Freitag, 19. April 2024

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Gerd Müller (CSU) zum Mercosur-Abkommen
Nachhaltigkeitsregeln "müssen sanktionierbar sein"

Unter anderem wegen Brasiliens Waldrodungen gibt es Kritik am geplanten EU-Mercosur-Handelsabkommen. Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU), verteidigte das Abkommen im Dlf. Deutschland solle seinen EU-Ratsvorsitz nutzen, um Brasilien auf "entwaldungsfreie Lieferketten" zu verpflichten.

Gerd Müller im Gespräch mit Jule Reimer | 24.06.2020
Brandrodung in Regenwald Brasiliens
In Brasilien wird großflächig der Regenwald gerodet - und Präsident Bolsonaro ist bestrebt, Umweltschutzbestimmungen weiter zu lockern (picture alliance / WILDLIFE / M.Edwards)
Umweltschützer, Klimaaktivisten und Menschenrechtler kritisieren das geplante Handelsabkommen der EU mit den Mercosur-Staaten Lateinamerikas. Die darin vorgesehenen Zollbegünstigungen würden unter anderem die Rodung des Regenwaldes vorantreiben, lautet einer der Kritikpunkte.
Mehr Rohstoffe und mehr Absatz für Europa ohne Interesse an den Rahmenbedingungen, das sei ein Abkommen, das ins letzte Jahrhundert passe, kritisierte Jürgen Knirsch von Greenpeace am Dienstag (23. Juni 2020) im Dlf .
Eine Rinderherde mit Cowboys im Staub in Brasilien.
BUND-Handelsexpertin: "EU gibt Bolsonaro Freifahrtschein zur Abholzung des Regenwalds"
Mehr Rindfleisch und Soja – das Freihandelsabkommen zwischen Mercosur-Staaten und EU könnte die Klimakrise noch verschärfen, sagte die BUND-Handelsexpertin Lia Polotzek.
"Das Abkommen sichert Arbeitsplätze"
Der Bundesminister für Entwicklung und wirtschaftliche Zusammenarbeit, Gerd Müller (CSU), hat das Abkommen am Mittwoch (24. Juni 2020) grundsätzlich verteidigt. Das Abkommen sichere Arbeitsplätze auch in Brasilien, wo übrigens die deutsche Wirtschaft stark vertreten sei, sagte Müller im Dlf. Die Zusammenarbeit einzustellen, helfe weder dem Wald noch den Indigenen noch dem Klima.
Mit Blick auf die anstehende EU-Ratspräsidentschaft Deutschlands sagte Müller, Berlin müsse bei der Umsetzung des Abkommens in Brüssel darauf hinwirken, dass Brasilien zu "entwaldungsfreien Lieferketten" verpflichtet werde.
Brasilien an Pariser Zusagen erinnern
Brasilien habe sich etwa im Rahmen des Pariser Klimaschutzabkommens von 2015 zu mehr Klima- und Waldschutz verpflichtet. An diese Zusagen müsse das Land unter dem wirtschaftsfreundlichen Präsidenten Jair Bolsonaro erinnert werden.
Und es gebe Nachhaltigkeitskapitel im geplanten Mercosur-Abkommen. "Diese Nachhaltigkeitskapitel müssen auch sanktionierbar sein", betonte Müller mit Blick nach Brüssel.

Das Interview im Wortlaut:
"Kein Soja aus diesen Staatengruppen in Zukunft"
Jule Reimer: "Wir streben eine Einigung für die Unterzeichnung des Freihandelsabkommens mit den lateinamerikanischen Mercosur-Staaten an." So haben heute Vormittag Bundeskanzlerin Merkel und ihre Ministerriege den Fahrplan für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft beschlossen. Zu den Mercosur-Staaten gehört auch Brasilien. Mehr als 10.000 Quadratkilometer Wald wurden 2019 vor allem in der Amazonasregion vorwiegend illegal gerodet – das ist rund die Hälfte von Hessen. Und 2020 werden es absehbar mehr Flächen sein. Brasiliens Regierung schert sich also weder um den Umwelt- noch um den Klimaschutz und ist gleichzeitig politisch und wirtschaftliche der wichtigste Player im Mercosur. Wieso sollten Deutschland und die EU ausgerechnet so eine Regierung mit einem Freihandelsvertrag adeln, fragte ich vor dieser Sendung Bundesentwicklungsminister Gerd Müller von der CSU.
Gerd Müller: Das Mercosur-Abkommen ist ja ein umfassendes Abkommen, und es sichert Arbeitsplätze auch in Brasilien, und gerade dort ist die deutsche Wirtschaft ja sehr stark vertreten. Wir müssen das eine sehen und das andere. Das andere ist der Klima- und der Waldschutz. Deshalb steht in diesem Mercosur-Abkommen ein Nachhaltigkeitskapitel.
