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Geschichte des BND
Die Spionage der Organisation Gehlen in der DDR

Der Vorläufer des BND, die Organisation Gehlen, arbeitete in den frühen Jahren der DDR mit großem Erfolg. Doch nach dem Aufstand des 17. Juni und dem Stasi-Schlag gegen die bundesdeutschen Agenten lieferte die Organisation kaum noch relevante Informationen - dafür erhielt sie den Antikommunismus in der BRD am Leben.

Von Isabel Fannrich-Lautenschläger | 13.02.2020
Schwarz-weiß Foto von Reinhard Gehlen, Leiter des BND von 1956 bis 1968, mit Sonnenbrille und Hut am 7. April 1972 am Ausgang eines Müncher Friedhofes.
Reinhard Gehlen, Leiter des BND von 1956 bis 1968, baute nach dem Krieg einen Auslandsgeheimdienst auf, die "Operation Gehlen" (picture alliance / Dieter Endlicher)
Aus den Akten der Organisation Gehlen hat der Historiker Ronny Heidenreich Überraschendes zutage gefördert. Der Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes habe vor dessen Gründung 1956 in der Sowjetisch Besetzten Zone, SBZ, und in der früheren DDR extrem erfolgreich Agenten angeworben.
"Das Ausmaß und die Intensität der Unterwanderung oder Durchdringung der DDR durch westliche Nachrichtendienste, namentlich durch den BND, hatte quantitative Ausmaße, die für mich überraschend waren. Das heißt, bereits in den 1940er Jahren ist damals die Organisation Gehlen in der Lage, weitverzweigte Netze aufzubauen in einem großen geographischen Raum und auch mit einer großen Spannbreite, das heißt es ging nicht nur um Militärspionage, es ging auch um Wirtschaftsspionage, es gab auch Ansätze, auch den Sicherheitsbereich in den Blick zu nehmen."
Bedingungen für Spionage in der frühen DDR günstig
1953 umfasste das Agentennetz mehr als tausend registrierte Zuträger, erzählt Heidenreich, der die DDR-Spionage des BND von den Anfängen bis zum Mauerbau untersucht. Hinzu kam eine ähnlich hohe Zahl an Mitwissern und Helfern, die Informationen liefern konnten.
Dieser anfängliche Erfolg lässt sich allerdings nicht damit erklären, dass die Organisation unter dem ehemaligen Wehrmachtgeneral Reinhard Gehlen so überragend arbeitete. Vielmehr waren die Bedingungen für Spionage in der frühen DDR – auch für andere westliche Geheimdienste wie die CIA – besonders günstig:
"Wir haben offene Grenzen, wir haben Kontakte der Bevölkerung, die sich von keiner Seite vollständig kontrollieren lassen, was auch damit zusammenhängt, dass der Überwachungsstaat, wie wir ihn in der DDR haben, sich erst in dieser Zeit langsam herausbildet. Und wir haben, was für die Motivation der V-Leute dieses Bundesnachrichtendienstes auch eine Rolle spielt, eine in der Gesellschaft historisch gewachsene und durch den Nationalsozialismus bestärkte Ablehnung des neuen kommunistischen Regimes, was sich dort herausbildete."
Veraltete Methoden und unprofessionelle Spione
Ab 1953 ging es allerdings bergab. Bis zum Mauerbau '61 sank die Zahl der V-Leute in der DDR von 1.000 auf 230. Und am Ende der Amtszeit Reinhard Gehlens 1968 lieferten nur noch 20 sogenannte Quellen Informationen nach Pullach in die Zentrale.
Warum die Rekrutierung von Agenten in der DDR – und infolge dessen die Informationsbeschaffung so desaströs waren, konnte Heidenreich mit Hilfe der frühen BND-Akten rekonstruieren. Wie die anderen westlichen Dienste habe die Organisation Gehlen zunächst lernen müssen, wie die junge DDR zu unterwandern war. Ihre Gründer verschlossen sich jedoch dem nötigen Lernprozess und setzten auf veraltete Methoden - untauglich für die Nachkriegszeit.
