Bettina Klein: Die Bundesregierung hat die umstrittene Reform der Pflegeversicherung heute auf den Weg gebracht. Das Kabinett hat den Gesetzentwurf gebilligt. Mit dieser Reform steigt der Beitragssatz zur Pflegekasse ab 1. Juli nächsten Jahres um 0,25 Prozentpunkte, was jährlich Mehreinnahmen von 2,5 Milliarden Euro bringen soll. Wir wollen uns das reformierte Gesetz jetzt Punkt für Punkt anschauen mit Professor Stefan Görres. Er arbeitet am Institut für angewandte Pflegewissenschaften an der Universität in Bremen. Schönen guten Tag Herr Görres.
Stefan Görres: Guten Tag Frau Klein.
Klein: Was zunächst ins Auge fällt: Die Beiträge werden steigen, obwohl seit Jahrzehnten gepredigt wird, die Lohnnebenkosten müssen sinken. Kann man das eigentlich gut heißen?
Görres: Ich denke schon. Wir können ja nicht, wenn wir ehrlich zu uns selber sind, auf der einen Seite eine Verbesserung und eine Qualitätsverbesserung fordern und auf der anderen Seite sagen, das muss aber zum Nulltarif geschehen. Ich glaube das kann man vermitteln, dass das nicht so ohne weiteres möglich ist. dass hier eine moderate Anhebung dann vollzogen wird, das denke ich wird nicht allzu schwierig sein, das der Bevölkerung zu vermitteln, denn sie profitiert ja auch direkt davon. Wir haben ja einige Punkte jetzt gehört. Ich denke das kann man nachvollziehen.
Klein: Und es ist alternativlos gewesen, die Beiträge anzuheben? Es wird vermutlich nicht die letzte Anhebung gewesen sein.
Görres: Das wird vielleicht nicht die letzte Anhebung gewesen sein. Das hängt natürlich auch damit zusammen, welche weiteren Reformen dann in Zukunft beschlossen werden, beziehungsweise es hängt natürlich etwas von der demographischen Entwicklung ab und natürlich davon, wie weit wir auch eine Diskussion noch mal einsetzen lassen, die durchaus dann auch diskutiert, muss das jetzt alles sozusagen über die Pflegeversicherung bezahlt werden, oder kann man nicht in dem einen oder anderen Fall auch überlegen, das dann grundsätzlich über Steuern zu finanzieren. Das denke ich wird uns sicherlich noch ein paar Jahre begleiten.
Klein: Inhaltlich, Herr Professor Görres, kommen wir mit dem, was das Kabinett auf den Weg gebracht hat, den großen Schritt voran für die zu pflegenden und ihre Angehörigen?
Görres: Das ist eine gute Frage. Wenn man den großen Schritt hier erwartet hat, dann werden sicherlich einige enttäuscht sein. Aber es ist hier wirklich das Bild anzubringen von dem halb leeren oder halb vollen Glas. Ich gehöre zu denjenigen die sagen, das ist eigentlich ein halb volles Glas, weil wir haben doch ganz wichtige Schritte hier voranbringen können.
Klein: Welche?
Görres: Jetzt auch aus Sicht der Wissenschaft. Was wir jahrelang ja diskutieren ist die Unterstützung der pflegenden Angehörigen zum Beispiel. Was wir jahrelang diskutieren ist eine bessere Beratung und Information der betroffenen Angehörigen unmittelbar in ihrer Wohnumgebung, das heißt also stadtteilnah, sprich Pflegestützpunkte. Was in Ihrem Bericht nicht zum Zuge kam war die Aufwertung der Pflegeberufe. Auch hier sind wir doch einen deutlichen Schritt weiter gekommen, so dass ich sagen würde, man hätte noch mehr erwarten können - das würden die Skeptiker sagen -, aber das was hier an Impulsen gesetzt wurde, das finde ich schon einen gewaltigen Schritt in die richtige Richtung. dass man auf der handwerklichen oder operativen Ebene hier noch einiges verbessern kann, das will ich nicht ausschließen und dazu wird es auch sicherlich noch Beratungen geben.
Klein: Herr Görres, inwiefern werden Pflegeberufe konkret tatsächlich aufgewertet durch das Gesetz?