11.02.2020, Hamburg: Gerd Müller (CSU), Bundesentwicklungsminister, spricht im Hauptsitz der Kühne und Nagel AG zu Mitarbeitern. Bundesentwicklungsminister Müller besuchte das Logistikunternehmen und informierte darüber, wie Klimaneutralität in Unternehmen erreicht werden könnte. Foto: Axel Heimken/dpa | Verwendung weltweit
Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) (picture alliance / dpa / Axel Heimken)
Es wird nun darauf ankommen, im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft in Brüssel die Kommission davon zu überzeugen, dass diese Nachhaltigkeitsstandards auch entwaldungsfreie Lieferketten bedeuten. Das betrifft das Thema "kein Soja aus diesen Staatengruppen in Zukunft", weil für diese Flächen Regenwald abgeholzt wird.
Das Zweite ist: Wir wollen die brasilianische Regierung dazu bestärken und auffordern, ihr Versprechen einzuhalten, die illegale Entwaldung zu stoppen. Brasilien hat sich letztendlich dem Paris-Vertrag verpflichtet.
Reimer: Jürgen Knirsch von Greenpeace hat im Deutschlandfunk gerade darauf hingewiesen: auf eine gemeinsame Studie, die Greenpeace und Misereor in Auftrag gegeben haben. Die besagt im Ergebnis, dass das Nachhaltigkeitskapitel im Mercosur-Vertrag völlig zahnlos ist. Sie können gar nichts tun, wenn Brasilien, wie von Präsident Bolsonaro auch schon mal angekündigt, aus dem Pariser Abkommen aussteigt.
Müller: Das ist der entscheidende Punkt. Diese Nachhaltigkeitskapitel, die die EU-Kommission verhandelt hat, müssen auch sanktionierbar sein und einen Status haben, damit das auch nicht nur auf dem Papier steht. Und ich sage noch mal: Der Stopp und die zunächst mal Zurückführung der Regenwaldzerstörung hat oberste Priorität. Der Amazonas-Regenwald ist 15mal so groß wie Deutschland. Das ist die Lunge des Planeten. Das ist ein globales Gut, das es zu schützen gilt. Da sind wir uns alle einig. Aber wie gesagt: Das Mercosur-Abkommen ist umfassender als nur dieser Bereich.
"Die Zahlen der Entwaldung sind absolut unglaublich"
Reimer: Es geht aber ja nicht nur um den Amazonas-Regenwald. Sie haben die brasilianische Hochebene, das Cerrado – eine Savanne, wo sich Soja auch ganz extrem ausbreitet. Und Greenpeace und Misereor sagen, dass die geplanten Zollsenkungen auf Agrarprodukte, auf Soja etc., die Abholzung, die Zerstörung dieser Gebiete nicht nur im Amazonas weiter vorantreiben wird.
Müller: Ja, das ist richtig. Die derzeitigen Zahlen der Entwaldung sind absolut unglaublich und hier muss die brasilianische Regierung massiv vorangehen, um die illegale Entwaldung zu stoppen. Das hängt mit vielem zusammen. Das ist der illegale Abbau von Erzen, das Goldschürfen in den Regenwaldgebieten, aber ganz erheblich auch das Thema Sojaproduktion, die immer weitere Ausweitung von Flächen, für die Waldflächen weichen müssen und brennen. Das ist absolut inakzeptabel.
LKW transportiert Holz aus dem Amazonas Regenwald, Abholzung, illegaler Holzeinschlag, Mato Grosso, Brasilien, Südamerika 
Abholzungen im Regenwald: "Ein Militäreinsatz löst die Probleme am Amazonas nicht"
Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro hat Militär in die Amazonasregion entsandt, um die Abholzungen zu kontrollieren. Suely Araújo, frühere Leiterin der Umweltbehörde IBAMA, hält das für wenig sinnvoll.
Reimer: Was wollen Sie denn dann tun?
Müller: Dazu kann und muss in dieses Abkommen die Bestimmung, dass wir in Zukunft entwaldungsfreie Lieferketten umsetzen wollen. Das heißt: Zertifiziertes Soja nach Deutschland und Europa ja, aber kein Soja, wo der Flächennachweis nicht erbracht wird, dass dieses Soja auf Flächen angebaut wird, wofür kein Regenwald zerstört wird. Das ist bisher nicht umgesetzt. Das wäre ein wichtiger Quantensprung.