"Sie werben zunächst in den 40er Jahren Freundes- und Kameradenkreise an, die mit Aufträgen versehen werden und die man teilweise versöhnlich noch in den Ost-Zonen besucht, um sich dort zu unterhalten, Informationen auszutauschen und das hat de facto nichts mit einem Spionagenetzwerk zu tun."
Es waren alles andere als Profis, die in der DDR Informationen sammelten und weitergaben. Die 1950 gegründete DDR-Staatssicherheit und der sowjetische KGB kamen ihnen zunehmend auf die Schliche, berichtet Prof. Daniela Münkel, Projektleiterin in der Stasi-Unterlagenbehörde.
Berliner bewerfen einen sowjetischen Panzer in der Leipziger Straße nahes des Potsdamer Platzes in Berlin mit Steinen. Nach Streiks in Ost-Berlin kam es am 17.06.1953 zum Volksaufstand, der von sowjetischen Truppen niedergeschlagen wurde.
Sowjetische Panzer in Berlin: Volksaufstand am 17. Juni 1953 in der DDR (picture alliance / dpa)
"Ausgangspunkt ist der 17. Juni, der Volksaufstand. Die Stasi wurde von der SED mit verantwortlich gemacht für das Ausbrechen dieses Aufstandes, nach dem Motto: 'Ihr hättet das wissen müssen. Ihr wisst überhaupt nicht Bescheid, was passiert.' Danach gibt es einen Ministerwechsel an der Spitze der Staatssicherheit, und es gibt einen Strategiewechsel. Bis dahin hatte man vor allen Dingen Informationen gesammelt über Agenten im eigenen Land. Und jetzt entschied man sich, zuzuschlagen und eine offensivere Strategie zu fahren. Das war die Strategie der konzentrierten Schläge."
Stasi-Schlag gegen die Operation Gehlen
Der erste große Schlag ging gegen die Organisation Gehlen. Im Herbst 1953 wurden in einer nächtlichen Aktion mehr als 100 seiner Agenten festgenommen, bis zum Jahresende ein paar hundert. Die Stasi habe sich nach innen von der vermeintlichen Schande des 17. Juni rehabilitieren, als 'Schild und Schwert der Partei' sowie als Schutzmacht der Bevölkerung profilieren wollen, sagt Münkel.
"Zu der neuen Strategie gehörte auch, das Ganze propagandistisch auszuschlachten, das heißt es wurde eine riesige Medienkampagne nach den Festnahmen gestartet. Und das hatte dann wieder nach innen die Wirkung, dass einerseits das abschreckend wirkte auf die Bevölkerung, sich zu engagieren, nämlich dass sich kaum noch jemand für die BND-Spionage gewinnen ließ. Und es schüchterte die Leute natürlich ein. Nach außen ging es darum, erstmal die eigene Überlegenheit zu zeigen. Es ging darum, die Organisation Gehlen zu diskreditieren als von Nazis durchsetzter und von den Amerikanern gelenkter Nachrichtendienst – was es ja auch war. Und die Institutionalisierung der Organisation Gehlen als Bundesnachrichtendienst zu verhindern."
"Geheime Dienste": Die dunklen Seiten des BND
Der Vorläufer des Bundesnachrichtendienstes, die "Organisation Gehlen", betrieb in den Anfangsjahren der Bundesrepublik systematisch gesetzwidrig politische Inlandsspionage. Das hat eine Historikerkommission nun eindeutig belegt.
Letzteres gelang nicht. Allerdings konnte der BND in der DDR tatsächlich immer weniger Agenten rekrutieren. Deshalb ging er dazu über, seine Informationen in West-Berlin und in der Bundesrepublik zu beschaffen: bei in den Westen geflohenen DDR-Bürgern oder heimlich bei erfolgreicheren Diensten wie dem Verfassungsschutz oder antikommunistischen Organisationen wie der 'Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit'.
