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Geschönter Spritverbrauch
"Tricks am Rande der Legalität"

Autohersteller tricksen offenbar seit Jahren bei den Angaben über den Spritverbrauch ihrer Fahrzeuge. Der Automobilexperte Stefan Bratzel hält die Tricks nicht alle für illegal - aber für illegitim. Nicht nur werde der Verbraucher getäuscht, auch passe die Vorgehensweise nicht zu den CO2-Zielen. Er macht auch die Politik dafür verantwortlich.

Stefan Bratzel im Gespräch mit Dirk Müller |
    Tankanzeige eines Autos
    Tankanzeige eines Autos (dpa/picture alliance/Hendrik Schmidt)
    Er beobachte seit Jahren, dass die Abweichungen von den Grenzwerten "scherenmäßig" immer weiter auseinander gingen, so Bratzel. Ob es dabei um eine Differenz von 42 Prozent oder 35 Prozent gehe, sei für ihn zweitrangig. Der Umstand müsse korrigiert werden. "Sonst verliert die Automoblindustrie ihre Glaubwürdigkeit."
    Verantwortlich für die Tricksereien macht Bratzel nicht nur die Hersteller selbst, die mit den geschönten Angaben auf Druck wegen immer schärfer werdender CO2-Grenzwerte und der gleichzeitig Nachfrage nach SUVs reagierten - sondern auch die Politik: "Es gab in der Politik eine Art Kultur des Wegschauens. Man hat gewusst, dass solche Tricks verwendet wurden, aber man hat sie einfach geschehen lassen."
    Die Problematik sei insbesondere stärker geworden, seit es die verbindlichen CO2-Grenzwerte für das Jahr 2020 gebe. Etwa seit 2007, 2008 sei der Druck auf die Hersteller enorm stark.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Die Vorwürfe wiegen schwer, wieder einmal erhoben vom Internationalen Umweltforscherverband mit dem Kürzel ICCT. Danach weicht der CO2-Verbrauch und damit auch der tatsächliche Kraftstoffverbrauch von Autos in Europa um über 40 Prozent von den offiziellen Angaben ab. Die Kluft also zwischen Prospekt und Wirklichkeit ist demnach so hoch wie nie zuvor. Die Autofahrer werden denn auch beim Spritverbrauch viel mehr bezahlen müssen, als sie vielleicht kalkuliert haben, Mehrkosten von fast einer halben Milliarde Euro in Europa. Das behaupten jedenfalls die Forscher von ICCT.
    Fast 40 Prozent mehr Spritverbrauch als angegeben. Das behauptet jedenfalls die neue Studie. Unser Thema mit dem Automobilexperten Professor Stefan Bratzel vom Center of Automotive Management in Bergisch Gladbach bei Köln. Guten Tag!
    Stefan Bratzel: Guten Tag!
    "Die Abweichungen gehen scherenmäßig immer weiter auseinander"
    Müller: Wir wollen darüber reden: 40 Prozent mehr Spritverbrauch als angegeben. Sind die Autokonzerne Betrüger?
    Bratzel: Soweit würde ich jetzt nicht gehen, dass man ihnen direkt Betrug vorwirft. Aber es wurden Tricks verwendet, um diese Reduzierungen auf den Papierwerten zu erreichen, die sicherlich teilweise am Rande der Legalität waren. Vielleicht gingen sie - das werden auch Ermittlungen noch zeigen in nächster Zeit - auch über das legale Maß hinaus. Aber sicher ist: Sie sind zunehmend illegitim, weil - das ist in Ihrem Bericht ja deutlich geworden - die Abweichungen sozusagen scherenmäßig immer weiter auseinandergehen, und das passt natürlich nicht mit den CO2-Zielen zusammen, die man hat, und für den Verbraucher passt das auch nicht, wenn er ein Fahrzeug kauft und er kann sich nun überhaupt nicht mehr orientieren an den Normverbrauchen, die angegeben werden.
    Müller: Sie gehen davon aus, Herr Bratzel, dass diese Zahlen auch wirklich verifiziert sind, dass man sich darauf verlassen kann?
