Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Yosano Akiko: „Männer und Frauen“
Eine japanische Rosa Luxemburg

Die 1942 verstorbene Tanka-Dichterin Yosano Akiko schrieb nicht nur die japanische Hymne für das Frauenwahlrecht, sondern auch unzählige politische Essays. Nun sind erstmals zwölf Texte der frühen Feministin auf Deutsch erschienen.

Von Katharina Borchardt | 11.07.2022
Yosano Akiko: "Männer und Frauen"
Gepfefferte Appetizer aus dem alten Japan. Die zwölf aufklärerischen Texte von Yosano Akiko, die in "Männer und Frauen" versammelt sind, bilden nur einen schmalen Ausschnitt ihres breiten politischen Werks. (Manesse Verlag)
„Ich stehe unter fortwährendem Arbeitsdruck“, ächzt Yosano Akiko gleich in ihrem ersten Essay. Kein Wunder, schließlich hatte sie elf Kinder und mit Yosano Tekkan einen zwar gutaussehenden, aber nicht sehr einkommensstarken Dichter-Ehemann. Es oblag also der deutlich erfolgreicheren Yosano Akiko, die Familie zu ernähren. Darum produzierte sie alljährlich neue Bände mit traditionellen fünfzeiligen Tanka-Gedichten oder auch mit Essays. So kamen mit den Jahren zwei bis drei Dutzend Lyrikbände zusammen sowie fünfzehn Essaybände – summiert Herausgeber und Übersetzer Eduard Klopfenstein Yosanos Output in der nun vorliegenden Textsammlung „Männer und Frauen“. Zwölf Essays aus den 1910er Jahren umfasst der schmale Band, was vergleichsweise wenig ist. Er wirkt also wie eine kleine Box voller Appetizer. Aber die von der gepfefferten Sorte.

Eine Frau mit Biss

 „Ich denke, Frauen können jegliche Art von Beruf ergreifen, wenn er zu ihren persönlichen Talenten passt und wenn dies zu ihrem eigenen Leben und zum Leben der Gesellschaft beiträgt. […] Bedauerlicherweise ist bei uns die Zahl der Lehrerinnen, Ärztinnen, Journalistinnen, Sekretärinnen, Beamtinnen, Gefängnisbetreuerinnen und Literatinnen noch sehr gering. Das ist allerdings nicht nur ein Problem der Frauen selbst! Was für eine Blamage, dass der japanische Staat zur Hälfte aus derart beschränkten Frauen bestehen muss!“
Die Frau hat Biss, keine Frage. Und mit jedem weiteren Text wird man vertrauter mit dieser weiblichen Stimme, die da vor über hundert Jahren erklang und die aufs überraschendste souverän klingt. Eine Dichterin, die auch mal gezielt austeilt. Zum Beispiel gegen die japanische Gerontokratie.
 „Für den Sturz der Parteioligarchien gibt es weitere Gründe. Die Vorsitzenden, aber auch der Großteil der einflussreichen Mitglieder sind geistig allesamt vom Alter gezeichnet. Sie sind unfähig, die Geistesströmungen dieser Welt zu lesen, sie verstehen die Psyche der gegenwärtigen Menschen nicht, sie sind in ihrem Wesen weder politische Führungsfiguren noch auch wahre Volksvertreter. Man darf wohl sagen, dass es unter den gegenwärtigen Parteimitgliedern kaum eine Persönlichkeit gibt, die ihr Wissen aus dem Volk bezieht, die dessen Vertrauen genießt und wegen sittlicher Integrität hoch angesehen ist.“

Forderung nach dem Frauenwahlrecht

Das sitzt. Und manchmal klingt sie wie Rosa Luxemburg, wenn sie das Frauenwahlrecht fordert und Beteiligung am Kapital für alle. Manch ein Politiker mag Yosanos Essays gefürchtet haben. Sie erschienen zunächst in Zeitschriften, bevor sie zu Büchern gebündelt wurden. Viertausend Seiten kamen über die Jahre zusammen. Und das zu einer Zeit, in der Frauen in der Öffentlichkeit wenig zu melden hatten. Yosano Akiko aber war bekannt. Sie verkehrte in den wichtigen Literaturzirkeln von Tokio und konnte ihre Texte geschickt platzieren.
In manchen Essays wird sie übrigens auch ganz persönlich. Dann erzählt sie, wie sich ihre Familie mit der Spanischen Grippe infizierte oder wie sie bei einer Zwillingsgeburt eines der Kinder verlor. Fast wäre sie dabei gestorben, steckte dieses Kind doch in ihr so sperrig wie ein Flugzeug.
 „Im Nebenzimmer schlugen der jüngere Bruder meines Mannes und Herr Wakai von der Zeitschrift Subaru Nägel in den Sarg für das Totgeborene, darum bemüht, keinen Lärm zu machen. Mein Mann fragte mich: „Möchtest du nicht wenigstens einen Blick auf das Kind werfen? Es ist so schön wie keines bisher.“ Aber ich mochte es nicht sehen. Die heftigen Nachwehen und die Erschöpfung ließen mir einfach nicht die Kraft, noch über das tote Kind nachzudenken.“

So aufklärerisch wie zeitverhaftet

Geburten und Pandemien haben sich nicht verändert. Diese Texte sprechen ganz aktuell zu uns. Was aber die Texte zum japanischen Bildungssystem, zu Parteienlandschaft und Frauenemanzipation angeht, so braucht es dafür doch ein vertieftes Interesse an japanischer Geschichte. Oder am Werk der Autorin Yosano Akiko selbst, das bislang aber nur SpezialistInnen kennen können. Allein in der dtv-Anthologie „Kaum berührt zerfällt die Mauer der Nacht“ (2011) findet man bislang eine kleine Handvoll ihrer herausragenden Gedichte in deutscher Übersetzung. Davon möchte man mehr lesen, und eine erste Lyrikausgabe ist bei Manesse schon in Vorbereitung. Yosano Akikos Essays aber sind stark zeitverhaftet. Sie skizzieren vor allem eine historische Situation und sagen uns nur noch bedingt etwas über unsere Gegenwart. Da es dezidiert aufklärerische Texte sind, wäre diese Diskursrelevanz aber ihr eigener Anspruch.
Yosano Akiko: „Männer und Frauen“
Aus dem Japanischen von Eduard Klopfenstein
Manesse Verlag, München. 160 Seiten, 22 Euro