Donnerstag, 28. März 2024

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Gerhart Baum (FDP)
"Die Annexion der Krim ist völkerrechtswidrig"

FDP-Chef Christian Lindner hat mit seiner Äußerung zur Krim heftige Kritik ausgelöst. Lindner halte die Annexion der Krim nicht für hinnehmbar, betonte der frühere Innenminister und FDP-Politiker Gerhard Baum im Dlf. Es gehe ihm vielmehr das Gespräch mit Russland.

Gerhart Baum im Gespräch mit Martin Zagatta | 08.08.2017
    Ex-Innenminister Gerhart Baum sitzt in einem Sessel in der Talkshow "Günther Jauch" im September 2013
    FDP-Chef Christian Lindner habe zum Ausdruck bringen wollen, dass auch in schwierigen Situationen die Gesprächskontakte nicht abreißen dürften, so Gerhart Baum (FDP) im Dlf. (Imago/Müller-Stauffenberg)
    Martin Zagatta: Hat jetzt ausgerechnet die FDP Verständnis für die russische Annektierung der Krim? Mit Äußerungen, diese völkerrechtswidrige Besetzung vorerst zu akzeptieren, hat FDP-Chef Christian Lindner heftigen Unmut ausgelöst, Zuspruch aber nun von der Linkspartei gefunden.
    Am Telefon ist nun der FDP-Politiker Gerhart Rudolf Baum, der frühere Innenminister, der ein ganz besonderes Verhältnis zu Russland ja hat. Seine Mutter war Russin, sein neues Buch über Grundrechte wurde ins Russische übersetzt, und er pflegt auch ganz intensive Beziehungen zur russischen Zivilgesellschaft, steht in Kontakt etwa mit der Tochter des ermordeten Putin-Kritikers Nemzow. Guten Tag, Herr Baum!
    Gerhart Rudolf Baum: Guten Tag!
    Putins Politik der Aggression und Unterdrückung
    Zagatta: Herr Baum, Sie gelten ja als ausdrücklicher Verfechter des Rechtsstaats und als ausgesprochener Menschenrechtler. Wenn Sie jetzt hören, dass man die russische Annexion der Krim als dauerhaftes Provisorium hinnehmen soll, dreht sich Ihnen da nicht der Magen um?
    Baum: Sie ist nicht hinnehmbar. Diese Annexion ist völkerrechtswidrig, und die ganze Politik von Putin ist bestimmt durch Aggression nach außen, er sucht Feindbilder, und durch Unterdrückung nach innen. Da gibt es keine Gemeinsamkeit, und da gibt es auch keine gemeinsame Sache von Lindner mit Putin. Das hat er ja sehr deutlich erklärt. Und von Sahra Wagenknecht sind wir, ist Lindner meilenweit entfernt, denn Sahra Wagenknecht rechtfertigt ja die Putinsche imperiale Politik. Und es ist auch nicht die Tradition der FDP. Wir haben keinen Zweifel daran gelassen bei der Entspannungspolitik, dass wir die Unterdrückungsregime in Osteuropa kritisieren. Was wir aber wollten und was der Ausgangspunkt auch der Äußerungen von Lindner ist, ist, dass die Gesprächskontakte nicht abreißen, dass man auch in schwierigen Situationen das Gemeinsame sucht, das ist sicher absolut richtig, und das hat Lindner zum Ausdruck gebracht. Das ist seine Botschaft, keine Änderung der FDP-Politik, kein Kurswechsel, keine Anbiederung an Russland. Lindner, wenn man seine Äußerungen verfolgt, war immer Transatlantiker und NATO-Befürworter.
    Annexion der Krim "nicht hinnehmbar"
    Zagatta: Deswegen wundert man sich ja so. Ist eine solche Äußerung zumindest, solche Begriffe, ist das hinnehmbar, dass die Annexion der Krim als ein dauerhaftes Provisorium, dass man das so sehen soll, so hinnehmen soll. Das verwundert doch. Oder ist das unglücklich?
    Baum: Man sollte sich jetzt nicht an den Worten …
    Zagatta: Ist das unglücklich formuliert?
    Baum: … festklammern, sondern an der Politik. Die Politik der FDP ist ja hier wirklich eindeutig.
    Zagatta: Aber bei Politik geht es doch auch um Begriffe.
    Baum: Natürlich geht es um Begriffe. Und wenn Herr Lindner jetzt sagt, dass die jetzt ganz deutlich sagen, das hat er vorher auch gemacht, dass die Annexion völkerrechtswidrig ist und nicht hinnehmbar ist, dann ist das auch kein dauerhaftes Provisorium. Das ist nicht zu akzeptieren.
    Zagatta: Aber Herr Baum, wenn die AfD so was sagen würde, das sollte man jetzt als dauerhaftes Provisorium hinnehmen, da würden Sie doch aufschreien.
    Baum: Die AfD sagt ganz schreckliche Dinge. Die AfD macht ja...
    "Äußerungen von Lindner haben Irritationen ausgelöst"
    Zagatta: Ja, Herr Lindner offenbar auch nach Meinung von vielen.
