Archiv

Gesine Lötzsch (Die Linke)
"Pflege so gestalten, dass sie niemanden arm macht"

Die stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, Gesine Lötzsch, befürchtet durch die zwischen Union und SPD vereinbarte Pflegereform einen Flickenteppich bei der Bezahlung von Pflegekräften. Die Forderung deshalb: Mindestens 500 Euro mehr Grundgehalt und eine gesetzliche Personalbemessung.

Gesine Lötzsch im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
Gesine Lötzsch (Die Linke)
Gesine Lötzsch, stellvertretende Vorsitzende der Linksfraktion, fordert, dass Pflegeinrichtungen gemeinnützig werden. (dpa/picture alliance/Geisler-Fotopress)
Das Bundeskabinett will heute (02.06.2021) die lang geplante Pflegereform beschließen. Der Bundestag könnte so noch vor der Bundestagswahl über das Gesetz abstimmen. Ziel ist eine bessere Entlohnung des Pflegepersonals. Nach Angaben von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) ermöglicht die Reform eine Lohnsteigerung von bis zu 300 Euro für Pflegekräfte. Die Bundesregierung hatte sich zuvor darauf geeinigt, dass Pflegeeinrichtungen nur dann mit der gesetzlichen Versicherung abrechnen können, wenn sie Tariflöhne zahlen. Zur Finanzierung soll der Beitrag zur Pflegeversicherung für Kinderlose um 0,1 Prozent auf 3,4 angehoben werden.

Zusätzlich mindestens 500 Euro mehr Grundgehalt

Gesine Lötzsch, stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Linken, kritisierte die Pläne im Dlf. Sie erwartet nach der Reform einen Flickenteppich bei den Gehältern, da die Tariflöhne nicht festgelegt sind. Ihre Forderung deshalb: Zusätzlich zur Lohnerhöhung mindestens 500 Euro mehr Grundgehalt für Pflegekräfte. Außerdem: Eine gesetzliche Personalbemessung für Berufe im Krankenhaus und in Pflegeeinrichtungen. Nur so könne verhindert werden, dass höhere Löhne in den Einrichtungen zu weniger Personal führe.
Ein Grundübel sei auch, dass Finanzinvestoren und Kapitalgesellschaften Renditen aus Pflegeeinrichtungen pressten, meinte Lötzsch. Pflegeeinrichtungen müssten deshalb gemeinnützig sein.
VdK-Präsidentin Bentele - Pflege durch Pflegevollversicherung finanzieren
Die Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Verena Bentele, fordert zur Finanzierung der Pflege höhere Steuern für Vermögende. Im Dlf sagte sie, es brauche mehr Finanzmittel, um die Pflege auf solide Beine zu stellen. Bentele schlug eine Pflegevollversicherung ähnlich der Krankenversicherung vor.

Das Interview im Wortlaut:
Heckmann: Frau Lötzsch, Union und SPD sorgen dafür, dass hunderttausende Beschäftigte in der Pflegebranche Tariflöhne erhalten. Können Sie als Opposition, auch wenn Sie Opposition sind, einmal sagen, gut so?
Lötzsch: Die Tariflöhne sind ja nicht festgelegt, in welcher Höhe sie sind. Das große Problem ist, dass wir wahrscheinlich einen Flickenteppich erwarten können, und darum wäre die Forderung, einen festen Betrag, der mindestens zusätzlich auf diese Lohnerhöhung kommen muss, festzulegen. Wir als Linke sagen, wir müssten mindestens 500 Euro mehr Grundgehalt für die Pflegekräfte realisieren.
Aber die andere Seite ist ja – und das wurde schon in dem Beitrag angesprochen; auch die Befürchtung von Frau Bentele -, werden es weniger Pflegekräfte. Darum ist die zweite Forderung, die wir unbedingt durchsetzen müssen, dass es eine gesetzliche Personalbemessung für alle Berufe im Krankenhaus und in Pflegeeinrichtungen gibt. Denn nur so kann verhindert werden, dass höhere Löhne zu Lasten der Menschen gehen, die dort arbeiten, nämlich in geringerem Personal sich auswirken.

"In vielen Pflegeheimen gibt es überhaupt keinen Organisationsgrad"

Heckmann: Sie wollen eingreifen, um zu Ihrem ersten Punkt noch mal zurückzukommen, in die Tarifautonomie?
Lötzsch: Wir haben ja gesehen in den letzten Jahren, in den letzten Monaten noch mal als Höhepunkt, dass es keine Tarifverträge gab, dass keine Tarifverträge zustande gekommen sind, dass teilweise Scheingewerkschaften gegründet wurden von Arbeitgebern, um die Löhne niedrig zu halten.
Heckmann: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind ja jederzeit frei, eine eigene Gewerkschaft zu gründen, wenn ansonsten nur Scheingewerkschaften existieren.
Lötzsch: Ja, da haben Sie ja recht. Aber wir müssen uns ja die Realität anschauen und die Realität ist, dass es in vielen Pflegeheimen überhaupt keinen Organisationsgrad gibt, und wir beklagen ja alle, wie die Situation ist, und jeder von uns kann in die Situation kommen, gepflegt werden zu müssen, oder hat in seinem familiären Umfeld damit Erfahrung. Also muss hier unbedingt eingegriffen werden.

