Dienstag, 23. April 2024

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Gewalt in Nigeria
"Die Lage wird nicht sicherer"

In Nigeria sind erneut viele Menschen bei einem Bombenanschlag ums Leben gekommen. Und das kurz vor dem Weltwirtschaftsforum dort mit Spitzenpolitikern aus aller Welt. In den nächsten Monaten werde es wohl nicht sicherer in dem Land, sagte Hildegard Behrendt-Kigozi von der Konrad-Adenauer-Stiftung in Abuja im DLF.

Hildegard Behrendt-Kigozi im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 03.05.2014
    Nigerianische Offizielle untersuchen den Schauplatz eines Autobomben-Anschlags in Nyana, Abuja am 02. Mai 2014.
    Die Gewalt in Nigeria reißt nicht ab - doch was tut die Regierung dagegen? (dpa picture alliance / Deji Yake)
    Jürgen Zurheide: Guten Morgen!
    Hildegard Behrendt-Kigozi: Guten Morgen!
    Zurheide: Wie reagieren die Menschen inzwischen auf diesen Anschlag? Ich glaube, 19 Tote waren die letzten Zahlen, 80 Verletzte, das ist insgesamt sehr hart, einige Bomben sind nicht explodiert, sonst hätte es noch mehr Opfer gegeben, das sind die Meldungen von gestern. Wie reagieren die Menschen inzwischen?
    Behrendt-Kigozi: Ja, verängstigt. Also, dieser zweite Bombenanschlag führt zu sehr viel Verunsicherung in der Bevölkerung, vor allen Dingen auch die im Raum stehende Drohung, dass es noch weitere Bombenanschläge geben wird.
    "Nigeria eben nicht so ist, wie es sich gerne nach außen gibt"
    Zurheide: Es steht ja das Weltwirtschaftsforum kurz bevor. Ist die allgemeine Einschätzung auch vor Ort so, dass es möglicherweise damit zusammenhängt, dass man vor diesem Weltwirtschaftsforum, wo auch der chinesische Präsident kommt, dass man dort für Unruhe sorgen will?
    Behrendt-Kigozi: Ich glaube schon, dass man einfach zeigen will, dass Nigeria eben nicht so ist, wie es sich gerne nach außen gibt, und das damit auch einiges zu tun hat. Wobei, es hat sicherlich auch vieles damit zu tun, dass zu Beginn nächsten Jahres Wahlen in Nigeria sind. Also, wir erwarten eigentlich, dass die Lage nicht sicherer wird, zumindest bis die Wahlen vorbei sind.
    Zurheide: Insgesamt versucht Nigeria, sich als eines der aufstrebenden, wirtschaftlich starken Länder - es ist eines der starken Länder, wenn nicht das stärkste - in Afrika insgesamt darzustellen. Was brodelt da unter der Oberfläche?
    Behrendt-Kigozi: Nigeria hat viele Einnahmen durch den Ölverkauf. Aber wirtschaftlich stark ist natürlich also ... ja, vielleicht nach meiner Erwartung schon was anderes, das muss ich so sagen. Nigeria hat sehr viele Menschen, was natürlich auch ein gewisses Gewicht hat dann. Aber die Infrastruktur ist sehr, sehr schlecht, die Bildungssituation ist sehr, sehr schlecht. Also, es gibt viele, viele, viele Probleme, die sehr viele andere, sehr arme Entwicklungsländer auch haben. Da unterscheidet Nigeria sich sehr wenig. Und das ist ein großes Problem vor allen Dingen in den nördlichen Regionen, die noch wesentlich ärmer sind als die südlichen. Und daraus hat sich dann seit einigen Jahren eben Boko Haram entwickelt. Nicht nur, es gibt auch ideologische Gründe, die dazu beigetragen haben, aber dass es so stark werden konnte, sind sicherlich auch Armutsgründe.
    "Einnahmen aus dem Ölverkauf nicht zum Wohle der Bevölkerung verwendet"
    Zurheide: Wir werden gleich über diese Gruppe noch genauer reden, ich möchte zunächst bei der Frage bleiben, warum der relative Wohlstand durch die wirtschaftliche Entwicklung so wenig bei breiten Bevölkerungsschichten ankommt. Da ist es genauso - leider, wird man sagen müssen -, wie in vielen anderen afrikanischen Ländern?
