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Giro d'Italia
Yates auf dem Weg zum Favoritenschreck

Seit über einer Woche fährt Simon Yates im rosa Trikot des Gesamtführenden. Seine Leistung beim Giro ist das Ergebnis eines langfristigen Aufbaus beim australischen Rennstall Mitchelton-Scott. Der könnte mittelfristig sogar das Team Sky bei der Tour de France herausfordern.

Von Tom Mustroph | 19.05.2018
    Simon Yates in Siegerpose auf seinem Fahrrad.
    Seit über eine Woche steckt Simon Yates im rosa Trikot beim Giro d'Italia (imago sportfotodienst)
    Ein neuer Player für große Rundfahrten trumpft im Radsport auf: das australische Team Mitchelton-Scott. "Ich kam her, um das Rennen zu gewinnen", sagt Simon Yates kurz und knapp. Der Brite holte sich bereits am Ätna das rosa Trikot. Zwei Etappensiege bei Bergankünften folgten. Er ist der bestimmende Mann - und stellt sogar seinen Landsmann Chris Froome in den Schatten. Dem blieb bislang vor allem die Rolle als Applausgeber.
    "Simon ist großartig. Es ist herrlich für uns zu sehen, dass ein anderer Brite im Führungstrikot steckt. Und er hat auch gute Teamunterstützung", sagte Froome vor dem heutigen Ritt auf den Zoncolon, einer der härtesten Radsportberge in Europa. Yates' Vorstellung in Italien ist Resultat eines längeren Aufbauvorhabens des australischen Rennstalls.
    Simopn Yates mit seinem Team während des Giro d'Italia.
    Das australischen Mitchelton-Scott um Kapitän Simon Yates. (imago sportfotodienst)
    Ende 2013 gelang dem Team, damals unter dem Namen Orica, gleich ein Dreifach-Coup. Es verpflichtete Simon Yates, dessen ähnlich talentierten Zwillingsbruder Adam sowie den Kolumbianer Esteban Chaves. Ein Klettertrio mit enormem Potential. Für Rennstall-Gründer Matthew White war das der erste wichtige Schritt im Gesamtplan, für ein Rundfahrtteam:
    "Deshalb haben wir diese Jungs eingekauft. Australien hat traditionell nicht so viele Kletterer hervorgebracht. In den letzten zwei, drei Jahren war das anders. Aber vor fünf Jahren gab es nicht so viele junge Talente. Deshalb mussten wir außerhalb unseres eigenen Talentereservoirs gucken. Wir hatten Glück und sind auf diese drei Jungs gestoßen."
    Neues Team um die Yates-Brüder
    Das Team Sky hatte damals ebenfalls die Yates-Brüder umworben. Die beiden gaben dem Branchenführer aber einen Korb. Sie wollten sich die Lehrjahre als Domestiken für Chris Froome ersparen. "Hier wurde ein Rundfahrtteam ganz neu aufgebaut. Ich war ein junger Kletterer mit vielleicht ein wenig Potential. Das war der Anfang. Danach gab es eine langsame und kontinuierliche Entwicklung bis jetzt", blickt Simon Yates zurück.
    Er holte 2016 seine erste Top-10-Platzierung bei der Vuelta und legte im letzten Jahr nach, mit Gesamtplatz 7 und dem weißen Trikot des besten Jungprofis bei der Tour de France. Bruder Adam wurde 2016 schon Vierter bei der Tour und ebenfalls bester Jungprofi. Der Kolumbianer Chaves holte vor zwei Jahren gar Podiumsplätze bei Giro und Vuelta. Beim Giro 2018 war er lange an zweiter Position, fiel dann aber wegen eines Schwächeanfalls zurück.
    Kletterer mit Sprintqualitäten
    Aktuell sticht aus diesem Trio Simon Yates hervor. Er begann als Punktefahrer auf der Bahn, sattelte wegen des Wegfalls des Punktefahrens bei Olympia aber auf die Straße um. Er wurde zum Kletterer mit Sprintqualitäten. Zwei Schatten liegen allerdings auf Team Mitchelton-Scott. Yates selbst wurde wegen eines fehlenden Attests für ein Asthmamittel im Jahre 2016 vier Monate gesperrt. Das Versäumnis war ein Fehler des Teamarztes.
    Yates selbst war nach Ansicht der Disziplinarkommission unschuldig, wurde aber dennoch verurteilt. Bei weniger prominenten Athleten greift die Sportjustiz offenbar konsequenter durch, als bei Superstars. Beispiel: Tour de France Sieger Chris Froome: Bei ihm war im vergangenen September eine unerlaubt hohe Konzentration eines Asthmamittels gefunden worden. Das Verfahren läuft, aber Froome darf weiter fahren.
    Chris Froome auf seinem Fahrrad beim Giro d'Italia.
    Chris Froome beim Giro d'Italia. (imago sportfotodienst)
    Den zweiten Schatten auf die Mannschaft Mitchelton-Scott wirft Teamgründer Matthew White selbst. Der fuhr einst beim US Postal-Rennstall von Lance Armstrong. White gab später auch Dopingpraktiken über den Großteil seiner eigenen Rennfahrerkarriere zu. Er versichert aber, jetzt als Betreuer ganz anders zu agieren: "Das ist eine komplett andere Ära jetzt. Auch die Trainer in den Teams haben gewechselt. Die Vergangenheit und dieses Team hier - da besteht gar keine Verbindung."
    Die Konkurrenz sieht das ähnlich. Roy Curvers, Road Captain beim Sunweb-Team vom wichtigsten Rivalen Tom Dumoulin: "Ich denke, man darf da keine Verbindung ziehen. Es ist jetzt völlig anderer Radsport als vor einigen Jahren. Für mich ist das nicht verdächtiger, ob Matthew White dort arbeitet, oder eine Person, die niemals zuvor im Radsport gearbeitet hat. Der Sport ist viel sauberer und gar nicht mehr zu vergleichen mit den frühen Nuller oder den späten 90er Jahren."
    Dopingintensität hat abgenommen
    Den Eindruck des Niederländers kann man teilen. Die Dopingintensität zumindest hat abgenommen. Dopingfälle gibt es aber weiter. Am Donnerstag wurden zum Beispiel zwei litauische Bahnradtrainer festgenommen, weil sie große Mengen Dopingpräparate bei sich hatten. Lieuwe Westra, Straßenradprofi von 2009 bis 2016, gab unlängst in seiner Autobiografie zu, während seiner gesamten Karriere Kortison zur Leistungssteigerung genutzt zu haben.
    Seine Ärzte lieferten die notwendigen Atteste. Im Dezember 2017 und Januar 2018 wurden insgesamt neun Radsportler aus Lateinamerika mit Epo erwischt. Der letzte prominentere Straßenradprofi, dem man Epo-Gebrauch nachwies, war im Juni 2017 der mehrfache Giro- und Vuelta-Starter André Cardoso.