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Gewalt gegen Flüchtlinge?
Die Lage vor der kroatischen Grenze

Seit auf dem Balkan die Grenzen geschlossen wurden, sind viele Flüchtlinge im Nordwesten Bosniens kurz vor der kroatischen Grenze gestrandet. Sie warten auf eine Gelegenheit, um dort die EU-Außengrenze zu überqueren. Doch die Grenzsoldaten weisen sie zurück, nach Angaben der Flüchtlinge sehr brutal.

Von Srdjan Govedarica | 23.08.2018
    Pakistanische Männer ruhen sich in der verlassenen Fabrik in Bihać aus. Ein verlassenes Fabrikgebäude beherbergt mehr als tausend Flüchtlinge und Migranten. Der Platz wird vom bosnischen Roten Kreuz verwaltet, das die kranken und verletzten Menschen im Lager mit Essen versorgt und medizinische Behandlung leistet. 10. August 2018 - Bihac, Bosnien und Herzegowina.
    Nach offiziellen Angaben sind im Nordosten Bosniens zurzeit etwa 5400 Menschen gestrandet. Die meisten stammen aus Syrien, Afghanistan und Pakistan. (imago stock&people /Attila Husejnow)
    Ein verlassenes und baufälliges Schülerwohnheim in Bihać im Nordwesten Bosniens. In einer langen Schlange warten mehrere Hundert vorwiegend junge Männer auf die Essensausgabe. Darunter auch Atif aus Afghanistan. Er ist über die Türkei nach Griechenland eingereist, denn ging es über Mazedonien und Serbien weiter nach Bosnien-Herzegowina. Hier unmittelbar an der Grenze zum EU-Land Kroatien wartet Atif auf seine Weiterreise: "Wir sind hier hingekommen, aber wir wollen weiter nach Europa."
    Nach offiziellen Angaben sind im Nordosten Bosniens zurzeit etwa 5400 Menschen gestrandet. Die meisten stammen aus Syrien, Afghanistan und Pakistan. In Bihać Sie hausen entweder in dem völlig verwahrlosten Schülerwohnheim, oder haben Zelte Drumherum aufgeschlagen. Sascha Schießl vom Flüchtlingsrat Niedersachsen macht sich gerade ein Bild von der Lage:
    Die Flüchtlinge von Bihać harren unter menschenunwürdigen Bedingungen aus
    "Das sind keine Bedingungen, die Menschenwürdig sind, das ist katastrophal. Das ist menschenunwürdig die Unterbringung hier."
    Die meisten hier warten auf eine Gelegenheit, irgendwie über die Grenze nach Kroatien zu kommen, sei es mit Schleppern, sei es mit Taxis oder auch zu Fuß über die grüne Grenze. Atif aus Afghanistan hat das auch vor, doch er macht sich Sorgen: "Die kroatische Polizei ist sehr böse, sie schlagen die Flüchtlinge, weil wir sehr arm sind."
    Kaum ist das Thema zur Sprache gekommen, melden sich weitere junge Männer. Einige ziehen ihre T-Shirts hoch und zeigen uns Blutergüsse, die von Knüppeln oder Schlagstöcken stammen könnten. Die Verletzungen soll ihnen die kroatische Grenzpolizei zugefügt habe. Das sagt auch dieser junge Mann:
    "Sie haben Männer geschlagen, Frauen geschlagen, Kinder geschlagen."
    "Ich bin gestern nach Kroatien gegangen. die Polizei hat uns Geld und Handis abgenommen, dann haben sie uns geschlagen. Sie haben Männer geschlagen, Frauen geschlagen, Kinder geschlagen, alle Leute geschlagen" und uns dann zurückgedrängt."
    Geschichten wie diese machen schon seit Wochen die Runde. Auch Sascha Schießl vom Flüchtlingsrat Niedersachsen hat mit vielen Menschen an unterschiedlichen Orten gesprochen. Sein Fazit: "Im Einzelfall wird nicht geprügelt, es ist die Regel, dass geprügelt wird."
    Das sind schwere Vorwürfe gegen die kroatischen Behörden. Zum einen sind sie nach internationalen Standards dazu verpflichtet, Schutzsuchende zunächst aufzunehmen und jeden Einzelfall zu prüfen. Hinzu kommt der Vorwurf der Gewaltanwendung gegen wehrlose Menschen. Sascha Schießl ist klar: "Letztlich sind das Verbrechen, das sind Menschenrechtsverletzungen und das muss eigentlich Konsequenzen haben, das darf so nicht sein."
    Wir konfrontieren das Innenministerium in Zagreb mit den Vorwürfen. In einer schriftlichen Stellungnahme weist sie ein Sprecher mit Nachdruck zurück. In dem Schreiben heißt es unter anderem wörtlich:
    Innenministerium in Zagreb weist die Gewaltvorwürfe zurück
    "Aussagen von Personen, die versuchen, illegal die Grenze der Republik Kroatien zu überqueren, müssen im Kontext der Situation betrachten werden, in der sie sich befinden, wenn sie an der kroatischen Grenze, die gleichzeitig eine EU-Außengrenze ist, eine Grenze vorfinden, die überwacht und geschützt wird."
    Unabhängig von unserer Anfrage erklärte der kroatische Innenminister Davor Božinović bei eine Pressekonferenz in Zagreb: "Die kroatische Polizei verrichtet ihren Job im Einklang mit kroatischen und europäischen Gesetzen, im Einklang mit Schengen-Regeln, lässt keine illegalen Migrationen zu, bzw. illegale Eintritte in die Republik Kroatien."
    Inwieweit es tatsächlich zu Übergriffen durch die kroatische Polizei kommt lässt sich zurzeit nicht unabhängig verifizieren. Beim Roten Kreuz in Bihać sind entsprechende Fälle bekannt, zu den Hintergründen könne man aber nichts sagen. Eine ähnliche Auskunft bekommen wir auch im Büro des UNHCR in Sarajevo. Der Direktor des örtlichen Krankenhauses bestätigt gegenüber dem ARD-Studio Wien etwa 20-30 Fälle seit Anfang des Jahres. Die Menschen hätten typische Schlagverletzungen aufgewiesen und angegeben, von der Grenzpolizei geschlagen worden zu sein. Überprüfen die Ärzte diese Angaben aber nicht. Hinzu kommt, dass bei zwei Polizeirazzien in Flüchtlingsunterkünften, Schlagwaffen beschlagnahmt worden sind. Das kroatische Innenministerium leitet daraus den Verdacht ab, das die Verletzungen der Flüchtlinge von Auseinandersetzungen untereinander stammen könnten. Sascha Schießl vom Flüchtlingsrat Niedersachsen hingegen ist überzeugt, dass an der Grenze systematisch geprügelt wird und hat auch eine Erklärung für das angebliche Verhalten der kroatischen Behörden.
    "Kroatien als Mitglied der EU aber nicht des Schengen-Raumes hat ein Interesse daran, dem Rest der EU zu beweisen, dass sie in der Lage sind, die eigene Grenze zu schützen und sie genauso abzuriegeln wie das Ungarn schon gemacht hat und wie das alle Staaten versuchen."
    Atif aus Afghanistan hat selbst noch keine Gewalt durch die kroatische Polizei erlebt. Er hofft, dass es dabei bleiben wird: "Ich bitte sie, sagen sie der Polizei, dass wir unschuldig sind. Wir wollen Frieden."