Kaum relevanten Informationen geliefert
Für Jens Gieseke, Historiker am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam, stellt sich – wenn es um die Bedeutung des frühen BND geht – eine ganz andere Frage:
"Wie kann eigentlich eine Bundesregierung – und auch die westlichen Partnerdienste – damit leben, dass ein Nachrichtendienst wie der Bundesnachrichtendienst eben mindestens von 1955 bis 1968 eigentlich keine nennenswerten Informationen von Belang aus der DDR, richtige und nennenswerte, relevante Informationen, die zur Deutschland- und Außenpolitik beisteuern, wie konnte dieser Staat damit eigentlich leben?"
Der spätere Chef des Bundesnachrichtendienstes (BND), Reinhard Gehlen, in Offiziersuniform auf einer Aufnahme aus dem Jahr 1944.
Militärorientierte Spionage: Der spätere Chef des BND, Reinhard Gehlen, im Jahr 1944 (picture alliance / Ullstein)
Zum Beispiel der 17. Juni 1953. Weil Gehlens Leute hauptsächlich beim Militär spionierten und nur punktuell in den Führungsstrukturen des Wirtschafts- und Verwaltungsapparates, hatten sie vom Volksaufstand keinerlei Kenntnis, stellt Buchautor Ronny Heidenreich fest.
"Das heißt, zu diesem Zeitpunkt gibt es keine einzige Quelle, die in der Lage wäre, darüber Auskunft zu geben, was wird politisch diskutiert in Ostberlin oder in Moskau. Oder es gibt kaum Quellen in den Betrieben, die darauf hinweisen, dass die gesellschaftliche Spannung angesichts der innenpolitischen Krise soweit zunimmt, dass es krisenartige Situationen geben würde."
Antikommunismus als ideologischer Zusammenhalt
Die Bedeutung eines Geheimdienstes lässt sich nicht allein an der Anzahl seiner Agenten festmachen, so die Experten. Gehlen und seine Agenten hätten sich in den 50er Jahren alles andere als dysfunktional begriffen, sagt Jens Gieseke - lieferten sie Bundeskanzler Konrad Adenauer doch das nötige Bedrohungsszenario für seine Politik.
"Bundesnachrichtendienst" steht an einem Gebäude des BND in Berlin im Bezirk Steglitz/Zehlendorf unter einer Überwachungskamera und neben dem Bundesadler, aufgenonmmen am 20.12.2015.
60 Jahre BND: Umstrittener Geheimdienst
Unumstritten war der 1956 gegründete Bundesnachrichtendienst nie. Die Arbeit des Auslandsgeheimdienstes, der sich in seiner ersten Zeit vor allem auf die Spionage in Russland und der DDR konzentrierte, war immer wieder von Skandalen überschattet.
"Aus Gehlens Sicht war das hochfunktional. Es diente dazu, erstens den Antikommunismus als Brückenideologie für alle, die 1945 auch schon gegen Kommunisten waren, weiterhin am Leben zu erhalten, und diese Bundesrepublik politisch-mental zusammenzuhalten. Die reale Spionage stand da nicht im Mittelpunkt. Das hängt auch damit zusammen, dass es eigentlich kein Interesse daran gab, was im Politbüro der DDR, der SED, tatsächlich gedacht wurde. Es war für den BND schlicht irrelevant. Das wird wunderbar nachgewiesen im Buch von Ronny Heidenreich. Deswegen war das auf seine Art auch funktional. Es war nur eben keine politische Spionage. Und das ändert sich natürlich spätestens in dem Moment, wo eine Bundesregierung anfängt, mit der DDR zu verhandeln."
Ronny Heidenreich
Die DDR-Spionage des BND. Von den Anfängen bis zum Mauerbau
Christoph Links Verlag, 2019. 650 Seiten, 50 Euro