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Gewerkschaftsbund über TTIP
"Die Verhandlungen stocken nicht nur, sie sind in der politischen Realität gescheitert"

Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann hat das geplante Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA für gescheitert erklärt. Die Amerikaner seien überhaupt nicht bereit sich zu bewegen, sagte Hoffmann im DLF. Kanada sei beim CETA-Abkommen hingegen offen für Änderungen gewesen.

Reiner Hoffmann im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 03.09.2016
    Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann
    Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann (Imago)
    "Die Verhandlungen stocken nicht nur, sie sind in der politischen Realität gescheitert", sagte Hoffmann. Auch die Kommission habe sich bislang schwer getan, Fortschritte zu erzielen, um zu einer sozialen und gerechten Gestaltung des internationalen Handels zu kommen. In vielen EU-Ländern - etwa Frankreich, Österreich, den Niederlanden und Italien - gebe es Proteste.
    "In weiten Teilen der Bevölkerung und auch den Gewerkschaften gibt es große Vorbehalte", betonte Hoffmann. Vermögen und Einkommen drifteten immer weiter auseinander: "Das reichste Prozent wird immer reicher, die Einkommen bei der Mittelklasse stagnieren, bei den Ärmsten haben wir Real-Einkommensverluste hinnehmen müssen." Auf dem internationalen Handelsparkett geht es nicht fair zu.
    Privater Investorenschutz bei CETA vom Tisch
    Anders sei es bei dem geplanten CETA-Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada. Nach dem Regierungswechsel in Ottawa sei Kanada zu Veränderungen bereit gewesen: "Der private Investorenschutz ist vom Tisch. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung".
    Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) hatte vor einer Woche die TTIP-Gespräche "de facto für gescheitert" erklärt. Bundeskanzlerin Merkel dagegen vertrat die Ansicht, dass das Freihandelsabkommen Chancen für Arbeitsplätze biete, die in Europa dringend gebraucht würden.

    Das Interview in voller Länge:
    Jürgen Zurheide: Wenn ich jetzt den Satz sage, das ist ein totes Pferd, das da geritten wird, dann wissen Sie alle, worüber ich rede. Das kann nur TTIP sein. Der SPD-Chef hat sich verabschiedet, vorher hatten sich einige aus seiner Partei verabschiedet, der französische Präsident ist auf Distanz gegangen, nur Angela Merkel – nun ja, bei ihr weiß man noch nicht so ganz genau, ob sie noch daran glaubt. Auch bei dem G20-Treffen wird das kaum eine Rolle spielen, zumindest nicht im Kommuniqué, möglicherweise nur hinter den Kulissen, und die Frage lautet: Ist das alles nur ein großes taktisches Manöver, weil TTIP zwar nicht jetzt, dafür dann aber CETA, das Abkommen mit Kanada. Über all das wollen wir reden mit Reiner Hoffmann, dem DGB-Chef, den ich jetzt am Telefon begrüße. Guten Morgen, Herr Hoffmann!
    Reiner Hoffmann: Guten Morgen, Herr Zurheide!
    Zurheide: Bei G20 scheint TTIP keine Rolle zu spielen. Wundert Sie das?
    "TTIP gebe ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt überhaupt keine Chance"
    Hoffmann: Das wundert mich nicht, weil wir sehen, dass – das haben Sie gerade gesagt – bei TTIP die Verhandlungen nicht nur stocken, sondern nach meiner Auffassung sind sie an der politischen Realität gescheitert. Das hat damit zu tun, dass die Amerikaner auf der einen Seite überhaupt nicht bereit sind, sich zu bewegen, und auch die Kommission hat sich bislang schwergetan, dass wir Fortschritte erzielen, um zu einer sozialen und gerechten Gestaltung des internationalen Handels zu kommen.
    Zurheide: Und wenn ich dann aus der Kommission zum Beispiel höre, na, wir verhandeln da weiter, und wir wollen das auch irgendwie hinkriegen, ist das dann dieses berühmte tote Pferd, was da geritten wird? Teilen Sie die Einschätzung?
    Hoffmann: Diese Einschätzung teile ich. Wie gesagt, TTIP ist nach meiner Auffassung an der politischen Realität gescheitert, und die politische Realität hat ganz viel damit zu tun, dass es, A, einen großen Vorbehalt in weiten Teilen der Bevölkerung gibt, das gilt auch für die Gewerkschaften. Wir sind ja nicht generell gegen Globalisierung oder gar gegen internationalen Handel. Nur was wir erleben in den letzten Jahren, dass sich auf der einen Seite zwar Wohlfahrtsgewinne generieren, aber die Vermögen und Einkommen immer weiter auseinanderdriften, das reichste Prozent wird immer reicher, die Einkommen bei der Mittelklasse stagnieren, und bei den Ärmsten der Bevölkerung haben wir in den letzten Jahren Realeinkommensverluste hinnehmen müssen. Das hat auch damit zu tun, dass es auf dem internationalen Handelsparkett überhaupt nicht fair zugeht, ökologische Aspekte werden völlig unterbelichtet, und da ist das, was bislang am Verhandlungstisch bei TTIP erreicht wurde, überhaupt nicht überzeugend. Deshalb gebe ich TTIP zum gegenwärtigen Zeitpunkt überhaupt keine Chance.
