Dienstag, 19. März 2024

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Gemeinschaftliches Wohnen
"Die soziale Qualität des Wohnens verbessern"

Sich mit anderen Menschen Wohneinheiten teilen - dies könne nicht nur Wohnraummangel beheben, sondern auch gegen Vereinsamung helfen, sagte Andrea Töllner vom "Forum gemeinschaftliches Wohnen" im Dlf. Diese Form des Wohnens sei kostengünstiger und in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

Andrea Töllner im Gespräch mit Silke Hahne | 21.09.2018
    Häuser der denkmalgeschützten Gartenstadt Falkenberg in Treptow Akazienhof, Architekt Bruno Taut , Berliner Bau und Wohnungsgenossenschaft.
    Wohngenossenschaften haben sich Häuser der denkmalgeschützten Gartenstadt Falkenberg in Treptow Akazienhof erschlossen (imago / Sven Lambert)
    Silke Hahne: Wohnraum wird knapp in den Städten, so wird das Wohnungsproblem häufig verkürzt. Wie also wäre es, wenn mehr Menschen sich Wohnraum teilen? Zum Beispiel in gemeinschaftlichen Wohnprojekten? Darüber konnte ich vor dieser Sendung mit Andrea Töllner von der "Forum gemeinschaftliches Wohnen"-Bundesvereinigung sprechen. Meine erste Frage: Inwiefern kann gemeinschaftliches Wohnen dazu beitragen, den Wohnraummangel zu beheben oder zu lindern?
    Andrea Töllner: Erst mal muss man natürlich sagen, dass gemeinschaftliches Wohnen ja erst mal darauf setzt, die soziale Qualität des Wohnens zu verbessern. Ein Faktor ist, gegen Vereinsamung anzugehen und gegen die immer höhere Anonymisierung der Gesellschaft. Aber es kann auch dazu beitragen, tatsächlich Wohnraummangel zu beheben, indem, wenn man sich gemeinschaftliches Wohnen anguckt, ja immer private Rückzugsflächen vorhanden sind, private Wohneinheiten, wo man auch die Tür zumachen kann, und dann aber größere Gemeinschaftsbereiche und es in vielen Projekten tatsächlich so ist, dass der private Rückzugsraum wesentlich weniger Quadratmeter umfasst als in einer herkömmlichen Wohnung, weil viele der Gemeinschaftsflächen ja das ersetzen, was man in der Wohnung sonst noch hat, nämlich ein größeres Wohnzimmer, ein Gästezimmer, wenn die Kinder mal kommen, und Ähnliches, sodass es in der Tat so ist, dass es zu Flächeneinsparungen kommen kann.
    Das Spannende eigentlich an gemeinschaftlichem Wohnen, dass ja in der Regel gemeinwohlorientierte Wohnungsunternehmen, gemeinwohlorientierte Akteure diejenigen sind, die gemeinschaftliches Wohnen schaffen, und das ist ja das Interessante im Hinblick auf Wohnraummangel, weil man da natürlich dann sagen kann, wir haben ja ein Problem damit, dass sehr viel im Luxussegment oder im besonders hochpreisigen Segment tatsächlich gebaut wird und die kostengünstigen Wohnungen fehlen. Setzt man jetzt stärker auf Wohnungsunternehmen, die nicht renditeorientiert handeln, sondern gemeinwohlorientiert, dann hat man natürlich auch automatisch einen anderen Blick auf die Kosten.
    Trend zu Genossenschaften und Stiftungen
    Hahne: Es ist auch ein bisschen günstiger tatsächlich?
    Töllner: Das Wohnen selber ja, weil es wird natürlich kostengünstiger gebaut. Es werden keine Wohnungen gebaut, die zum Luxussegment gehören, die groß sind, die teure Ausstattungen haben, sondern es sind tatsächlich kostengünstigere Wohnungen.
    Hahne: Auf welche Probleme stoßen diese Projekte denn bisher?