    Behrendt-Kigozi: Ja, es ist eine sehr schwierige Situation hier auch. Und man muss leider sagen, dass sehr viel von den Einnahmen nicht so verwendet wird, wie es dann zum Wohle der beiden Bevölkerungen gut wäre. Und es ist zu hoffen, dass sich das ändert, aber ich glaube, es wird ein längerer Prozess sein, damit es dann Änderung geben kann. Denn bestimmte Strukturen sind auch nicht so einfach dann wieder abzuschaffen.
    Zurheide: Sie haben gerade schon Boko Haram als die Gruppe angesprochen, die ja hier im Westen immer so als islamistische Gruppe dargestellt wird, was sie vermutlich auch ist. Aber Sie haben auch darauf hingewiesen, dass die Auseinandersetzungen auch mit Armutsgründen zu tun haben. Was überwiegt aus Ihrer Sicht? Oder ist es eine Mischung aus beidem, wird der Islam benutzt, um etwas anderes zu tun?
    Behrendt-Kigozi: Ich denke, es ist eine Mischung aus beidem. Es ist sehr viel Politik, sehr viel Machtspiel mit dabei, davon bin ich überzeugt. Und es ist schwierig, in den verschiedenen Bereichen genau zu sagen, um was es sich handelt. Denn es gibt im nördlichen Nigeria und auch in dem sogenannten Mittelfeld, das ist dann der südliche Norden, wenn man das so sagen kann, gibt es auch Auseinandersetzungen, die jetzt also nicht religiös bedingt sind, sondern wo es im Grunde genommen auch um Landprobleme geht et cetera, wobei diese Anschläge, die wir jetzt in Abuja hatten, das ist, ich sage einfach mal, eine Terrorgruppe.
    Und manchmal frage ich mich auch, was hat das eigentlich noch mit einem islamisch-politischen Ziel zu tun, was hier passiert? Aber ich denke auch, das ist das, was ja auch in anderen Ländern der Fall ist, dass man also sagt, wo ist da die Zielgerichtetheit, wo ist der Sinn hinter diesen Anschlägen, wenn es nur noch eigentlich um Destabilisierung geht, um die Verbreitung von Angst? Das kann eigentlich keiner wollen, keiner, der ein konkretes Ziel vor Augen hat. Insofern ist es im Moment sehr schwierig.
    Viele entführte Mädchen noch immer Geiseln
    Zurheide: Wie steht es eigentlich um die entführten Mädchen, von denen wir vor einiger Zeit gehört haben? Da ist auch noch keine Bewegung. Weiß man, wie es um das Schicksal der jungen Menschen steht?
    Behrendt-Kigozi: Nicht wirklich. Es konnten ja einige der Mädchen entkommen und man hat Berichte, wie es ihnen ergangen ist. Aber was ziemlich klar ist, ist, dass man diese Mädchen zum Teil auch als Schutz benutzt, indem man sagt, also, wenn ihr uns näherkommt, bringen wir die alle um. Insofern ist das eine sehr böse Geschichte. Es gibt dann eben auch noch diese Aussagen, dass man die Mädchen verkaufen wird in anderen Ländern, um also die Finanzkasse aufzufüllen, wobei, da glaube ich, das ist eigentlich eine Aussage, die nicht wirklich zutrifft, denn das wären lächerliche Beträge für das, was man hier wirklich braucht für die Waffen und zum Überleben.
    Aber dass man diese Mädchen benutzt, um zu sagen, wenn die Armee jetzt näherkommt und auf uns schießen will, dann erschießen wir die zuerst, und das ist also ein großer Druck. Denn die Bevölkerung hier ist über diese Entführung der Mädchen sehr aufgebracht. Und wenn man die noch weiter in Gefahr bringt, also auch durch das Anrücken von Sicherheitskräften, das wird nicht leichtgenommen werden. Deswegen erschwert es also auch die Situation für die Sicherheitskräfte, den Terroristen näherzukommen.
    Zurheide: Was man nachvollziehen kann. Schwierige Lage in Nigeria, sie wurde uns geschildert von Hildegard Behrendt-Kigozi von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Ich bedanke mich heute Morgen für das Gespräch.
    Behrendt-Kigozi: Nichts zu danken!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.