    Zurheide: Na ja, die Frage ist, ob das, was Sie da gerade ansprechen, durch so ein internationales Handelsabkommen wirklich geregelt werden könnte. Ist nicht viel mehr die Besorgnis da, wenn wir es nicht machen – dieses Argument kommt ja dann immer wieder –, dann machen es eben die Amerikaner mit dem pazifischen Raum, und wir stehen vor der Tür und müssen am Ende deren Normen übernehmen. Diese Sorge teilen Sie nicht?
    "Überall erhebt sich Protest"
    Hoffmann: Wenn wir uns das pazifische Abkommen anschauen, glaube ich auch nicht, dass das in den Vereinigten Staaten eine Chance hat, ratifiziert zu werden. Uns kommt es darauf an, wirklich Standards zu setzen für internationalen Handel, indem wir sagen, es müssen klare Anforderungen erfüllt werden im Hinblick auf Arbeitnehmerrechte, im Hinblick auf Umweltschutz, im Hinblick auf soziale Rechte. Das ist bei TTIP alles überhaupt nicht gewährleistet. Aus diesem Grunde sage ich ganz klar, TTIP hat keine Chance, da haben wir uns immer ganz klar positioniert, und ich sehe das auch in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, immer mehr Mitgliedsstaaten sich distanzieren. Das ist nicht nur in Deutschland der Fall. Das ist beispielsweise in Frankreich, in Österreich, in den Niederlanden, in Italien, überall erhebt sich Protest, sodass gegen diesen Protest, glaube ich, weder die Kommission noch die amerikanische Regierung TTIP erfolgreich zu Ende verhandeln kann.
    Zurheide: Aber sehen wir hier nicht auch ein Stück politisches Spektakel, das heißt, man ist gegen TTIP, um dann möglicherweise CETA durchzusetzen – den Eindruck kann man ja gelegentlich gewinnen, weil CETA gilt dann so als der liebe Bruder von TTIP oder ist das eine falsche Beobachtung?
    Hoffmann: Ich glaube, man muss da differenzierter ran schauen. Wir hatten eine völlig ähnliche Entwicklung, was das Handelsabkommen mit den Kanadiern betrifft, nur haben wir dort einen politischen Wechsel im Herbst gesehen, dass die alte konservative Harper-Regierung abgewählt wurde, die linksliberale Regierung unter dem neuen Premierminister Trudeau hat ganz klar artikuliert, dass sie sich nicht an allen Teilen des Abkommens gebunden fühlt. Wir haben beispielsweise, einer der ganz kritischen Punkte, den privaten Investorenschutz, erlebt, dass nachverhandelt werden kann. Der private Investorenschutz ist vom Tisch. Ob jetzt öffentliche Schiedsgerichte die bessere Alternative sind, muss man sich genau anschauen, aber es ist auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung, dass Streitigkeiten beispielsweise nicht von privaten Anwaltskanzleien als Geschäftsmodell genutzt werden und wo die Staaten letztendlich den Interessen von großen internationalen Investoren schutzlos ausgeliefert sind.
    Zurheide: Aber so wie CETA im Moment auf dem Tisch liegt, haben Sie immer noch Schwierigkeiten, zumindest der eine oder andere innerhalb des DGBs. Ich denke da an ver.di und an Herrn Bsirske. Stichwort Daseinsvorsorge, da müsste aber doch wohl noch was passieren. Ist das der einzige Punkt?