Görres: Sie werden in zweifacher Hinsicht aufgewertet. Zum einen dadurch, dass Pflegeberufe in Zukunft mehr oder zusätzliche Kompetenzen bekommen sollen, die in Richtung Heilkunde gehen. Heilkunde ist bisher den Heilpraktikern - man kann sagen, das kann man durchaus kontrovers diskutieren; es ist aber so - und den Ärzten natürlich vorbehalten. Hier haben die Pflegenden lange gefordert, auch daran teilhaben zu können, einfach um Schnittstellenproblematiken zum Beispiel hier aus dem Weg zu räumen. Das wird durch dieses Gesetz jetzt gewährleistet, wohl im eingeschränkten Bereich, aber immerhin können Pflegende in Zukunft auch heilkundliche Tätigkeiten ausüben. Zum zweiten ist doch deutlich gewürdigt worden - und das erfolgt dann über eine Änderung des Krankenpflegegesetzes -, dass die Pflegeausbildung auch einen Zugang zum Hochschulbereich bekommen soll, was in anderen europäischen Ländern schon längst gang und gäbe ist und wo wir hinterherhinken. Damit meine ich jetzt nicht die Ausbildung von Pflege-Managern oder Pflege-Fachwirten, sondern wirklich eine Hochschulausbildung für Pflegeexperten, die direkt mit den Patienten arbeiten, also um das Bett herum arbeiten. Damit wird natürlich die Pflege auch auf eine annähernd gleiche Augenhöhe mit der Medizin, den Ärzten gestellt und das halte ich in Zukunft für die Zusammenarbeit in einem multidisziplinären Team für unabdingbar.
Klein: Abschließend, Herr Görres, würde ich gerne noch einen Punkt herausgreifen. Wir haben verheerende Berichte gehört über Situationen in Pflegeheimen. In dem Gesetz steht jetzt drin, es sollen stichprobenartige Untersuchungen stattfinden, die die Qualität sichern helfen sollen. Reicht das aus?
Görres: Das reicht sicherlich nicht aus. Es sind ja auch doch mehr als nur Stichproben. Die Frequenz wird ja erhöht. Es ist darüber hinaus auch denke ich schon hier das Beratungselement doch noch mal gestärkt worden. Zudem sollen dann nicht nur der MDS oder die MDK die Qualitätsprüfungen vorsehen, sondern es sind darüber hinaus ja auch weitere Prüfinstanzen erwähnt, den Pflege-TÜV als Stichwort, eben nicht nur vom MDK, sondern auch von anderen zugelassenen Instanzen. Das halte ich schon für sehr wichtig. Daneben dann auch die Veröffentlichung der Qualitätsberichte, wenn sie dann so aufbereitet sind, dass man sie veröffentlichen kann. Das sind denke ich schon ganz wichtige Schritte in die richtige Richtung, schließlich auch die verpflichtende Einführung von Expertenstandards, so dass man in Zukunft wirklich weiß, was man von der Pflege zu erwarten hat, und der Verbraucher sich daran dann auch wirklich verbindlich orientieren kann.
Klein: Die Einschätzung von Professor Stefan Görres von der Universität in Bremen. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Görres.
Stefan Görres: Guten Tag Frau Klein.
Klein: Was zunächst ins Auge fällt: Die Beiträge werden steigen, obwohl seit Jahrzehnten gepredigt wird, die Lohnnebenkosten müssen sinken. Kann man das eigentlich gut heißen?
Görres: Ich denke schon. Wir können ja nicht, wenn wir ehrlich zu uns selber sind, auf der einen Seite eine Verbesserung und eine Qualitätsverbesserung fordern und auf der anderen Seite sagen, das muss aber zum Nulltarif geschehen. Ich glaube das kann man vermitteln, dass das nicht so ohne weiteres möglich ist. dass hier eine moderate Anhebung dann vollzogen wird, das denke ich wird nicht allzu schwierig sein, das der Bevölkerung zu vermitteln, denn sie profitiert ja auch direkt davon. Wir haben ja einige Punkte jetzt gehört. Ich denke das kann man nachvollziehen.
Klein: Und es ist alternativlos gewesen, die Beiträge anzuheben? Es wird vermutlich nicht die letzte Anhebung gewesen sein.
Görres: Das wird vielleicht nicht die letzte Anhebung gewesen sein. Das hängt natürlich auch damit zusammen, welche weiteren Reformen dann in Zukunft beschlossen werden, beziehungsweise es hängt natürlich etwas von der demographischen Entwicklung ab und natürlich davon, wie weit wir auch eine Diskussion noch mal einsetzen lassen, die durchaus dann auch diskutiert, muss das jetzt alles sozusagen über die Pflegeversicherung bezahlt werden, oder kann man nicht in dem einen oder anderen Fall auch überlegen, das dann grundsätzlich über Steuern zu finanzieren. Das denke ich wird uns sicherlich noch ein paar Jahre begleiten.
Klein: Inhaltlich, Herr Professor Görres, kommen wir mit dem, was das Kabinett auf den Weg gebracht hat, den großen Schritt voran für die zu pflegenden und ihre Angehörigen?