"Man kann mit Pflege unheimlich viel Geld verdienen"

Aber ich glaube, das Grundübel an der ganzen Angelegenheit, das müssen wir deutlich ansprechen. Das hat vor einigen Jahren sogar der Gesundheitsminister Spahn selbst angesprochen, nämlich man kann mit Pflege unheimlich viel Geld verdienen. Inzwischen sind auf dem Pflegemarkt internationale Kapitalanleger unterwegs, Finanzinvestoren und Kapitalgesellschaften, die teilweise zweistellige Renditen aus diesen Pflegeeinrichtungen herauspressen. Vor Jahren hat Spahn gesagt, das muss ein Ende haben. Leider ist in dieser Pflegereform von dieser Erkenntnis nichts mehr vorhanden.
Heckmann: Das würden die Betreiber von privaten Pflegeheimen sicherlich anders darstellen. Die sagen, ohne uns würde die Pflegebranche mehr oder weniger zusammenbrechen, und da ist ja auch was dran, dass die einen großen Teil der Branche betreiben. Und sie sagen, die Koalition nimmt mit der Reform eine Existenzgefährdung der Pflegeeinrichtungen in Kauf und setzt damit die Versorgung pflegebedürftiger Menschen aufs Spiel. Ganz so schlecht scheint die Reform ja doch nicht zu sein.
Lötzsch: Ich glaube, wir müssen uns anschauen, gerade auch im Lichte der Corona-Pandemie, dass uns doch allen klar geworden ist, dass alles, was mit Gesundheit, mit Pflege zu tun hat, nicht der Rendite unterworfen werden darf. Darum sagen wir: Alles, was der Öffentlichkeit unbedingt zur Verfügung gestellt werden muss, zum Beispiel Pflege, Krankenhäuser, das muss in kommunaler und in gemeinnütziger Hand sein. Darum ist unsere Forderung, Pflegeeinrichtungen müssen gemeinnützig sein. Wir haben ja die Situation, dass teilweise internationale Investoren auch Rendite aus Pflegeheimen hier in der Bundesrepublik herauspressen, und das kann doch nicht die Zukunft sein. Wir werden in Zukunft wesentlich mehr Pflegebedürftige haben und damit hat diese Reform noch überhaupt sich nicht auseinandergesetzt. Der Gesundheitsminister Spahn hat es verschleppt. Es hätte auch schon längst vor Corona angefasst werden müssen. Mit Corona kann man jetzt alles begründen. Das kann ich nicht akzeptieren.
Streikende Pflegerinnen und Pfleger protestieren vor der Charité vor Corona.
Pflegetarifvertrag - Das Veto der Caritas und seine Folgen
Ein neuer Tarifvertrag sollte für bessere Bezahlung in der Altenpflege sorgen. Die Arbeitgeberseite der Caritas, einer der größten Player, stimmte dagegen. Von einer Minderheit in der Branche lasse man sich nichts aufzwingen, so die Begründung. Dafür erntet der katholische Wohlfahrtsverband heftige Kritik.

"Wir brauchen wirklich eine grundlegende Pflegereform"

Heckmann: Kann der Staat alles besser als private Anbieter, auch das Betreiben von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen?
Lötzsch: Wir brauchen ja nur einen ganz kurzen Blick zurückwerfen. Erstens schauen wir in die Pflegeeinrichtungen. Dort gibt es immer weniger Personal. Viele verlassen ja die Pflegeeinrichtungen auch, weil sie sagen, sie können diesen Arbeitsdruck, weil es zu wenig Personal gibt, weil nicht genügend Leute eingestellt werden, überhaupt nicht mehr aushalten.
Heckmann: Und das will das Gesetz ja ändern!
Lötzsch: Sie wechseln den Beruf. – Ja, das will das Gesetz ändern, aber die Frage ist doch, ob mit diesem Gesetz, mit diesem kleinen Stückwerk dieses Ziel erreicht wird, und da können wir als Linke nur sagen, dieses Ziel wird damit nicht erreicht. Wir brauchen wirklich eine grundlegende Pflegereform. Das wie gesagt haben viele erkannt. Es gibt ja auch von den Sozialverbänden starke Kritik jetzt an dem, was vorliegt, und diese Kritik muss man ernst nehmen. Wir haben ja noch zwei Sitzungswochen im Bundestag. Da müssen wir gründlich diskutieren. Aber ich hoffe, dass es gelingen wird, zumindest Änderungen an diesen Vorschlägen zu erreichen, und in der neuen Legislaturperiode muss es eine der ersten Aufgaben sein, wirklich die Pflege so zu gestalten, dass sie niemanden arm macht, weder die Menschen, die in der Pflege arbeiten, noch die Pflegebedürftigen, noch ihre Angehörigen.