    Baum: Die AfD macht gemeinsame Sache mit Putin und lässt zu, dass Putin versucht, Europa zu spalten. Nein, wir sind von den Rechts- und den Linksextremen weit entfernt, wenn ich auch zugebe, dass die Äußerungen von Lindner Irritationen ausgelöst haben. Das ist sicher so, und das ist auch Anlass zu unserem heutigen Interview. Aber man muss deutlich sehen, dass die FDP mit ihrem Vorsitzenden Lindner keine neue Russlandpolitik will.
    Zagatta: Haben Sie denn Lindner wegen dieser Äußerungen, als Sie das gehört haben - Sie waren ja wahrscheinlich irritiert - haben Sie ihn angerufen, haben Sie mal gesagt, das geht …
    Baum: Das will ich nicht sagen, aber ich bin natürlich sehr stark involviert in Russland, ich mache Reisen.
    Russische Zivilgesellschaft "wird zunehmend unterdrückt"
    Zagatta: Deswegen haben wir Sie angerufen.
    Baum: Ich will das jetzt nicht sagen, wie meine Kontakte zu Lindner waren. Aber ich mache Reisen in Russland und treffe diese Leute, die unterdrückt werden. Die Zivilgesellschaft wird zunehmend unterdrückt. Sie ist rechtlos. Die Naumann-Stiftung, die sehr aktiv ist in Moskau und auch in Kiew und versucht, diese Kontakte zu intensivieren mit der Zivilgesellschaft, und die Vertreter werden auch jetzt hier nach Deutschland kommen und werden mit Lindner und mit uns diskutieren.
    Zagatta: Was werden die denn sagen, wenn die hören, beispielsweise - Sie haben ja Kontakte auch zur Tochter des ermordeten Putin-Gegners Nemzow. Was würde die denn sagen, wenn die jetzt hört von einem FDP-Politiker, also die Annektierung der Krim, die sollte man vorerst akzeptieren?
    Baum: Die Botschaft von Lindner ist ja, die Annexion der Krim darf uns nicht hindern, das Gespräch mit Russland zu suchen. Aber damit wird sie nicht besser, nicht wahr? Wir müssen darauf bestehen, dass Russland seine internationalen und völkerrechtlichen Verpflichtungen einhält. Das ist auch ein Erbe von Genscher, das ist der KSZE-Prozess: Keine gewaltsame Änderung von Grenzen, Demokratie. Das ist bestätigt worden in der Charta 90, auf die Genscher sehr stolz war nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion. An diesen Grundprinzipien gibt es überhaupt keine Abstriche, und das wissen auch unsere Partner, und das haben wir ihnen jetzt noch einmal ganz deutlich vor Augen geführt. Und Lindner selbst hat ja in Interviews jetzt deutlich …
    Zagatta: Versucht, einiges zurechtzurücken.
    Baum: Er hat einiges deutlich zurechtgerückt, und das muss man einfach zur Kenntnis nehmen.
    Völkerrecht darf nicht relativiert werden
    Zagatta: Aber wird denn mit solchen Äußerungen - ich frage Sie jetzt auch als Vertreter einer Partei, die sich ja als Rechtsstaats-Partei versteht, wird da internationales Recht, wird da Völkerrecht nicht relativiert?
    Baum: Völkerrecht darf nicht relativiert werden. Völkerrecht ist im Bereich der Menschenrechte universell unabdingbar und wird auch nicht relativiert.
    Zagatta: Wenn man eine Annexion als hinnehmbar erklärt, wird es doch relativiert.
    Baum: Nein, hinnehmbar ist das nicht. Da tun Sie Lindner Unrecht. Er hat Irritationen ausgelöst, aber hat nicht, in keiner Weise, gesagt, dass die Annexion der Krim hinnehmbar ist. Seine Botschaft war, das Gespräch zu suchen. Aber das wird verdammt schwierig werden, denn da muss sich der Partner bewegen. Das Gespräch kann nur stattfinden, wenn der Partner Putin sich bewegt, und das wird er voraussehbar bis zu seiner Wahl im nächsten Frühjahr nicht tun.
    Baum: SPD sei näher an Putin als FDP
    Zagatta: Wird ein Partner Putin solche Äußerungen nicht sogar als Ermutigung verstehen, wenn man ihm mit derartigem Verständnis entgegenkommt?
    Baum: Da würde er sie falsch verstehen. Die deutsche Außenpolitik wird auch, wenn die FDP wieder im Bundestag ist, sich nicht zu einer Appeasement-Politik von Herrn Putin entwickeln. Da waren mir einige Äußerungen von Sozialdemokraten in den letzten Jahren nicht geheuer. Die waren viel näher an Putin dran als das, was jetzt Herrn Lindner unterstellt wird.
    Zagatta: Der FDP-Politiker Gerhard Rudolf Baum. Herr Baum, ich bedanke mich für das Gespräch!
    Baum: Alles Gute!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.