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Giorgi Maisuradze, Patrick Schollmeyer: "Medeas Heimat. Georgien in der Antike"
Eine archäologische Spurensuche

Das Goldenen Zeitalter Georgiens – kaum bekannt ist, dass der Kaukasus zu den reichsten Regionen der Antike gehörte. Aber was ist Mythos, was ist Geschichte? Zwei Fachautoren begeben sich auf die Suche.

Von Martina Wehlte | 15.02.2019
    Buchcover: Patrick Schollmeyer/Giorgi Maisuradze: „Medeas Heimat. Georgien in der Antike“
    Medea - grausame Rächerin von der Schwarzmeerküste (Buchcover: Verlag wbg Philipp von Zabern, Hintergrund: EyeEm / Yasmeen)
    Zwei mythische Figuren sind mit Georgien und der Kaukasus-Region untrennbar verbunden: Medea und Prometheus. Was läge also näher, als eine der beiden für das Cover eines kulturgeschichtlichen Buches über dieses Landstück zwischen Kaspischem und Schwarzem Meer zu wählen? Nicht von ungefähr haben Giorgi Maisuradze und Patrick Schollmeyer für ihren Band über Georgien in der Antike einen Ausschnitt aus dem Monumentalgemälde "Abschied der Medea" in der Neuen Pinakothek München gewählt. In gedämpfter Farbgebung und plastischer Modellierung sieht man eine Mutter-Kind-Gruppe vor den Klippen des Meeresstrandes. Nichts an diesem Idyll einer idealschönen Frau, die sanftmütig ihre beiden Söhne in Armen hält, lässt den unmittelbar bevorstehenden Kindsmord erahnen, mit dem sich Medea für die schmachvolle Zurückweisung durch ihren Mann Iason rächen wird.
    Rezeption der Sagen-Tradition
    Wie die griechischen und römischen Künstler der Antike ihre Helden und Heldinnen der eigenen Vorstellungswelt anverwandelt hatten, so hat der neoklassizistische Maler Anselm Feuerbach seinerseits deren Ethos und Formensprache den Erwartungen des neunzehnten Jahrhunderts angepasst. Und so hat sich Medea unserem Gedächtnis eingeprägt. Das Gemälde ist aber nicht nur ein Augenschmaus, sondern auch ein Hinweis, worum es den Autoren geht:
    "um das Wechselspiel zwischen der materiellen Realität der antiken Kaukasuskultur(en) einerseits und die durch Griechen wie Römer gleichermaßen geprägten ideellen Vorstellungen von Medeas Heimat andererseits."
    Medea war der Sage nach die zauberkundige Tochter des Königs Aietes von Kolchis, der an der Ostküste des Schwarzen Meeres herrschte. Im Jahr 2008 wurde im Zentrum von Batumi eine überlebensgroße Medea-Statue auf hohem, marmorverkleidetem Sockel enthüllt. Die majestätische Figur hält das Goldene Vlies empor und verkörpert den Wandel im Zeichen des christlich geprägten Landes "von der Zauberin aus Kolchis zur apostelgleichen Erleuchterin Georgiens", wie es im letzten Kapitel des Bandes heißt. Das Vlies ist der Sage nach das goldene Fell des mythischen Widders Chrysomeles. Es symbolisiert Glück und Reichtum des an Bodenschätzen reichen Landes.
    Auf der Suche nach dem Kern des Mythos
    Historischer Hintergrund könnte das Auswaschen von Goldpartikeln in Flüssen mittels Schaffellen gewesen sein. Die Menschen der Antike waren von der Faktizität mythischer Erzählungen wie der Argonautenfahrt unter Leitung Iasons und dem Raub des Goldenen Vlieses überzeugt, auch wenn es heute kaum gelingen kann, einen plausiblen geschichtlichen Hintergrund zu rekonstruieren.
    "Dabei ist es durchaus möglich, soweit zu gehen und zu behaupten, die Argonautensage stelle eine mythisch überhöhte, folglich sagenhaft ausgeschmückte Rückerinnerung an eine zur Zeit der ersten Fassungen dieser Erzählung schon sehr ferne Vergangenheit dar: die der bronzezeitlichen Staatenwelt mit ihren vielfältigen interkulturellen Verflechtungen in der 2. Hälfte des 2.Jts. v. Chr."
    Die Autoren zeichnen die Entwicklung der Metallurgie seit der Kura-Araxes-Kultur im dritten Jahrtausend v. Chr. nach, stellen das älteste Goldbergwerk der Welt vor, zeigen wechselseitige Einflüsse der griechischen und kaukasischen Kulturen auf, rekonstruieren Schiffsrouten und Speisekarten, berichten über sensationelle Ausgrabungen beispielsweise von Kurganen, ca. fünftausend Jahre alten Hügelgräbern.
    Kunsthandwerk von höchster Qualität
    Eine geheimnisvolle Lichtregie gibt den so noch nicht fotografierten Bronzefiguren von Reitern oder Tieren, goldenen Diademen, fein ziselierten Armringen und Waffen oder expressiven Tonstatuetten geradezu eine Aura. Für osteuropäische Touristen mögen diese Kostbarkeiten in den Museen von Tbilissi, Batumi, Wani oder auch Moskau schon zu Sowjetzeiten auf dem Reiseplan gestanden haben. Postkarten aus den siebziger Jahren mit entsprechenden Motiven belegen das. Für das deutsche Publikum, das Georgien wohl überhaupt erst als Gastland der letztjährigen Frankfurter Buchmesse wahrgenommen hat, sind die vielen hervorragenden Farbabbildungen von frühen authentischen Zeugnissen der Schmiedekunst im Gebiet des heutigen Georgien eine wahre Entdeckung. Hier wurde eine untergegangene, eigenständige Hochkultur dem Vergessen entrissen.
    Einflüsse und Machtverhältnisse
    Einen Schauplatzwechsel vollzieht der Leser, wenn sich ihm die Mythen- und Sagenwelt auftut, die in Mosaiken und Wandgemälden aus Pompeji oder Herkulaneum vors Auge tritt, in Darstellungen des griechischen Vasenmalers Duris aus dem fünften vorchristlichen Jahrhundert oder in dramatischen Szenen auf Gefäßen und Reliefs der Antikensammlungen in Rom, Wien, Berlin oder München. Geografische und politische Landkarten helfen anhand von Fundorten eine Vorstellung von den kulturgeschichtlichen Zentren und gesellschaftlichen Strukturen sowie den wechselnden Einflüssen und Machtverhältnissen in der Region zu bekommen. Fulminanter Abschluss des beeindruckenden Bandes ist das Foto von einer großzügigen Brunnenanlage in Kutaissi. In ihrem Rund stehen zahlreiche Tierfiguren, umgeben von Wasserfontänen und in der Mitte überragt auf einem Podest ein goldglänzendes Pferdepaar das Ensemble.
    "Alle auf diesem Brunnen stehenden Figuren kopieren in größerem Format tatsächlich gefundene antike Objekte. So hat die mittlere Pferdegruppe ihr Vorbild in einem der prachtvollen Gehänge des sogenannten Schatzes von Achalgori."
    Giorgi Maisuradze, Patrick Schollmeyer: "Medeas Heimat. Georgien in der Antike"
    Verlag wbg Philipp von Zabern, Darmstadt. 144 Seiten mit zahlreichen Abb., 39,95 Euro.