
Am 15. August wird US-Präsident Donald Trump den russischen Präsidenten Wladimir Putin in Alaska empfangen. Es ist der erste US-Besuch Putins seit zehn Jahren. Doch kaum ein Beobachter oder Politiker verbreitet Hoffnung angesichts des Gipfels. Besonders die neuesten Entwicklungen an der Front in der Oblast Donezk deuten darauf hin, dass Putin die bislang eroberten Gebiete nicht ausreichen. Im Gegenteil: Er erhöht den militärischen Druck.
Die aktuellen Entwicklungen an der ukrainisch-russischen Front
Da Russland seit Beginn des Krieges kaum Gebietsgewinne zu verzeichnen hatte, war der Frontverlauf im Osten und Süden der Ukraine in den Oblasten Donezk, Luhansk, Cherson, Saporischschja und Charkiw seit Dezember 2022 quasi eingefroren. Jetzt hat Russland erfolgreich einen Keil in die ukrainische Verteidigungslinie im Osten getrieben, nahe der strategisch wichtigen Stadt Pokrowsk in der Oblast Donezk.

Nach Angaben ukrainischer Militärs und des ukrainischen Präsidenten sind kleinere russische Truppenverbände an mehreren Stellen bis zu zehn Kilometer vorgerückt. Laut Wolodymyr Selenskyj verlege Russland zudem Truppen aus der Region Sumy nach Pokrowsk und Saporischschja. Zugleich hätten ukrainische Truppen sechs von 18 besetzten Siedlungen in der Region Sumy befreit. Selenskyj geht davon aus, dass Moskau einen neuen Angriff an drei Frontabschnitten vorbereitet. Neben Pokrowsk nannte der ukrainische Staatschef die wichtigen Städte Saporischschja und Nowpawliwka als nächste russische Ziele.
Die Rolle der Stadt Pokrowsk
Schon seit Monaten versucht die russische Armee, die Stadt Pokrowsk einzunehmen, da sie eine enorm wichtige strategische Bedeutung hat. Der Verkehrsknotenpunkt wird von der ukrainischen Armee als logistisches Drehkreuz genutzt. Von Pokrowsk aus werden andere ukrainisch kontrollierte Städte im Donbass, wie das Donezkbecken auch genannt wird, versorgt. Durch den andauernden Beschuss durch Artillerie und Drohnen ist die Stadt bereits weitgehend zerstört worden.
Die Agglomeration der Städte Pokrowsk und Myrnohrad ist von drei Seiten durch russische Truppen eingeschlossen. Für den ukrainischen Nachschub ist nur noch ein etwa 15 Kilometer breiter Korridor verblieben. Die russische Armee versucht, einen Ring um Pokrowsk aufzubauen, um die Stadt dann zu stürmen. Von Pokrowsk aus könnten sich russische Truppen dann in Richtung Slowjansk, Kramatorsk oder Pawlohrad bewegen, wie Militärexperte Olexandr Sajenko gegenüber der „Tagesschau“ sagte – voraussichtlich mit dem Ziel, die gesamte Oblast Donezk einzunehmen und anschließend weiter ins Landesinnere vorzustoßen. Die große Bedeutung Prokowsks zeigt sich daran, dass Moskau allein hier 100.000 Soldaten zusammengezogen hat.
Eine neue Vorgehensweise der Russen
Kurz vor dem Treffen Putins mit Donald Trump in Anchorage scheinen die russischen Generäle ihre militärische Strategie geändert zu haben, wie Hans-Lothar Domröse, General a.D., erklärt. Statt in Fahrzeugen oder Panzern, die schnell von ukrainischen Drohnen ausfindig gemacht werden können, haben die Russen die ukrainische Front infiltriert, im Militärjargon heißt es, sie sind „eingesickert“: Die Fahrzeuge wurden verlassen und die Russen gingen in kleinen Trupps zu Fuß, also infanteristisch, voran.
Die neue Taktik trägt nun offenbar Früchte. Finnische Militäranalysten sprechen sogar vom vielleicht größten russischen Durchbruch seit drei Jahren. Andere Experten sind noch zögerlich in der Einschätzung, wie gelungen die neue Strategie insgesamt ist. Einig ist man sich jedoch darin, dass Russland ein Überraschungscoup gelungen ist und dass dieses gelungene Eindringen ein Alarmzeichen für die Ukraine sein muss.
Die Reaktion der Ukraine
Die Ukraine ist sich des Ernstes der Lage durchaus bewusst. So hat Kiew innerhalb kürzester Zeit neue Einheiten in die hart umkämpfte Region um Prokowsk verlegt, darunter auch Elitesoldaten der Asow-Brigade. Die Situation ist laut ukrainischer Armee „komplex und dynamisch.“ Generalstabssprecher Andrij Kowalew sagte ukrainischen Medien: „Der Feind nutzt seinen zahlenmäßigen Vorteil und versucht, trotz erheblicher Verluste an Personal, in kleinen Gruppen durch die erste Linie unserer Stellungen vorzudringen“. Zusätzliche Truppen sollen gegnerische Sabotagetrupps hinter den eigenen Linien aufspüren und vernichten.
Die Berichte von einem Frontdurchbruch der Russen weist die ukrainische Armee jedoch zurück. Das Durchsickern russischer Soldaten bedeute noch nicht, dass sie diese Gebiete unter Kontrolle brächten, teilte die für den Frontabschnitt zuständige Armeegruppe „Dnipro“ bei Telegram mit. Die Situation bleibe aber schwierig. Die Kämpfe in dieser Region seien die intensivsten im Vergleich zu anderen Frontabschnitten.
Wachsender Druck kurz vor dem Gipfel
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte kurz vor seinem Treffen mit Bundeskanzler Friedrich Merz in Berlin, dass Putin versuche, vor dem Gipfel mit Trump diplomatischen Druck aufzubauen: „Russland will zeigen, dass es die ganze Ukraine besetzen kann.“
Parallel zur gestiegenen militärischen Aktivität an der Front haben die Vereinten Nationen im Juli einen Höchststand an zivilen Opfern seit Mai 2022 registriert. Einem Bericht des Hohen Kommissars für Menschenrechte zufolge sind 40 Prozent der Fälle auf russische Luftangriffe mit Drohnen und Raketen auf Großstädte wie Kiew, Dnipro und Charkiw zurückzuführen. Weitere 24 Prozent seien durch die verstärkten russischen Drohnen- und Bombenangriffe entlang der Frontlinie verursacht worden.
pj