"Tarifverträge gibt es ja in ganz unterschiedlichen Niveaus"

Heckmann: Okay! Soweit angekommen. – Das Bundesarbeitsministerium sagt, rund die Hälfte der 1,2 Millionen Pflegekräfte werden nicht nach Tarif bezahlt. Das sind 600.000 Menschen. Hubertus Heil hat angekündigt, der Arbeits- und Sozialminister, dass Lohnsteigerungen von 600 Euro pro Monat möglich wären für die Beschäftigten. Dafür hebt Die Linke im Deutschen Bundestag nicht die Hand?
Lötzsch: Wir haben ja noch die parlamentarischen Beratungen. Und was wir sagen: Es gibt schöne Worte von Hubertus Heil. Die hören wir seit langem. Und ich glaube auch, dass er persönlich es wirklich ernst nimmt. Die entscheidende Frage ist, dass er es gegenüber dem Koalitionspartner durchsetzt – erster Punkt – und zweiter Punkt dann natürlich auch in der Realität. Wie gesagt: Tarifverträge gibt es ja in ganz unterschiedlichen Niveaus. Der Tarifvertrag muss so sein, dass auch wirklich die Menschen, die in der Pflege arbeiten, etwas davon haben, dass sie wirklich mehr Geld in der Tasche haben und dass sie nicht wieder die Verlierer dieser Reform sind.
Heckmann: Hubertus Heil wollte ja den Tarifvertrag, der in der Branche existiert, für allgemeinverbindlich erklären, aber er ist gescheitert an den kirchlichen Trägern, die dafür notwendig gewesen wären, um das durchzusetzen.
Lötzsch: Ja, das war eine sehr große Niederlage für Hubertus Heil. Es war auch eine Sache, die uns sehr enttäuscht hat, denn die kirchlichen Träger haben ja häufig den Anspruch, noch einen zusätzlichen moralischen Anspruch zu haben in ihrer Arbeit, und damit haben sie der ganzen Branche, glaube ich, einen Bärendienst erwiesen. Auch mit den kirchlichen Trägern muss man sich natürlich kritisch auseinandersetzen. Das gehört dazu.

"Wir wollen eine Pflegevollversicherung, die diese hohen Zuzahlungen nicht mehr nötig macht"

Heckmann: Die sagen ja, wir haben nicht zugestimmt, weil wir ohnehin höhere Löhne zahlen.
Lötzsch: Das ist natürlich eine Argumentation, die überhaupt nicht überzeugend ist. Sie haben ja damit verhindert, dass in anderen Pflegeheimen die Löhne erhöht werden könnten, und von daher ist diese Argumentation nicht überzeugend, und ich hoffe, dass sie aus dieser öffentlichen Debatte vielleicht auch ihre richtigen Schlussfolgerungen ziehen.
Heckmann: Kommen wir mal zur anderen Seite der Reform, zu den Kosten für Heimbewohner. Der Eigenanteil wird durch staatliche Zuschüsse begrenzt, und zwar nach einem Jahr um ein Viertel reduziert, nach zwei Jahren um die Hälfte und nach drei Jahren um drei Viertel. Erkennen Sie hier wenigstens an, dass das eine Entlastung ist?
Lötzsch: Das kann für die Heimbewohnerinnen und Heimbewohner beziehungsweise deren Angehörigen eine Entlastung sein, die lange in den Heimen leben. Aber der Pflegebeauftragte hat uns ja darauf hingewiesen, dass ein großer Teil, nämlich die Hälfte von Heimbewohnerinnen und Heimbewohnern lediglich ein Jahr in einem Pflegeheim wohnen und nach diesem einen Jahr versterben. Das heißt, diese Entlastung würde nur höchstens die Hälfte treffen. Die entscheidende Frage, die wir uns doch genau anschauen müssen, ist: Wieviel wird im Augenblick dazugezahlt. Der Bundesdurchschnitt ist 2068 Euro. Das übersteigt in den meisten Fällen die Renteneinkünfte, die, wenn es sich um alte Menschen handelt, sie erzielen können. Das heißt, es muss immer entweder die Familie zuzahlen, oder es muss Sozialhilfe beantragt werden, und der Sinn der Pflegeversicherung, die 1995 eingeführt wurde, bestand ja mal darin, die Menschen aus der Sozialhilfe zu holen, nicht die Pflege direkt in die Sozialhilfe zu führen. Von daher, glaube ich, muss hier auch angepackt werden, und wir als Linke sagen, wir wollen eine Pflegevollversicherung, die diese hohen Zuzahlungen auch nicht mehr nötig macht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.