    Töllner: Die Projekte, die Gruppen stoßen auf das Problem, dass sie, je nachdem ob sie Wohnraum zur Miete suchen, oder ob sie auch selber bauen wollen, immer das Problem haben, wenig Grundstücke zu finden. Die Grundstücksknappheit ist natürlich ein ganz, ganz großes Problem. Wenn die Gruppen Unternehmen suchen, Wohnungsunternehmen, von denen sie mieten können, haben auch die Wohnungsunternehmen wieder das Problem, entsprechend geeignete Grundstücke zu finden. Das ist klar. Aber es gibt auch immer mehr den Trend, dass es speziell für gemeinschaftliches Wohnen Wohnungsunternehmen gibt, neue Genossenschaften gegründet werden, Stiftungen gegründet werden als Wohnungsunternehmen für diese Wohnform, und die haben natürlich auch letztendlich immer das Problem, dass sie eigentlich mehr Eigenkapital bräuchten zu Beginn, dass es oft nicht ausreichend ist, um dann möglichst schnell das Geld zusammen zu haben, das entsprechende Grundstück, was gerade frei geworden ist, auch zu erwerben.
    Kostengünstiger Wohnraum für die Mittelschicht
    Hahne: Auf welcher staatlichen Ebene müsste man jetzt bei der Problemlösung ansetzen?
    Töllner: Eigentlich müsste man gucken, dass man sagt, man muss sehr stark die Wohnungsunternehmen, die diese Gemeinwohlorientierung haben, nämlich viele neue Genossenschaften - es gibt Kommunen, die mittlerweile extra Genossenschaften gründen, um kostengünstigen Wohnraum in ihren eigenen Kommunen zu schaffen -, diese neuen Strukturen zu unterstützen, um einfach zu sagen, man geht weg von dem rein renditeorientierten Segment, man hat einfach viel mehr Akteure neben den ja schon vorhandenen kommunalen Wohnungsunternehmen, die auch schon gut dabei sind, gemeinschaftliche Wohnprojekte zu schaffen, aber einfach viel mehr neue Genossenschaften, Stiftungen, andere wohnungspolitische Akteure, die es ja jetzt auch schon gibt. Es gibt Städte, in denen funktioniert das schon wunderbar. Es gibt auch gerade im ländlichen Raum schon ganz viele neue kleine Gründungen von Wohnungsunternehmen, die genau dieses Segment, kostengünstigen Wohnraum für die untere Mittelschicht letztendlich zu schaffen, auch bedienen. Das merken die Kommunen ja auch selber, dass es da fehlt und unterstützen dann diesen Prozess, eine neue Genossenschaft zu schaffen, indem sie selber ihr Know-how zur Verfügung stellen, selber auch finanzielle Mittel dafür geben. Aber da müsste natürlich sehr viel stärker noch eine Beratung und Begleitung erfolgen.
    Gute Nachbarschaft, familiäre Strukturen
    Hahne: Wäre das Ihrer Meinung nach einen Fokus wert zu sagen, wir legen einen größeren Fokus auf das gemeinschaftliche Wohnen? Hat davon auch die Gesellschaft was?
    Töllner: Dem gemeinschaftlichen Wohnen wird ja immer noch vorgeworfen, dass es eine sehr starke, mit vielen Idealen besetzte Bewegung sei. Das ist aber, denke ich, schon lange nicht mehr der Fall, dass man da immer noch an Graswurzel-Projekte, WGs denkt, sondern gemeinschaftliches Wohnen ist unserer Erfahrung nach sehr in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Es kann total niedrigschwellig gelebt werden, weil man ja eigentlich immer sagt, eine gute Nachbarschaft braucht jeder, familiäre Strukturen braucht auch jeder, und aufgrund der unglaublich hohen Vereinsamung und der hohen Anonymisierung in der Gesellschaft ist gemeinschaftliches Wohnen erst mal eine mögliche Antwort auf Wohnen und die sozialen Fragen, mit denen wir uns beschäftigen. Insofern kann man da auch gar nicht mehr sagen, das ist nur für bestimmte Menschen mit einem bestimmten Bildungsgrad. Es kommt immer darauf an, wie es umgesetzt wird.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.