    "Demokratische Entscheidungsverfahren dürfen durch CETA nicht ausgehebelt werden"
    Hoffmann: Das ist ein ganz zentraler Punkt, und das kritisiert nicht nur Frank Bsirske, da sind wir im Deutschen Gewerkschaftsbund völlig geeint. Die öffentliche Daseinsvorsorge muss vor weiterer liberaler Marktöffnung geschützt werden. Es kann nicht sein beispielsweise, dass öffentliche Daseinsdienstleistungen, die ja insbesondere von den Kommunen und Gemeinden geleistet werden, unter Druck gesetzt werden, dass ihre Handlungsmöglichkeiten reduziert werden, beispielsweise, wenn es darum geht – wir erleben das in vielen Kommunen –, dass öffentliche Dienstleistungen, die in den letzten Jahren privatisiert wurden, nun wieder rekommunalisiert werden sollen. Da muss grundsätzlich Klarheit drüber herrschen, dass demokratische Entscheidungsverfahren durch CETA nicht ausgehebelt werden und auch nicht zum Gegenstand gemacht werden dürfen für internationale Schiedsgerichtsverfahren. Das ist ein Punkt, den wir als DGB mit allen acht Gewerkschaften, einschließlich natürlich ver.di, die in besonderer Weise betroffen sind, teilen. Es gibt aber noch andere Punkte: Das ist nicht nur die Daseinsvorsorge, sondern wir sagen noch mal, bei den Schiedsgerichten haben wir mit so vielen unklaren Rechtsbegriffen zu tun, die Daseinsvorsorge muss deutlich ausgenommen werden von internationalen Gerichtsverfahren, und wo es uns als Gewerkschaften natürlich drauf ankommt, ist, dass wir die Arbeitnehmerrechte stärken, und auch hier sehen wir deutliche Unterschiede. So hat beispielsweise die neue kanadische Regierung zwei der internationalen Kernarbeitsnormen ratifiziert beziehungsweise wird sie ratifizieren, bevor CETA in Kraft treten soll. Das ist eine völlig andere Situation als mit den Amerikanern, und wir sagen ganz klar und deutlich, es kann nicht nur sein, dass wir im Bereich des internationalen Handels Standards setzen, die für die Unternehmen zusätzliche Geschäftsmodelle ermöglichen. Daran haben wir natürlich auch als Bundesrepublik Deutschland ein Interesse. Wir sind eine Exportnation, aber zur gleichen Zeit müssen auch Arbeitnehmerrechte wetterfest gesichert werden. Es darf nicht beispielsweise gegen das Recht von Gewerkschaften, Tarifverhandlungen zu führen, verstoßen werden, und die neue kanadische Regierung hat ganz klar signalisiert, da gehen sie mit. Die Arbeitsnorm beispielsweise zum Verbot von Kinderarbeit ist bereits im Juni ratifiziert worden, und wenn es um die Arbeitnehmerrechte geht, Tarifverhandlungen frei verhandeln zu dürfen, dann wird auch diese Arbeitsnorm im September noch vom kanadischen Parlament ratifiziert werden.
    Zurheide: Jetzt geben Sie eine Prognose. Die SPD hat ja einen Kongress, wo es auch für Sigmar Gabriel am Ende darum geht, das durchzusetzen. Wird bis dahin schon so viel verändert sein, dass Sie glauben, dass die SPD da zustimmen wird und kann?
    "Wir haben Chancen, nachzubessern"
    Hoffmann: Ich sage noch mal, wir haben ja mit der SPD bereits im September 2014 uns darauf verständigt, dass wir gemeinsame Positionen haben. Die teilt auch Sigmar Gabriel, und es war natürlich auch die SPD, die beispielsweise beim Investorenschutz sich dafür stark gemacht hat, dass der private Investorschutz vom Tisch ist. Ich bin ganz optimistisch, dass auch auf dem Konvent ein Beschluss getroffen wird, der kein Freifahrtbrief bedeuten wird, sondern der klare Bedingungen setzen wird, unter denen dann CETA realisiert werden kann, aber da sind wir noch ein Stück weit von entfernt. Ich sehe nur, dass die kanadische Regierung durchaus bereit ist, Änderungen vorzunehmen, die Kommission tut sich damit sehr schwer. Sie argumentiert immer, das wäre ein abgeschlossenes Ergebnis, ein abgeschlossener Vertrag, ein ausverhandelter Vertrag. Nur wenn man die politischen Realitäten sich anschaut, dann geht natürlich kein Gesetz so durch die Parlamente, wie es reingegangen ist, deshalb haben wir Chancen, nachzubessern sowohl im Handelsministerrat der Europäischen Union als aber auch dann im Ratifizierungsprozess selber. Wir haben im Sommer das Spektakel erlebt, wo die EU-Kommission zwingend die nationalen Parlamente ausschalten wollte. In letzter Minute hat sich die Kommission eines Besseren besonnen, indem sie gesagt hat, das ist sehr technisch, aber für uns politisch ganz wichtig, dass natürlich CETA von allen Mitgliedstaaten in den nationalen Parlamenten ratifiziert werden muss. Auch da bin ich von überzeugt, kriegen wir das, was wir für wichtig halten, noch ein Stück weit bewegt, und da müssen wir das Ergebnis insgesamt bewerten und sehen dann, ob CETA eine Realität hat, aber uns liegt daran – und das sage ich noch mal ganz deutlich –, dass wir nicht grundsätzlich gegen CETA oder gegen internationalen Handel sind, sondern wir müssen die Chance nutzen, gerade mit der neuen kanadischen Regierung, aber auch mit der EU-Kommission, faire Standards zu setzen, und wenn uns dieses gelingt, dann wären wir schon einen großen Schritt weiter, was eine faire Gestaltung internationalen Handels betrifft.
    Zurheide: Das war Reiner Hoffmann, der DGB-Chef hier bei uns im Deutschlandfunk um 7:25 Uhr. Ich bedanke mich für das Gespräch, auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.