Alexandra Gerlach: Und um 12.35 Uhr machen wir weiter mit dem Topthema aus dem Inland. Wir schauen nach München zu Siemens. 160 Jahre Firmenjubiläum könnte der Siemens-Konzern in diesem Jahr feiern. Doch nach einer großen Party dürfte in der Münchener Konzernzentrale in diesen Tagen keinem zu Mute sein. Zu schwer wiegen die Anwürfe gegen den Weltkonzern, der unter Korruptionsverdacht steht und dessen Vorstände sich erst jüngst üppige Gehaltszulagen genehmigten. Schwere Kost also für die rund 12.000 Kleinaktionäre, die heute in München erwartet wurden zur jährlichen Hauptversammlung. Es dürfte die wohl schwierigste Versammlung in der Geschichte des Unternehmens sein.
Die Wut der Aktionäre ist also das eine; der wirtschaftliche Erfolg des Unternehmens jedoch das andere. Welche Aus- und welche Nachwirkungen werden diese Turbulenzen um den Siemens-Konzern tatsächlich haben?
Das möchte ich jetzt klären in einem Gespräch mit dem Finanzwissenschaftler Professor Wolfgang Gerke, der den Beitrag mitgehört hat. Er ist uns jetzt zugeschaltet. Guten Tag!
Wolfgang Gerke: Grüß Gott, Frau Gerlach!
Gerlach: Mit welchen Gefühlen beobachten Sie denn als Finanzwissenschaftler die Vorgänge rund um den Siemens-Konzern? Also, wie bedrohlich ist die aktuelle Lage?
Gerke: Dürfen Ökonomen Gefühle haben?
Gerlach: Das ist die Frage, aber Sie haben sicherlich welche!
Gerke: Ich glaube, sie müssen sie haben, Frau Gerlach. Dann wäre es bei Siemens auch besser gelaufen. Denn was bei Siemens gerade in der Vergangenheit falsch gelaufen ist, ist die Kommunikation, und die hat auch mit Gefühlen zu tun: Gefühlen den Mitarbeitern gegenüber, Gefühlen gegenüber der Öffentlichkeit. Das ist doch das große Problem von Siemens. Die Zahlen stimmen, und wir könnten stolz auf das Unternehmen sein als eines der Paradeunternehmen Deutschlands. Dann müssen wir uns leider aber sagen lassen, dass es dort Korruption gegeben hat, müssen uns sagen lassen, dass bei BenQ nicht richtig verhandelt wurde, und das ist so traurig. Die Geschichte könnte viel schöner aussehen, aber heute dominiert auf einer Hauptversammlung, wo die Zahlen stimmen, letzten Endes doch zu Recht die Kritik am Vorstand und am Aufsichtsrat.
Gerlach: Nun hat Wirtschaft ja immer mit Psychologie zu tun. Inwieweit kann denn die Korruptionsaffäre nachhaltig das Image von Siemens beschädigen?
Gerke: Da ist schon zu viel zusammengekommen, und insofern sehe ich sehr wohl einen Schaden. Das trifft Siemens in einer Zeit, wo das Unternehmen gut verdient. Das dämmt den Schaden etwas ein. Ich glaube nicht einmal, dass im Geschäft von Unternehmen zu Unternehmen der große Schaden entstehen wird. Dort schaut man auf Preis und Qualität vielleicht noch mehr als aufs Image. Aber Siemens macht auch viele Geschäfte im Bereich mit Ländern und ländernahen Institutionen, und da wird der eine oder andere sich schon sagen, kann ich mit einem Unternehmen, was in der Öffentlichkeit im Moment so schlecht dasteht, Geschäfte machen? Man kann nur hoffen, dass Siemens all diese Skandale so schnell wie möglich doch aufarbeiten kann.
Gerlach: Aber nun überwiegt ja sogar bei den Verbänden, die für die Kleinaktionäre sprechen, der Eindruck, dass das operative Geschäft ja im Grunde sehr gut funktioniert. Also noch mal die Frage: Topt denn der wirtschaftliche Erfolg das moralische Versagen?
Gerke: Die Antwort gebe ich sehr ungern, aber wenn man sich das faktisch anschaut, ist das so. Das können wir an anderen Stellen auch beobachten, dass häufig eben doch die Ökonomie die Moral topt. Ich prognostiziere das auch für Siemens. Die Aktionäre können darum froh sein, aber gesellschaftlich kann man so etwas nicht dulden.
Gerlach: Inwieweit beeinflussen denn die schlechten Schlagzeilen um Siemens auch den Wirtschaftsstandort Deutschland?
Gerke: Da haben wir einen schwachen Trost. Die Dinge, die hier bei Siemens passiert sind, sind in den USA in noch viel schlimmerer Form passiert. Man befindet sich also in schlechter Gesellschaft, und dadurch wird der Schaden begrenzt sein. Es ist, glaube ich, die Stoßrichtung des Schadens hauptsächlich auch nach innen. Viele Siemens-Mitarbeiter, die sich über viele Jahre mit dem Unternehmen identifizieren, werden in ihrer Identifikation mit dem Unternehmen geschwächt. Und da sehe ich fast mehr Schaden als in dem Schaden, der nach außen entstanden ist, wo es viele ähnliche Fälle gibt.
Gerlach: Dann würde ich zum Schluss gerne noch Ihren Tipp haben. Bleibt der Siemens-Vorstand nach dieser Hauptversammlung im Amt?
Gerke: Der Siemens-Vorstand bleibt im Amt, und viele Aktionäre werden auch dabei im Hinterkopf haben, dass sie es nicht riskieren wollen, jetzt eine Lücke entstehen zu lassen. Denn dann würden sie sich möglicherweise ja selber schädigen. Zähneknirschend wird der eine oder andere dann doch bereit sein, den Vorstand und den Aufsichtsrat im Amt zu lassen.
