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Gesundheitsreform: Böhmer mahnt zur Skepsis gegenüber Finanzprognosen

Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer warnt vor voreiligen Schlüssen aus dem neuen Finanzgutachten zu den Auswirkungen der Gesundheitsreform auf die Bundesländer. "Wenn es unterschiedliche Gutachten mit unterschiedlichen Ergebnissen gibt, dann muss man zunächst an allen zweifeln", sagte der CDU-Politiker. Er erwarte, dass bis Januar verlässliche Zahlen vorliegen.

Moderation: Bettina Klein |
    Bettina Klein: Am Telefon begrüße ich Wolfgang Böhmer, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Guten Morgen, Herr Böhmer!

    Wolfgang Böhmer: Guten Morgen, Frau Klein!

    Klein: Da fließt jetzt Geld aus den wirtschaftlich stärkeren Ländern im Süden und Westen in die wirtschaftlich schwächeren im Norden und Osten, viel mehr als man nach den bisherigen Zahlen des Ministeriums gedacht hätte. Auch Ihr Bundesland wird demnach erheblich stärker profitieren als gedacht, nach Sachsen am stärksten mit 530 Millionen Euro. Für Sie eine gerechte Sache?

    Böhmer: Ich kann das nicht exakt beurteilen. Es gibt einen Risikostrukturausgleich. Den gibt es schon seit etwa zehn Jahren. Ich habe auch damals miterlebt, dass einige süddeutsche Länder dagegen beim Bundesverfassungsgericht geklagt haben. Diese Klage ist abgewiesen worden. Dass es einen gewissen Finanztransfer gibt, das ist nichts Neues. Die Dimension, die jetzt errechnet worden ist in dem Gutachten, von dem Sie eben gesprochen haben, die ist mir allerdings auch neu. Sie gilt ja auch noch nicht. Sie ist zunächst eine Mutmaßung auf der Grundlage eines im Entwurf vorliegenden Gesetzestextes. Ich bin nicht in der Lage zu beurteilen, welche der unterschiedlichen Berechnungen am Ende sachgerecht sind.

    Klein: Erstaunlicherweise berufen sich allerdings die Ministerpräsidenten Hessens, Bayerns und Baden-Württembergs genau darauf und genau auch auf die Gültigkeit dieses Gutachtens. Weshalb sollte man Grund haben, daran zu zweifeln?

    Böhmer: Das weiß ich nicht. Ich kann nur sagen: Wenn es unterschiedliche Gutachten mit unterschiedlichen Ergebnissen gibt, dann muss man zunächst an allen zweifeln und erst mal nachschauen, ob das ein gleicher Zahlenapparat ist und ob die Grundlagen, auf denen das Gutachten und die Berechnungen erstellt worden sind, tatsächlich gleich sind. Denn es muss ja einen Grund haben, wenn es zu verschiedenen Ergebnissen kommt. Auch die Kollegen, von denen Sie sprechen, sagen, wir wollen erst mal wissen, ob das stimmt, und erwarten vom Ministerium dazu eine Stellungnahme.

    Klein: An allem zweifeln, sagen Sie. Haben wir auch Grund, etwas an der Aussagekraft der Zahlen des Gesundheitsministeriums zu zweifeln? Sollte man nicht meinen, bevor eine solche Reform auf den Weg gebracht wird, dass das Zahlenwerk wirklich abgecheckt ist und wirklich stimmt?

    Böhmer: Das könnte man unterstellen, aber die Materie ist so schwierig - das haben Sie ja eben auch in dem Interview, das Sie geführt haben, gehört -, dass ich zunächst erst einmal bestimmte Zweifel nachvollziehen kann, wenn geklärt werden muss, ob die Berechnungsgrundlagen und die Prämissen, auf denen das Gutachten erstellt worden ist, tatsächlich die gleichen waren. Die Diskussionen hatten wir ja schon mal im Sommer diesen Jahres, und es ist auch nicht unbekannt, dass in den Gesetzentwurf Deckelungen des Finanztransfers eingezogen worden sind, auf die man sich geeinigt hat und von denen wenigstens die Gesundheitsministerin der Meinung war, dass diese Deckelungen gar nicht erreicht werden, sondern dass die tatsächlichen Beträge niedriger werden. Das muss nun mal von den Versicherungsmathematikern ausgekaspert werden.

    Klein: Politisch betrachtet, Herr Böhmer: die Südländer werden sich wohl auf das soeben beschriebene Szenario berufen und die Reform nicht mittragen. Oder rechnen Sie doch noch damit?

    Böhmer: Ich rechne damit, dass wir Anfang Januar Gespräche haben werden über diese Problematik und dass dann Zahlen auf den Tisch kommen, die untereinander möglichst kompatibel sind.

    Klein: Gespräche im Januar. Der Fonds, die Einführung des Fonds ist inzwischen auf das Jahr 2009 verschoben. Niemand weiß, wie es nach den nächsten Bundestagswahlen, die in diesem Jahr stattfinden werden, weitergehen soll. Das heißt, erleben wir hier eine Art Beerdigung der Gesundheitsreform erster oder zweiter Klasse in ganz kleinen Schritten?

    Böhmer: Das würde ich so nicht vermuten, denn jeder weiß, dass Reformschritte notwendig sind, selbst wenn andere politische Mehrheiten zu anderen Ergebnissen kommen. Das wird ja gelegentlich auch unterstellt, dass man jetzt sich auf einen bestimmten gemeinsamen Nenner geeinigt hat, von dem jeder die Option offen lässt, es später auch wieder anders zu machen. Das habe ich auch alles gehört. Trotzdem wird jede politische Mehrheit in Deutschland im Gesundheitswesen immer wieder Reformschritte durchführen müssen. Das liegt in der Dynamik des Systems selbst.

    Klein: Wolfgang Böhmer, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Danke Ihnen für das Gespräch, Herr Böhmer.

    Böhmer: Bitte, Frau Klein.