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Georgien
Zwischen der EU und Russland

In Vilnius beginnt der EU-Gipfel zur östlichen Partnerschaft. Russland betrachtet die Länder dieser EU-Partnerschaft als sein Einflussgebiet. In Georgien gibt es inzwischen wieder Stimmen, die eine Annäherung an Russland aus wirtschaftlichen Gründen vorziehen.

Von Thomas Franke |
    Eine Schneiderei in Tiflis. Etwa zehn Frauen nähen für den Designer Avtandil. Avtandil ist das wohl erfolgreichste Modelabel Georgiens. Etwa 40 Leute arbeiten hier. Für das Unternehmen sei der westliche Markt nur bedingt attraktiv, erläutert Geschäftsführer Zurab Mgaloblishvili.
    "Heute sind für uns die asiatischen Länder und die ehemaligen Sowjetstaaten wichtiger. Denn die Menschen in diesen Ländern geben mehr Geld aus als in Europa.
    Die Leute dort interessieren sich heute mehr für Mode und kaufen."
    Avtandil liefert Kleidung unter anderem nach Kuwait und Saudiarabien, nach Italien und England, vor allem aber auch in die Ukraine, nach Kasachstan und Russland. Kasachstan und Russland sind Mitglieder der von Russland gegründeten Zollunion. Eine Mitgliedschaft Georgiens würde für solche Unternehmen einiges erleichtern.
    Elf Jahre war Georgien auf Westkurs Richtung NATO und EU. Auch Kakha Kukava. Nun verspricht sich der Anführer der oppositionellen Konservativen Partei große Vorteile von einem Kurswechsel. Georgien könne zu wenig in die EU exportieren, klagt er. Er sieht in der Zollunion mit Kasachstan, Weißrussland und Russland eine echte Alternative.
    "Ich unterstütze diese Handels- und Zollunion, die von Russland vorangetrieben wird. Denn sie bietet der georgischen Wirtschaft eine sehr große Chance, besonders der georgischen Landwirtschaft. Wirtschaftlich wäre es eine gute Entscheidung, nach 20 Jahren der Depression die Beziehungen wieder zu beleben, Investitionen anzuschieben und einen guten Exportmarkt neu zu entdecken."
    Georgien hat es in den Jahren nach dem Embargo Russlands 2006 nicht geschafft, die alten Handelspartner durch neue in der EU zu ersetzen. So betrug der Gesamtexport zum Beispiel nach Deutschland im Jahr 2011 nur 50 Millionen Euro.
    So attraktiv der EU-Markt scheint, so schwierig ist es für georgische Firmen, dort Fuß zu fassen: Georgische Produkte sind in der EU und in den USA unbekannt. Markteinführung ist schwierig, gerade bei Lebensmitteln. Regalplatz kostet, der Markt ist aufgeteilt, die Konkurrenz aus der EU und aus Ländern wie der Türkei schläft nicht.
    Der größte potenzielle Markt ist und bleibt deshalb Russland. Georgiens südlicher Nachbar Armenien hat sich unter anderem deshalb bereits entschieden, der Zollunion beizutreten. Armenien ist immerhin Georgiens viertgrößter Handelspartner. In Georgien gibt es seit einem Jahr eine neue Regierung, auch sie ist sehr daran interessiert, die Beziehungen zum nördlichen Nachbarn Russland zu verbessern. Ob das zum Eintritt in die Zollunion führt, ist offen. Der Handelskonflikt aus dem Jahr 2006 ist noch nicht vollständig gelöst.
    Giorgij Kandelaki, einer der Führer der Oppositionspartei Vereinigte Nationale Bewegung, warnt dringend vor naiven Schritten in Richtung Russland.
    "Es ist für die Entwicklung Georgiens lebenswichtig, die Annäherung an die EU fortzuführen. Und auch die Geschäfte mit den USA. Denn das sind die beiden größten Märkte der Welt. Sie basieren mehr auf Regeln als auf politischen Stimmungen, wie der russische Markt. Ich gebe auf wirtschaftliche Bindungen an Russland nichts. Denn Russland kann den Zugang von Produkten jedweder Art auf seinen Markt jederzeit stoppen."
    Das hat sich mehrfach gezeigt. Der Umgang Russlands mit Staaten der ehemaligen Sowjetunion war in den letzten Jahren alles andere als partnerschaftlich.