    Bratzel: Ob das jetzt 42 Prozent sind oder 35, ist aus meiner Sicht zweitrangig. Den Trend, der jetzt durch diese Studie verdeutlicht wird, den erkennen wir auch seit Jahren. Die Schere geht auseinander zwischen dem, was im Labor gemessen wird und dann auch quasi auf Papier verifiziert wird, und das, was real tatsächlich dann im normalen Fahrbetrieb den Kraftstoffverbrauch ausmacht, und das muss korrigiert werden. Wenn das weitergeht, dann verliert die Autoindustrie zunehmend an Glaubwürdigkeit, und das ist genau das, was man langsam wiederherstellen muss.
    "Diese Themen sind am Rande der Legalität"
    Müller: Jetzt sind wir beide keine Juristen. Aber Sie sagen, das passiert seit Jahren. Sie stimmen auch Interpretationen der ICCT-Studie ja durchaus zu. Warum ist das kein Betrug, wenn ich die Kunden seit Jahren hinter die Fichte führe?
    Bratzel: Nun, es gibt ja nach dem sogenannten neuen europäischen Fahrzyklus bestimmte Vorgaben, was erlaubt ist beziehungsweise - und da fängt die Grauzone an - was nicht verboten ist, um diese Laborwerte zu messen, und da ging man auch aus dem Druck heraus, dass man immer schärfere CO2-Grenzwerte einhalten muss, an den Rand dessen, was eigentlich so richtig legitim ist: Aufpumpen von Reifen, der Generator wird abgestellt, es werden Luftschlitze abgeklebt und so weiter. Diese Themen sind am Rande der Legalität. Und der Druck kommt nicht nur aus den CO2-Grenzwerten, die schärfer geworden sind, sondern auch aus einem Nachfragetrend hin zu SUVs. Die SUVs haben höhere CO2-Werte, weil sie eine schlechtere Aerodynamik haben. In der Regel sind es größere, schwerere Fahrzeuge, die auch leistungsmäßig stärker sind. Das hat diese Eigendynamik verstärkt, dass die Hersteller versuchen, ihre Fahrzeuge auf diesen Zyklus zu optimieren.
    "Es gab in der Politik eine Art Kultur des Wegschauens"
    Müller: Herr Bratzel, das ist ja, wenn ich hier reingehen darf, die sogenannte Premium-Klasse, das Premium-Segment, was von der Automobilindustrie und auch gerade von der deutschen ja immer so forciert wird, auch in der Politik. Das ist ganz interessant, wie Sie das miteinander kombinieren. Das heißt, habe ich Sie da richtig verstanden, dass im Grunde Politik, dass die Behörden, dass beispielsweise auch das zuständige Kraftfahrtbundesamt im Grunde bei diesem Spiel - das ist ja jetzt auch nicht ganz neu, dennoch noch mal gefragt - irgendwo mitspielt, weil man weiß, dass man, wie Sie es sagen, am Rande der Legalität operieren kann? Und aufgepumpte Reifen, gut, wer soll was dagegen haben, das ist nicht illegal. Das heißt, hier wird ganz bewusst der maximale Spielraum ausgenutzt, um dann zu völlig anderen Werten zu kommen?
    Bratzel: Ja was man schon ernsterweise sagen muss: Es gab in der Politik eine Art Kultur des Wegschauens. Man hat gewusst, dass solche Tricks verwendet wurden, aber man hat sie einfach geschehen lassen.
    Müller: Ist das seit Adenauer so, oder seit Gerhard Schröder?
    Bratzel: Ich meine, die Problematik ist insbesondere gestiegen, seit die verbindlichen CO2-Grenzwerte für das Jahr 2020 da sind. Das heißt, seit 2007, 2008 ist der Druck auf die Hersteller enorm stark. Ich würde das nicht seit Adenauer irgendwie definieren.
    Müller: Früher war es egal, wie viel sie rausgepustet haben.
    Bratzel: Früher war es nicht ganz egal, aber es war nicht ganz so wichtig. Jetzt ist das sehr wichtig, A weil eine Zeit lang die Spritpreise relativ hoch waren, insofern der Kunde hat auch auf den Spritverbrauch als Kauffaktor geachtet. Und zunehmend wird das Thema CO2 relevant, wenn am Ende dann Strafzahlungen möglicherweise drohen.
