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"Gerade jetzt ist Innere Führung noch mehr gefragt "

Die Ausbildung der Inneren Führung der Bundeswehr ist vernachlässigt worden, sagt Hans-Georg Ehrhart. Ausbilder auf der mittleren und unteren Ebene müssten entsprechendes Rüstwerk mitbekommen, fordert der Politikwissenschaftler von der Universität Hamburg.

Hans-Georg Ehrhart im Gespräch mit Gerd Breker |
    Silvia Engels: Heute äußert sich Bundesverteidigungsminister zu Guttenberg im Verteidigungsausschuss des Bundestages zu den jüngsten Vorfällen bei der Bundeswehr. Vor allem geht es um die Umstände des Unfalltodes einer Offiziersanwärterin auf dem Segelschulschiff Gorch Fock und die Tötung eines Soldaten in Afghanistan. Vor diesem Hintergrund sorgte der gestrige Bericht des Wehrbeauftragten des Bundestages, Helmut Königshaus, für weitere Unruhe. Er bemängelte nämlich zum Teil erhebliche Führungsschwächen vor allem bei jüngeren Vorgesetzten in der Bundeswehr. Darüber sprach gestern mein Kollege Gerd Breker mit dem Politikwissenschaftler Hans-Georg Ehrhart von der Universität Hamburg. Er fragte ihn, ob das nichts anderes heiße, als dass diese jungen Vorgesetzten schlecht ausgebildet seien.

    Hans-Georg Ehrhart: Das heißt zumindest, dass sie in einem Bereich schlecht ausgebildet sind, den man gemeinhin Innere Führung nennt, und in der Tat ist dieses Segment der Ausbildung in den letzten Jahren, ja man kann fast schon sagen Jahrzehnten zunehmend vernachlässigt worden vor dem Hintergrund eines sich drastisch verändernden Einsatzbildes.

    Gerd Breker: Was nichts anderes bedeutet, dass diese schlechte Ausbildung in Sachen Innerer Führung sich dann wie in einem Schneeballsystem fortsetzt?

    Ehrhart: In der Tat. Die Konzeption setzt eigentlich auf der Führungsebene an, auf der Führerebene, und natürlich soll von da aus die Idealvorstellung eines Bürgers in Uniform umgesetzt werden, der in der Lage ist, ethisch verantwortbare Entscheidungen zu fällen und bei entsprechenden Fehlbefehlen oder bei Befehlen, die nicht akzeptabel sind, dagegen auch sozusagen sich zu verweigern.

    Breker: Das heißt, hier handelt es sich nicht um Einzelfälle, um singuläre Vorkommnisse, sondern dahinter steckt schon eine Art systemische Fehlentwicklung?

    Ehrhart: Also ich denke schon, dass es hier Einzelfälle sind, aber die haben sich natürlich in den letzten Jahren ziemlich wiederholt und von daher gesehen ist die kritische Frage berechtigt, sind es wirklich nur Einzelfälle, oder steckt etwa Systemisches dahinter. Von daher gesehen ist die Ankündigung des Bundesverteidigungsministers, die Bundeswehr daraufhin einmal gründlich zu untersuchen, ein ganz guter Entschluss.

    Breker: Die allgemeine Wehrpflicht, die Bundeswehr sozusagen als Spiegelbild der Gesellschaft, das stimmt ja eigentlich schon länger nicht mehr. Macht sich das auf diese Art bemerkbar?

    Ehrhart: Ja und nein. Also im gewissen Sinne ist sie noch Spiegelbild der Gesellschaft, aber sie verändert sich natürlich drastisch. Insbesondere vor dem Hintergrund der zunehmenden Professionalisierung gibt es natürlich nicht mehr diese Einbindung, die es früher gab, als noch Hunderttausende von Wehrpflichtigen die Bundeswehr durchliefen. Aber der Prozess hat ja im Grunde genommen gerade erst begonnen, sodass man sozusagen Fehlentwicklungen jetzt noch begegnen kann, und einer dieser Wege wäre, zum Beispiel den Aspekt der Inneren Führung wieder mehr in den Vordergrund zu stellen und noch viel mehr Wert darauf zu legen, dass Ausbilder auf der mittleren und unteren Ebene entsprechendes Rüstwerk mitbekommen.

    Breker: Das wäre umso wichtiger, weil wir ja jetzt auf eine Freiwilligenarmee zusteuern.