"Verhandlungen fortsetzen, illegale Entwaldung stoppen"
Reimer: Sie haben aber auch das Problem, dass die brasilianische Regierung offenbar gar nicht so viel Wert legt auf die Beziehungen nach Europa. Zum Beispiel gibt es ja den Amazonas-Fonds, der von Norwegen und Deutschland finanziert wird. Da liegt viel Geld auf Eis, 250 Millionen Euro. Dann hatte ja Europa, als die Brände so groß waren, vergangenes Jahr auch Hilfe angekündigt, auch Geld angeboten, und daraufhin hat Präsident Bolsonaro gesagt, forsten Sie lieber Ihre eigenen Wälder damit wieder auf. Warum sollten die auf die EU reagieren?
Müller: Unter Klimagesichtspunkten, Wasser, Biodiversität, ist Regenwald unschätzbar. Die weltweite Zerstörung der Regenwälder auch in Afrika in Indonesien, tragen – man muss sich das mal vorstellen – elf Prozent zum weltweiten globalen CO2-Ausstoß bei. Es hat eine immense Bedeutung. Wir wollen die Verhandlungen mit der brasilianischen Regierung fortsetzen, diese illegale Entwaldung zu stoppen. Auf Arbeitsebene möchte ich in den nächsten Monaten zwei neue Waldschutzprojekte voranbringen. Es hilft niemandem, wenn wir die Verbindungen und die Zusammenarbeit komplett einstellen – weder dem Wald, noch den Indigenen, noch dem Klima. Deshalb möchte ich über zwei neue Waldschutzprojekte mit der brasilianischen Regierung wieder in Verhandlungen und in Verbindung treten.
Den Amazonas-Fonds zusammen mit Norwegen haben wir weiterhin im Blick. Auch das ist ein Ziel für die nächsten Monate.
Indigene im Kampf gegen COVID-19 unterstützen
Reimer: Brasiliens Vizepräsident, der auch ein General ist, Hamilton Mourão, hat vorgeschlagen, dass er an Stelle des umstrittenen Umweltministers Ricardo Salles den Vorsitz des Lenkungsrates in diesem Amazonas-Fonds übernimmt. Wäre das für Sie eine gute Lösung? – Ganz kurz als Hintergrund: Der Umweltminister hatte ja in dieser berüchtigten Kabinettssitzung, die bekannt wurde, gesagt, die Regierung sollte schnell die Ablenkung durch die Corona-Pandemie nutzen, um die Umweltregeln soweit wie möglich zu schleifen.
Müller: Wie die brasilianische Regierung die Verantwortlichkeiten entscheidet, das ist ihre Sache. Aber es ist ein deutliches Signal, dass der neue Vizepräsident sich dieses Themas verantwortlich annimmt und das klare Ziel ausgegeben hat, die Entwaldung zurückzuführen und den Paris-Vertrag einzuhalten, und daran sollten wir die brasilianische Regierung messen, sie aber auch unterstützen. Denn ich denke an meine Besuche in Manaus und im Regenwald, an die Indigenen, an den Erhalt der Schutzgebiete. Die Menschen warten auf unsere Hilfe, auch zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Wir sind in Vorbereitung, so die brasilianische Regierung zustimmt, die Indigenen bei der Bekämpfung der Pandemie zu unterstützen, mit Labors, mit Tests, mit Ausrüstung. Auch das ist ein ganz wichtiger Punkt.
"Nicht einfach, diesen illegalen Einschlag zu stoppen"
Reimer: Es sind ja mittlerweile auch Militärs in den Amazonas entsandt worden, unter Vizepräsident General Hamilton Mourão. 40 Tage Militäreinsatz kosten so viel wie die Umweltpolizei IBAMA, die ja mehr oder weniger entmachtet worden ist, landesweit für ihre Gesamtkontrollen im Jahr ausgeben. Wäre es denkbar, aus dem Amazonas-Fonds den Einsatz des Militärs gegen die illegalen Rodungen zu bezahlen?
Müller: Nein. Der Amazonas-Fonds, unsere Waldprojekte sind ganz klar ausgerichtet auf den Erhalt der Schutzgebiete, Reduzierung der Entwaldung und Unterstützung der Indigenen. Da besteht auch Übereinstimmung mit der brasilianischen Regierung.
Reimer: Aber das Militär bekämpft ja die Entwaldung so wie das entmachtete IBAMA.
Müller: Das ist nicht unsere Aufgabe. Aber es ist klar: Es sind viele, viele Illegale im Amazonas unterwegs. Es ist nicht ganz einfach, diesen illegalen Einschlag zu stoppen. Aber kein Geld aus deutschen Fonds für den Einsatz des Militärs. Das ist Sache der brasilianischen Regierung.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.