    Müller: Jeder SUV-Fahrer, wenn ich Sie richtig verstanden habe, ist ein doppelter Umweltsünder?
    Bratzel: Ja, so würde ich das auch nicht sagen. Aber ich will mal ein Beispiel nennen: Wir haben ja einen Trend zu den sogenannten elektrifizierten Fahrzeugen, auch den Plug-in-Hybriden, also die Fahrzeuge, die man auch an der Steckdose aufladen kann, aber auch mit Verbrennungsmotor fahren.
    "Spritverbräuche von 1,9 Liter, 2,1 Liter - das ist ein völlig irriger Wert!"
    Müller: Die Kombination?
    Bratzel: Diese Kombination. Und da gibt es zum Beispiel Spritverbräuche, die dann angegeben werden, von 1,9 Liter, 2,1 Liter. Das ist ein völlig irriger Wert! Das heißt, jemand, der sich darauf verlässt, er hat jetzt ein Elektrofahrzeug mit einem per Norm niedrigen Verbrauch von zwei Litern auf 100 Kilometern, der fährt aber in der Realität dann trotzdem, weil genau diese Premium-Fahrzeuge bieten diese Plug-in-Hybride an, teilweise mit sechs, sieben Litern oder teilweise mehr. Und das passt nicht, hier müssen die Regulierungen angepasst werden. Hier gibt es auch Anpassungen, das muss man vielleicht auch sagen. Der Normzyklus wird jetzt gerade verändert auf den sogenannten WLTP-Zyklus, der etwas realistischer ist. Dadurch werden dann die CO2-Emissionen deutlich, vielleicht so um 20 Prozent steigen. Es gibt Anpassungen, das muss man auch sagen, aber man muss hier von der politischen Seite sehr viel stärker regulieren und kontrollieren, auch im Sinne der Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit der Politik.
    Müller: Herr Bratzel, sagen Sie uns doch, nennen Sie uns ein paar Namen. Wer ist dafür verantwortlich in der Politik, der Verkehrsminister, der das alles durchgehen lässt, oder wer setzt sich permanent dafür ein, dass die Automobilindustrie nicht das halten muss, was sie angibt, was sie verspricht?
    Bratzel: Nun, es ist nicht nur eine nationale Aufgabe. Das ist ja eine EU-Politik. Da wird natürlich durch entsprechenden Lobbyismus auch Druck auf die europäische Ebene erzeugt.
    "Man könnte es negativ auch Kumpanei nennen"
    Müller: Auch sehr erfolgreich in Brüssel dieser Lobbyismus?
    Bratzel: Das ist erfolgreich und dass man miteinander spricht, ist, glaube ich, nicht das Problem. Aber die politischen Institutionen, sei es der Verkehrsminister, sei es die Kommission, die muss auch dem Thema Umwelt- und Gesundheitsschutz neben dem wirtschaftlichen Thema - - Das Thema Arbeitsplätze schwingt ja immer auch ein Stück weit mit. Aber er muss auch diesem Umwelt- und Gesundheitsschutz-Thema zur Bedeutung verhelfen, und das scheint mir ein Stück weit nicht passiert zu sein, und das rächt sich in vieler Hinsicht jetzt auch für die Automobilindustrie, die lange geglaubt hat, sie kommt mit diesen Themen durch. Und in den USA erleben wir ja gerade, wie man sich getäuscht hat und wie viel Geld das kosten kann. Das heißt, diese ein Stück weit zu enge Zusammenarbeit, man könnte es negativ auch Kumpanei nennen, ist am Ende auch für die Automobilindustrie schädlich.
    Müller: Jetzt haben wir nur noch zwei Sekunden. Ganz gleich welche Partei?
    Bratzel: Es ist aus meiner Sicht ganz gleich welche Partei. Das ist ein Grundproblem gewesen in den letzten Jahren.
    Müller: Der Automobilexperte Professor Stefan Bratzel bei uns heute Mittag hier im Deutschlandfunk. Danke, dass Sie für uns Zeit gefunden haben, Ihnen noch einen schönen Tag.
    Bratzel: Ebenso! Schönen Tag!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.