Görres: Das ist eine gute Frage. Wenn man den großen Schritt hier erwartet hat, dann werden sicherlich einige enttäuscht sein. Aber es ist hier wirklich das Bild anzubringen von dem halb leeren oder halb vollen Glas. Ich gehöre zu denjenigen die sagen, das ist eigentlich ein halb volles Glas, weil wir haben doch ganz wichtige Schritte hier voranbringen können.
Klein: Welche?
Görres: Jetzt auch aus Sicht der Wissenschaft. Was wir jahrelang ja diskutieren ist die Unterstützung der pflegenden Angehörigen zum Beispiel. Was wir jahrelang diskutieren ist eine bessere Beratung und Information der betroffenen Angehörigen unmittelbar in ihrer Wohnumgebung, das heißt also stadtteilnah, sprich Pflegestützpunkte. Was in Ihrem Bericht nicht zum Zuge kam war die Aufwertung der Pflegeberufe. Auch hier sind wir doch einen deutlichen Schritt weiter gekommen, so dass ich sagen würde, man hätte noch mehr erwarten können - das würden die Skeptiker sagen -, aber das was hier an Impulsen gesetzt wurde, das finde ich schon einen gewaltigen Schritt in die richtige Richtung. dass man auf der handwerklichen oder operativen Ebene hier noch einiges verbessern kann, das will ich nicht ausschließen und dazu wird es auch sicherlich noch Beratungen geben.
Klein: Herr Görres, inwiefern werden Pflegeberufe konkret tatsächlich aufgewertet durch das Gesetz?
Görres: Sie werden in zweifacher Hinsicht aufgewertet. Zum einen dadurch, dass Pflegeberufe in Zukunft mehr oder zusätzliche Kompetenzen bekommen sollen, die in Richtung Heilkunde gehen. Heilkunde ist bisher den Heilpraktikern - man kann sagen, das kann man durchaus kontrovers diskutieren; es ist aber so - und den Ärzten natürlich vorbehalten. Hier haben die Pflegenden lange gefordert, auch daran teilhaben zu können, einfach um Schnittstellenproblematiken zum Beispiel hier aus dem Weg zu räumen. Das wird durch dieses Gesetz jetzt gewährleistet, wohl im eingeschränkten Bereich, aber immerhin können Pflegende in Zukunft auch heilkundliche Tätigkeiten ausüben. Zum zweiten ist doch deutlich gewürdigt worden - und das erfolgt dann über eine Änderung des Krankenpflegegesetzes -, dass die Pflegeausbildung auch einen Zugang zum Hochschulbereich bekommen soll, was in anderen europäischen Ländern schon längst gang und gäbe ist und wo wir hinterherhinken. Damit meine ich jetzt nicht die Ausbildung von Pflege-Managern oder Pflege-Fachwirten, sondern wirklich eine Hochschulausbildung für Pflegeexperten, die direkt mit den Patienten arbeiten, also um das Bett herum arbeiten. Damit wird natürlich die Pflege auch auf eine annähernd gleiche Augenhöhe mit der Medizin, den Ärzten gestellt und das halte ich in Zukunft für die Zusammenarbeit in einem multidisziplinären Team für unabdingbar.
Klein: Abschließend, Herr Görres, würde ich gerne noch einen Punkt herausgreifen. Wir haben verheerende Berichte gehört über Situationen in Pflegeheimen. In dem Gesetz steht jetzt drin, es sollen stichprobenartige Untersuchungen stattfinden, die die Qualität sichern helfen sollen. Reicht das aus?
Görres: Das reicht sicherlich nicht aus. Es sind ja auch doch mehr als nur Stichproben. Die Frequenz wird ja erhöht. Es ist darüber hinaus auch denke ich schon hier das Beratungselement doch noch mal gestärkt worden. Zudem sollen dann nicht nur der MDS oder die MDK die Qualitätsprüfungen vorsehen, sondern es sind darüber hinaus ja auch weitere Prüfinstanzen erwähnt, den Pflege-TÜV als Stichwort, eben nicht nur vom MDK, sondern auch von anderen zugelassenen Instanzen. Das halte ich schon für sehr wichtig. Daneben dann auch die Veröffentlichung der Qualitätsberichte, wenn sie dann so aufbereitet sind, dass man sie veröffentlichen kann. Das sind denke ich schon ganz wichtige Schritte in die richtige Richtung, schließlich auch die verpflichtende Einführung von Expertenstandards, so dass man in Zukunft wirklich weiß, was man von der Pflege zu erwarten hat, und der Verbraucher sich daran dann auch wirklich verbindlich orientieren kann.
Klein: Die Einschätzung von Professor Stefan Görres von der Universität in Bremen. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Görres.