    Ehrhart: Ganz genau das ist der Punkt und vor dem Hintergrund gibt es bei den einen die Befürchtung, dass die gute, bewährte und alte Tradition der Inneren Führung sozusagen noch mehr Schaden nehmen kann. Andere sagen – und das ist im Grunde genommen kein Widerspruch zu dem ersten Punkt -, dass gerade jetzt Innere Führung noch mehr gefragt ist, sodass hier ein Schwerpunkt gesetzt werden sollte und das so schnell wie möglich. Das ist natürlich leichter gesagt als getan vor dem Hintergrund der Belastung der Armee durch die vielen Einsätze.

    Breker: Man fragt sich ja, Herr Ehrhart, warum wir eigentlich erst jetzt von diesen Vorfällen erfahren. Hat es denn Vergleichbares vorher nicht gegeben, oder warum gerade jetzt?

    Ehrhart: Na ja, ich weiß es nicht, aber vorher hat es auch schon Fälle gegeben, die verspätet herausgekommen sind. Ich denke jetzt nur mal an den sogenannten Totenkopf-Skandal, das war ja auch in Afghanistan, oder an die Skandale in bestimmten Ausbildungszentren der Bundeswehr. Das sind Fehlentwicklungen, denen rechtzeitig begegnet werden muss, und sehen wir es von der positiven Seite: Sie sind rausgekommen, ans Tageslicht gekommen und müssen dann bearbeitet werden, aber jetzt nicht im Sinne einer Generalkritik der Bundeswehr, sondern eines systematischen Aufarbeitens dieser Vorfälle und des Ziehens vernünftiger Schlüsse daraus.

    Breker: Aber beginnen wir doch einfach mal damit: ein tödlicher Unfall beim Waffenspielen in Afghanistan mit anschließendem Vertuschungsversuch. Was sagt uns das, wie kann man denn so etwas erklären?

    Ehrhart: Gut, das kann man nur sehr schwer erklären. Soweit man das sozusagen aus der Ferne miterlebt, ist das wohl eher eine politische Frage gewesen, dass etwas nicht nach draußen dringen sollte, und da kann man natürlich fragen, wie ist es denn mit der Vorbildfunktion derjenigen, die das zu verantworten haben.

    Breker: Es hat etwas von einer Art Korpsgeist, dass alles, was geschieht, unter denen bleibt, die daran beteiligt sind, nichts darf nach außen dringen. Das klingt wie Korpsgeist und dann würde Innere Führung eine völlig neue Interpretation erhalten.

    Ehrhart: Das ist richtig, denn gerade Korpsgeist als solchen will Innere Führung nicht. Innere Führung ist darauf aus, sozusagen die Armee als hierarchisch strukturierte Institution zu versöhnen mit einer demokratischen Gesellschaft. Deutschland ist da sozusagen vorbildlich gewesen seit Ende des Zweiten Weltkrieges, seit der Entwicklung der Bundeswehr. Und die ursprünglichen Ziele der Inneren Führung gelten auch heute noch. Es geht darum, dass man ethische Normen verbindet mit politischer und rechtlicher Begründung, und das muss auch in einem offenen Diskurs geschehen.

    Breker: Wenn wir nun die Vorgänge um die Gorch Fock nehmen, wird eigentlich mit diesem Segelschulschiff, dem Stolz der Marine, nicht ein Elitegefühl gefördert, das nahezu natürlich eigentlich machohafte Züge trägt?

    Ehrhart: Das könnte man so sehen. In dem Falle jetzt mit der Gorch Fock ist das jetzt, so weit ich weiß, der zweite Todesfall, der zu beklagen ist, und da muss man wirklich genau hingucken, inwiefern sich dort Entwicklungen sozusagen unterschwellig formiert haben, die in die falsche Richtung gehen.

    Breker: Wenn wir den dritten Fall nehmen, die geöffnete Feldpost, das erinnert sehr stark daran, in jedem Krieg stirbt die Wahrheit als Erstes. Das hat damit zu tun, dass die Bundeswehr in Afghanistan in eine Art Krieg verwickelt ist.

    Ehrhart: ..., wobei bislang ja noch nicht klar ist, wer die Post geöffnet hat, und angeblich ist es ja auch nicht systematisch geschehen. Das wäre natürlich eine Katastrophe. Da muss man erst mal abwarten und aufklären. Richtig ist auf jeden Fall, dass dieser alte Grundsatz, dass die Wahrheit als erste stirbt, auch hier mal wieder bestätigt worden ist.

    Engels: Der Politikwissenschaftler Professor Hans-Georg Ehrhart von der Universität Hamburg im Gespräch mit meinem Kollegen Gerd Breker.


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