Gerlach: Der Finanzwissenschaftler Professor Wolfgang Gerke im Gespräch mit den "Informationen am Mittag". Herzlichen Dank und auf Wiederhören.
Gerke: Wiederhören.
Die Wut der Aktionäre ist also das eine; der wirtschaftliche Erfolg des Unternehmens jedoch das andere. Welche Aus- und welche Nachwirkungen werden diese Turbulenzen um den Siemens-Konzern tatsächlich haben?
Das möchte ich jetzt klären in einem Gespräch mit dem Finanzwissenschaftler Professor Wolfgang Gerke, der den Beitrag mitgehört hat. Er ist uns jetzt zugeschaltet. Guten Tag!
Wolfgang Gerke: Grüß Gott, Frau Gerlach!
Gerlach: Mit welchen Gefühlen beobachten Sie denn als Finanzwissenschaftler die Vorgänge rund um den Siemens-Konzern? Also, wie bedrohlich ist die aktuelle Lage?
Gerke: Dürfen Ökonomen Gefühle haben?
Gerlach: Das ist die Frage, aber Sie haben sicherlich welche!
Gerke: Ich glaube, sie müssen sie haben, Frau Gerlach. Dann wäre es bei Siemens auch besser gelaufen. Denn was bei Siemens gerade in der Vergangenheit falsch gelaufen ist, ist die Kommunikation, und die hat auch mit Gefühlen zu tun: Gefühlen den Mitarbeitern gegenüber, Gefühlen gegenüber der Öffentlichkeit. Das ist doch das große Problem von Siemens. Die Zahlen stimmen, und wir könnten stolz auf das Unternehmen sein als eines der Paradeunternehmen Deutschlands. Dann müssen wir uns leider aber sagen lassen, dass es dort Korruption gegeben hat, müssen uns sagen lassen, dass bei BenQ nicht richtig verhandelt wurde, und das ist so traurig. Die Geschichte könnte viel schöner aussehen, aber heute dominiert auf einer Hauptversammlung, wo die Zahlen stimmen, letzten Endes doch zu Recht die Kritik am Vorstand und am Aufsichtsrat.
Gerlach: Nun hat Wirtschaft ja immer mit Psychologie zu tun. Inwieweit kann denn die Korruptionsaffäre nachhaltig das Image von Siemens beschädigen?
Gerke: Da ist schon zu viel zusammengekommen, und insofern sehe ich sehr wohl einen Schaden. Das trifft Siemens in einer Zeit, wo das Unternehmen gut verdient. Das dämmt den Schaden etwas ein. Ich glaube nicht einmal, dass im Geschäft von Unternehmen zu Unternehmen der große Schaden entstehen wird. Dort schaut man auf Preis und Qualität vielleicht noch mehr als aufs Image. Aber Siemens macht auch viele Geschäfte im Bereich mit Ländern und ländernahen Institutionen, und da wird der eine oder andere sich schon sagen, kann ich mit einem Unternehmen, was in der Öffentlichkeit im Moment so schlecht dasteht, Geschäfte machen? Man kann nur hoffen, dass Siemens all diese Skandale so schnell wie möglich doch aufarbeiten kann.
Gerlach: Aber nun überwiegt ja sogar bei den Verbänden, die für die Kleinaktionäre sprechen, der Eindruck, dass das operative Geschäft ja im Grunde sehr gut funktioniert. Also noch mal die Frage: Topt denn der wirtschaftliche Erfolg das moralische Versagen?
Gerke: Die Antwort gebe ich sehr ungern, aber wenn man sich das faktisch anschaut, ist das so. Das können wir an anderen Stellen auch beobachten, dass häufig eben doch die Ökonomie die Moral topt. Ich prognostiziere das auch für Siemens. Die Aktionäre können darum froh sein, aber gesellschaftlich kann man so etwas nicht dulden.
Gerlach: Inwieweit beeinflussen denn die schlechten Schlagzeilen um Siemens auch den Wirtschaftsstandort Deutschland?
Gerke: Da haben wir einen schwachen Trost. Die Dinge, die hier bei Siemens passiert sind, sind in den USA in noch viel schlimmerer Form passiert. Man befindet sich also in schlechter Gesellschaft, und dadurch wird der Schaden begrenzt sein. Es ist, glaube ich, die Stoßrichtung des Schadens hauptsächlich auch nach innen. Viele Siemens-Mitarbeiter, die sich über viele Jahre mit dem Unternehmen identifizieren, werden in ihrer Identifikation mit dem Unternehmen geschwächt. Und da sehe ich fast mehr Schaden als in dem Schaden, der nach außen entstanden ist, wo es viele ähnliche Fälle gibt.
Gerlach: Dann würde ich zum Schluss gerne noch Ihren Tipp haben. Bleibt der Siemens-Vorstand nach dieser Hauptversammlung im Amt?
Gerke: Der Siemens-Vorstand bleibt im Amt, und viele Aktionäre werden auch dabei im Hinterkopf haben, dass sie es nicht riskieren wollen, jetzt eine Lücke entstehen zu lassen. Denn dann würden sie sich möglicherweise ja selber schädigen. Zähneknirschend wird der eine oder andere dann doch bereit sein, den Vorstand und den Aufsichtsrat im Amt zu lassen.
Gerlach: Der Finanzwissenschaftler Professor Wolfgang Gerke im Gespräch mit den "Informationen am Mittag". Herzlichen Dank und auf Wiederhören.
Gerke: Wiederhören.