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Germanwings-Absturz
"Noteinstieg bewusst abgeblockt"

"Wir scheinen, an dem Punkt angelangt zu sein, wo man tatsächlich sich nicht mehr schützen kann", sagte Luftfahrtexperte Elmar Giemulla von der TU Berlin im Deutschlandfunk. Der Copilot der abgestürzten Germanwings-Maschine müsse den Noteinstieg ins Cockpit blockiert haben.

Elmar Giemulla im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 26.03.2015
    Cockpit-Tür eine Boing 737-800
    Cockpit-Türen kann man nur von innen öffnen. (imago / Stefan Zeitz)
    Anmerkung der Online-Redaktion: Das Interview wurde vor der Pressekonferenz des französischen Staatsanwalts zu den Auswertungen der Voice Box geführt.
    Dirk-Oliver Heckmann: Weshalb ist der Germanwings-Flug Barcelona-Düsseldorf am Dienstag in den französischen Alpen abgestürzt? Dafür könnte es jetzt eine Erklärung geben. "New York Times" und "Agence France Presse" jedenfalls berichten, die Ermittler seien bei ihren Aufklärungsbemühungen weitergekommen.
    Am Telefon ist jetzt Elmar Giemulla, Luftfahrtexperte von der Technischen Universität in Berlin. Er ist dankenswerterweise schnell eingesprungen, weil wir die Verbindung zu Herrn Großbongardt nicht mehr aufbauen konnten. Schönen guten Tag.
    Elmar Giemulla: Guten Tag.
    Heckmann: Herr Giemulla, einer der Piloten verlässt das Cockpit und es gelingt ihm nicht mehr, zurückzukehren. Passt dieses Szenario bei aller Zurückhaltung zu den Details, die bisher bekannt sind?
    Giemulla: Wir leben ja im Moment immer noch, muss man leider sagen, im Bereich der Spekulation, und leider ist jetzt auch durch diese neue Erkenntnis das nicht besser geworden. Im Gegenteil: Sogar schlimmer, denn die Sache wird immer mysteriöser, immer unerklärbarer. Warum lässt ein Kollege seinen Kollegen, der das Cockpit kurz verlassen hat, nicht mehr hinein, auch nicht durch die Noteinstiegsmöglichkeit? Das muss abgeblockt werden, bewusst abgeblockt werden aus dem Cockpit heraus. Was ist da passiert? Alles das ist völlig unklar.
    Wir hatten uns ja sehr starke Hoffnung gemacht auf die Auswertung des Cockpit Voice Recorders, in dem Sinne nämlich, dass man dann aus der Unterhaltung, die ja üblicherweise natürlich in solchen Situationen im Cockpit geführt wird, auf die Vorgänge im Flugzeug hätte schließen können. Nun ist diese Hoffnung leider völlig zerstört worden. Eine Unterhaltung gibt es nicht, die Rückschlüsse auf diese Ursache hätte liefern können. Im Gegenteil: Die Sache ist noch konfuser geworden.
    Noteinstieg von innen versperrt
    Heckmann: Sie haben von einem Noteinstieg gesprochen. Wie genau? Die Türen sind seit den Anschlägen vom 11. September extrem gesichert worden, dass da niemand mehr aus dem Passagierbereich ins Cockpit eindringen kann. Wie genau sind diese Türen gesichert?
    Giemulla: Sie sind verstärkt worden. Man kann also nicht mehr mit der Axt eindringen beispielsweise. Die Tür eintreten ist genauso wenig möglich. Man kommt von außen nicht mehr rein. Man muss sich Zutritt verschaffen über ein akustisches Signal, praktisch wie eine Türschelle, und dann muss von innen, vom Cockpit aus auf den Öffnungsdrücker gedrückt werden. Das scheint hier nicht gelungen zu sein.
    Dann gibt es eine zweite Möglichkeit, eben diese Noteinstiegsmöglichkeit. Da hält man den Knopf von außen etwas länger gedrückt. Dann öffnet sich die Tür für eine kurze Zeit, sodass man dann schnell reingehen kann, es sei denn - und das muss ja hier wohl passiert sein -, dass von innen da gegengehalten wird. Das heißt, wenn dieser Noteinstieg versucht wird, kann das von innen zusätzlich blockiert werden.
    Was im Einzelnen passiert ist, wie gesagt, das ist Spekulation. Aber eins scheint ja sicher zu sein, dass der Kollege von außen weder auf die eine, noch die andere Weise rein ins Cockpit gelangt ist.
    Heckmann: Was ist denn daraus zu schließen, wenn dieser Noteinstieg nicht gelungen ist? Was schließen Sie daraus, was sind Ihre Schlüsse?
