch weitergeführt, es sieht ja der Bahnvorstand und auch der Aufsichtsrat genauso. Es muss ein besseres Angebot gemacht werden, wobei man zwei Dinge unterscheiden muss. Das Erste ist, dass die Lokomotivführer einen eigenständigen Tarifvertrag bekommen. Diese Frage, die ist, soweit man sehen kann, bis jetzt zustimmend geklärt.

    Spengler: Warum, Herr Geißler, muss das eigentlich sein? Das haben Sie ja in Ihrem Moderatorenspruch auch vorgeschlagen. Warum muss es ein eigenständiger Tarifvertrag sein?

    Geißler: Es ist eben bei der Ausdifferenzierung unserer Gesellschaft oder der Wirtschaft nicht nur bei der Bahn so, sondern das haben wir ja in anderen Bereichen, dass bestimmte Berufsgruppen sich von den allgemeinen Tarifergebnissen oder Verhandlungsergebnissen nicht mehr ausreichend vertreten fühlen. Das ist bei den Piloten so – deswegen gibt es dort die Vereinigung Cockpit –, das ist im Gesundheitswesen so, bei den Klinikärzten – der Marburger Bund –, das haben wir bei den Fluglotsen, und das wird sich in der Zukunft auch fortsetzen und ist im Übrigen auch gedeckt von unserer Verfassung, in der ja steht, dass auch die Berufsgruppen sich organisieren dürfen. Das hat natürlich ein Problem, das darin besteht, dass bisher die Tarifeinheit gegolten hat, das heißt, dass es in einem Unternehmen eben nur eine Gewerkschaft gibt. Das hat Vorteile, aber es hat jetzt eben wegen der Entwicklung, die ich genannt habe, für besondere, speziell wichtige und in der Verantwortung besonders herausgehobene Berufsgruppen eben Probleme, denn sie fühlen sich in der großen Tarifgemeinschaft nicht mehr richtig vertreten.

    Spengler: Haben sie damit recht? Verdienen die Lokomotivführer wirklich zu wenig, Ihrer Ansicht nach?

    Geißler: Die Lokomotivführer verdienen mit Sicherheit zu wenig, das sagen alle, das sagt auch die Bahn, das sagt der Bahnvorstand, das sagt auch Transnet als die große Gewerkschaft, die sagen alle, die verdienen zu wenig. Das stimmt ja auch.

    Spengler: Aber hätte man nicht in einem bestehenden Tarifvertrag einfach die Bezahlung der Lokomotivführer anheben können?

    Geißler: Kann man alles machen, aber die Lokomotivführer wollen das eben nicht mehr. Sie dürfen auch nicht vergessen, die Lokomotivführer, das ist ja nicht irgendeine Gewerkschaft, die da ad hoc gegründet worden ist, die Lokomotivführer, das ist die älteste Gewerkschaft, die Sie überhaupt hier in der Bundesrepublik Deutschland haben. Die existieren, glaube ich, seit 1870 oder 1880. Es ist eine Gewerkschaft, deren Mitglieder eine große, reiche Tradition haben, die auch stolz darauf sind über das, was sie in der Vergangenheit auch insgesamt für die Wirtschaft und für die Bahn geleistet haben. Auch wenn es jetzt alles mehr oder weniger technisiert ist, tragen die Lokomotivführer doch eine nach wie vor große Verantwortung für einen Zug, der vielleicht insgesamt 500.000 Euro kostet und den sie mit der Geschwindigkeit von 250 oder 300 km/h dann fahren, und da sitzen 200 Leute drin oder 150 Leute drin. Ich glaube, kein Mensch mehr würde in einen Zug einsteigen, wenn er wüsste, da vorne sitzt nur noch ein Automat, sondern die haben eine Verantwortung!

    Sie haben auch eine zusätzliche Belastung, so stellen sie es dar, das wird ja auch anerkannt, und von daher ist eben diese eigenständige Vertretung für die Lokomotivführer so wichtig, und ich glaube auch, dass das gemacht werden kann, da wird es auch innerhalb der Bahn keine Nachfolgeprobleme geben können. Insgesamt in der Wirtschaft werden wir diese Entwicklung vermehrt feststellen müssen, dass eben eine Ausdifferenzierung auch auf Seiten der Gewerkschaft erfolgt.

    Spengler: Ja, Sie haben ja die Schwierigkeiten angesprochen, die das nun mit den anderen Gewerkschaften macht. Sie haben versucht, diesen Schwierigkeiten dadurch zu begegnen, dass Sie in den Moderatorenspruch hineingeschrieben haben, der eigenständige Tarifvertrag müsse konflikt- und widerspruchsfrei zur Tarifeinigung mit den anderen Gewerkschaften sein. Was heißt denn das?

    Geißler: Das ist der Versuch – und ich glaube, es ist die einzige Möglichkeit, wenn man ein Unternehmen nicht gewerkschaftspolitisch zerschlagen will und zwar mit der eigenen Gesellschaft –, unter Wahrung der Einheit eines Unternehmens, des Sozialverbandes Unternehmen, dennoch zwei unterschiedliche Tarifverträge zu bekommen, und zwar dadurch, dass diese Tarifverträge gesondert abgeschlossen werden, also so, wie wir das vorgeschlagen haben, mit der GDL einen Tarifvertrag abzuschließen, der Entgelt- und Arbeitszeitregelungen für die Lokomotivführer umfasst, dass aber parallel dazu auch Verhandlungen geführt werden mit Transnet zum Beispiel hinsichtlich der Entgeltstruktur und …

    Spengler: Ja, die wollen dann nämlich auch wieder mehr haben, und dann wäre der mögliche Lohnvorsprung der Lokführer ja wieder weg.

    Geißler: Es kommt drauf an, was dabei herauskommt, und wir schlagen ja deswegen vor, dass diese getrennten, parallel laufenden Tarifverhandlungen in enger Kooperation zwischen den Lokomotivführern und den anderen durchgeführt werden. Und wir sagen, das Ziel muss natürlich sein, dass die Gewerkschaften sich nicht gegenseitig hochschaukeln, sondern dass ein Ergebnis erzielt wird, das konflikt- und widerspruchsfrei ist. Aber wir sagen, es muss das Ziel sein dieser Verhandlungen, nicht unbedingt ein gleiches Ergebnis, und wenn hier zu große Diskrepanzen auftreten, dann haben wir in einem weiteren Papier ja vorgeschlagen, dass dann ein Konsultations- und auch ein Vermittlungsverfahren realisiert werden soll. Also, wenn man will, dann kann man dieses Verfahren so machen auch mit zwei eigenständigen Tarifverträgen, ohne dass dadurch das ganze Tarifgefüge innerhalb der Bahn zerstört wird.

    Spengler: Heiner Geißler, CDU-Politiker. Danke schön für das Gespräch!

    Geißler: Bitte schön.