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Vor 150 Jahren
Als Victoria Woodhull US-Präsidentin werden wollte

Mit Victoria Woodhull kandidierte 1872 erstmals eine Frau für die US-Präsidentschaft. Große Chancen rechnete sich die von Skandalen umrankte Geschäftsfrau ohne Schulbildung - und Verfechterin der freien Liebe - indes nicht aus. Ihr ging es um mehr.

Von Regina Kusch | 10.05.2022
Victoria Clafin Woodhull bei einer Anhörung in einem Komitee des amerikanischen Kongresses 1871.
Victoria Clafin Woodhull bei einer Anhörung in einem Komitee des amerikanischen Kongresses 1871. (Imago/United Archives International)
„Ich bin mir darüber im Klaren, dass ich mit der Bewerbung auf diese Stelle mehr Hohn als Enthusiasmus auslöse.“

Die Stelle, auf die sich die 33-jährige Victoria Woodhull am 10. Mai 1872 beworben hatte, war keine geringere als das amerikanische Präsidentschaftsamt - und das zu einer Zeit, in der Frauen in den USA noch nicht einmal wählen durften und das Mindestalter für eine Kandidatur 40 Jahre betrug.
"Aber dies ist eine Epoche der plötzlichen Veränderungen und Überraschungen. Was heute absurd erscheint, wird morgen ein seriöser Aspekt sein.“

Für die Abschaffung der Ehegesetze

"Frau Woodhull … besitzt die Verdienste der Neuheit, Unternehmertum, Mut und Entschlossenheit. Also: "Victory for Victoria!“ - So wohlwollend wie der New Yorker „Herald“ schrieben nur wenige über die charismatische Wahlkampfgegnerin des amtierenden Präsidenten Ulysses Grant. Sie ging für die neu gegründete „Equal Rights Party“ ins Rennen, die sich vor allem für die Rechte sozial Benachteiligter einsetzte. Victoria Woodhull betonte immer wieder, dass Frauen den Männern durch die Verfassung gleichgestellt seien. Leidenschaftlich forderte sie die Abschaffung der Ehegesetze und propagierte das Recht von Frauen auf Scheidung und freie Liebe.
"Von allen Rohheiten unserer Zeit sind die durch die Ehe gebilligten die abscheulichsten. Nacht für Nacht finden im Namen dieses verfluchten Freibriefs Tausende von Vergewaltigungen statt. Und doch gilt die Ehe als moralische Instanz. Ich sage, ewige Verdammnis, versenke solche Moral!“

Der bürgerlichen Frauenbewegung nicht geheuer

Mit ihren radikalen Ansichten war Victoria Woodhull allerdings in der etablierten bürgerlichen Frauenbewegung, die seit fast 30 Jahren erfolglos für das Frauenwahlrecht eintrat, umstritten, so die Woodhull-Biografin Antje Schrupp: Eine geschiedene Geschäftsfrau ohne Schulbildung, die aus der Unterschicht stammte, war vielen suspekt.

„Sie hat versucht, sich bürgerliche Benimmregeln anzueignen, aber sie ist eben nicht so weit gegangen, dass sie auf ihre Themen verzichtet hätte. Und damit hat sie dann die Frauenrechtlerinnen herausgefordert und war immer dagegen, sich nur auf die Frage nach dem Wahlrecht oder nach bürgerlichen Rechten für Frauen zu beschränken.“

Spiritistin, Brokerin, Verlegerin

Denn Victoria Woodhull war überzeugt: "Dass Frauen Geld verdienen können, ist ein besserer Schutz gegen die Tyrannei und Brutalität von Männern, als dass sie selbst wählen können.“
Und ihr ist es gelungen, genügend Geld für ihren Wahlkampf zu verdienen. In New York, wo sie seit 1865 lebte, finanzierte sie sich als Heilerin und spiritistisches Medium. Zu ihrem Kundenkreis gehörte auch der Eisenbahnmagnat Cornelius Vanderbilt, dem sie gegen Gewinnbeteiligung erfolgreich die Börsenkurse voraussagte. Und, so Antje Schrupp:
"Sie hatte in New York Kontakte ins Rotlichtmilieu. Sie kannte Bordellbesitzerinnen, in deren Häusern wichtige Geschäftsleute verkehrten, und die mit oder vor den Sexarbeiterinnen auch über geschäftliche Dinge sprachen. Und Victoria Woodhull hat über diese Kanäle einfach Informationen gehabt, die sie Vanderbilt weitergegeben hat.“

Womit Woodhull zu weit ging

Als erste Brokerin etablierte sie ein gut florierendes Investment-Büro an der Wall Street und veröffentlichte eine unabhängige Frauenzeitung, die über Liebesgeschichten und neue Heilmethoden ebenso berichtete, wie über Finanzskandale. Doch mit ihrer Kampagne gegen die Doppelmoral des liberalen Predigers Henry Ward Beecher, der eine verheiratete Frau aus seiner Gemeinde verführt hatte, ging Victoria Woodhull zu weit, sagt Antje Schrupp:
„Das war eine reformorientierte Familie, extrem einflussreich, und seine Schwester war Harriet Beecher Stowe, die Autorin von Onkel Toms Hütte, und die haben dann mit vereinten Kräften versucht, Victoria Woodhull das Genick zu brechen. In Zusammenarbeit mit bestimmten CVJM Sittenwächtern zum Beispiel haben sie sie angeklagt, dass sie obszöne Nachrichten mit der Post verschicken würde, weil sie in ihrer Zeitung Vergewaltiger angeklagt hat.“

Am Wahltag im Gefängnis

Victoria Woodhull wurde verhaftet und saß am Wahltag im Gefängnis, während der Republikaner Ulysses Grant mit großer Mehrheit siegte.
Woodhull zog sich aus der Politik zurück, ließ sich ein zweites Mal scheiden und emigrierte 1876 nach Großbritannien. Dort heiratete sie einen Bankier und setzte ihre politische Tätigkeit noch 50 Jahre lang fort.