    Giemulla: Die im Moment einzige Erklärung ist, dass der Kollege im Cockpit das verhindert hat, eben dadurch, dass er den Gegenknopf sozusagen gedrückt hat. Und jetzt sind wir wieder ratlos, warum. Da möchte ich auch gar keine Spekulationen abgeben. Aber das ist genau die Frage, um die es geht, und das Fatale leider ist, dass man sich ja nicht mit sich selbst unterhält. Das heißt, das, was der Cockpit Voice Recorder da liefern kann, ist Schweigen und daraus kann man natürlich nichts entnehmen.
    Heckmann: Wenn der im Cockpit verbliebene Pilot die Möglichkeit genutzt hat, diesen Noteinstieg des anderen Piloten zu verhindern, kann man dann sagen, können diese Sicherheitsbestimmungen, die es jetzt gibt, und diese Regeln so bleiben?
    Giemulla: Man ist immer schlauer hinterher. Man muss den Anlass betrachten, warum diese Sicherheitsmaßnahmen eingeführt worden sind. Das war der 11. September und das war natürlich der Schutz vor dem Eindringen von Terroristen ins Cockpit. Nun stehen wir hier vor der wirklich fast makabren Situation, dass wir offensichtlich einen Schutz brauchen gegen die Leute, die uns ja sicher fliegen sollen. Die Vertrauensgrundlage, an die gehen wir ja heran. Wem vertrauen wir uns eigentlich an? Wir gehen ja davon aus, die Piloten bringen uns sicher von A nach B und wollen das selbst auch aus Selbsterhaltungstrieb und weil es ihr Beruf und ihr Leben ist natürlich ganz selbstverständlich. Und nun sind wir an einem Punkt angelangt, wo wir uns fragen: Müssen wir uns ausgerechnet vor denen schützen, denen wir unser Leben und unsere Sicherheit anvertrauen? Da dreht sich die Sache irgendwo im Kreise. Wir scheinen, an dem Punkt angelangt zu sein, wo man tatsächlich sich nicht mehr schützen kann.
    "Nicht dichtgehalten"
    Heckmann: Herr Giemulla, gestern hat ja die französische Luftfahrtbehörde bekannt gegeben, dass der Voice Recorder geborgen und auch ausgewertet wurde, dass eine entsprechende Aufnahme vorliegt. Aber zum Inhalt wurde nichts genannt. Jetzt läuft es sozusagen über die Medien. Wie bewerten Sie das? Sind Sie darüber irritiert?
    Giemulla: Sehr sogar, denn es ist nicht Aufgabe einer „New York Times" oder welcher Zeitung auch immer, ich sage mal, Verkündungsorgan einer Flugunfall-Untersuchungsstelle zu sein, auch offensichtlich, ich sage mal, unkontrolliertes Verkündungsorgan. Hier scheint es irgendeinen dieser berühmten Whistleblower, wir würden sagen Verpfeifer gegeben zu haben. Hier wurde nicht dichtgehalten offensichtlich. Es ist eigentlich sehr verantwortungsvoll, was die Stelle, die Unfalluntersuchungsstelle als solche macht, nämlich nicht Ergebnisse nach außen zu geben, bevor man die nicht richtig einordnen kann, weil genau dann natürlich die Spekulationen ins Kraut schießen. Das ist natürlich schade, um es mal ganz zurückhaltend zu sagen, schlimm für die Hinterbliebenen auch, dass jetzt hier offensichtlich ein Informationsleck offenkundig geworden ist und dann über die Medien solche Dinge ins Publikum gelangen, was Einzelinformationen sind, die noch nicht eingeordnet werden können und wo die Fantasie wilde Bocksprünge schlägt und die Hinterbliebenen umso mehr noch belastet werden.
    Heckmann: Aber hat die Behörde nicht Tür und Tor geöffnet für solche Spekulationen, wenn man so zurückhaltend mit einer so entscheidenden Information ist?
    Giemulla: Ich unterstelle mal positiv, dass die Behörde hier die Informationen in den nächsten Tagen ohnehin herausgegeben hätte, oder hoffentlich dann auch noch in etwas offiziellerer und analytischer Form auch in den nächsten Tagen herausgibt. Ein Schnellschuss in solchen Situationen ist in der Regel nicht angebracht. Das spricht eigentlich für eine sorgfältige Untersuchung und Analyse, zunächst mal zurückhaltend zu sein und nur dann mit Ergebnissen offiziell ans Publikum zu treten, wenn die, soweit es im Moment geht, abgesichert sind. Wir warten darauf. Wir warten alle dringend darauf, dass die Behörde sich offiziell äußert und dann hoffentlich auch diese Ungereimtheiten irgendwie erläutern kann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.