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Radsport
Juristischer Slalom beim Giro

Der Salbutamol-Fall von Chris Froome belastet den Giro und das gesamte Antidopingsystem. Während er fährt, wird schon an einer juristischen Konstruktion gebastelt, die ihm selbst bei einer späteren Verurteilung Siege beim Giro lassen würde.

Von Tom Mustroph | 12.05.2018
    Chris Froome beim Auftakt des Giro in Jerusalem
    Chris Froome beim Auftakt des Giro in Jerusalem (Fabio Ferrari LaPresse/imago sportfotodienst)
    Momentan meint es Chris Froome gut mit dem Giro d'Italia. Denn der Top-Favorit fährt hinterher. Er ließ schon in Jerusalem beim Prolog Zeit liegen und setzte die Tendenz in Sizilien fort. Sein erhofftes Comeback auf dem Vulkan Ätna verpuffte.
    Dass er nicht im rosa Trikot fährt, erspart dem Giro schlechte Presse. Denn eigentlich, das glauben einige hier, hätte er gar nicht starten sollen. "Bei einer positiven A- und B-Probe noch an Rennen teilzunehmen, ist für mich ein No Go", sagt Ralph Denk, Teamchef von Bora hansgrohe. Er fasst zusammen, was die allgemeine Radsportlogik gebietet.
    Trotz Niedrigrechnens - deutlich über dem Grenzwert
    Froome lieferte im September letzten Jahres eine Urinprobe mit einem erhöhten Wert von Salbutamol ab. Das ist ein Asthmamittel. Unter Asthma leidende Sportler dürfen es nehmen, bis zum Grenzwert von 1.000ng/ml. Alles darüber gilt als leistungssteigernd. Froome hatte 1.920 ng/ml.
    Zuletzt wurde der Wert auf 1,429ng/ml heruntergerechnet. Grund ist der Flüssigkeitsverlust eines Sportlers bei einer großen Rundfahrt. Weniger Flüssigkeit bedeutet mehr feste Bestandteile, also auch eine höhere Konzentration von Salbutamol. Trotz dieser rechnerischen Nachjustierung bleibt Froomes Wert weit über dem Grenzwert.
    "Verstehe lange Verfahrenszeiten nicht"
    Dass er hier fährt, ist also schwer nachvollziehbar. Rechtlich gedeckt ist es aber auch. "Es ist normal, dass er hier ist. Team Sky und Froome brechen keine Regeln. Und die UCI ist außen vor, weil sie nur den WADA-Code übernommen hat", sagt Denk.
    Das ist auch die Meinung vom Giro-Direktor Mauro Vegni. Er sagt: "Ich glaube, dass ein Fahrer, der die Erlaubnis hat zu fahren, auch Rennen bestreiten sollte. Die einzige Sache, die ich nicht verstehe, sind die langen Verfahrenszeiten. Es sind ja schon sieben Monate vergangen. Und dann verstehe ich überhaupt nicht das Konzept von nicht-negativ. Für mich ist ein Fahrer entweder positiv oder negativ."
    nicht-negativ
    Froome jedoch ist etwas drittes. Nicht positiv, nicht negativ, sondern nicht-negativ, mit einem Bindestrich zwischen "nicht" und "negativ". Deshalb sehen die Regeln der Weltantidopingagentur bei Salbutamol eben keine sofortige Suspendierung vor. Im Radsport wird das kritisch gesehen.
    Ralph Denk sagt: "Wir brauchen einen anderen WADA Code. Die Wada hat die Regeln aufgestellt und die UCI unterwirft sich wie viele Spitzenverbände dem WADA Code und das ist meiner Ansicht nach das ganze Übel an der Sache."
    Das darf man als ein Zeichen des Wandels werten. Akteure im Radsport beklagen, dass die WADA nicht konsequent genug agiert. Eine echte Vorreiterrolle.
    "nicht korrekt"
    Weil Froome, beschützt durch einen schlechten WADA-Code, jetzt beim Giro fährt, kreiert er neue Probleme. Nun gut, es sind bekannte. Alberto Contador gewann den Giro 2011. Er fuhr ihn, obwohl er bei der Tour 2010 mit Clenbuterol erwischt wurde. Das Verfahren zog sich aber in die Länge.
    Dann wurde Contador verurteilt - und ihm der Giro-Sieg wieder entzogen. Mit Froome droht eine Wiederauflage dieser Art von Phantomrennen. Giro-Direktor Vegni graust es bei dieser Vorstellung, ganz klar:
    "Man kann nicht einen Athleten suspendiert halten für eine ganze Saison und dann ganz plötzlich sagen - wir tilgen jetzt alles. Das ist nicht korrekt ihm gegenüber, nicht korrekt gegenüber dem Publikum, das einen Fahrer am Ende eines großen Giro triumphieren sieht, und dann heißt es: Das war alles nur ein Witz."
    "Sperre erst ab Urteil"
    Weil Vegni annimmt, dass Froome noch immer den Giro gewinnen kann, bearbeitet er die UCI: "Ich hoffe, dass sie der Idee folgen können, dass die Sperre erst in dem Moment einsetzt, in dem das Urteil verkündet wird und dass sie nicht rückwirkend gilt wie bei Contador. Ich habe ganz deutlich gesagt, dass ich eine Wiederholung des Falles Contador nicht akzeptiere."
    Dass Vegni einen neuen Fall Contador nicht akzeptiert, bedeutet offenbar nicht, dass er Doping für schlimm hält und Fahrer, die ihre Grenzwertüberschreitungen nicht zeitnah begründen können, bei seinem Rennen nicht haben will. Es bedeutet nur, er will einfach keinen Ärger für seinen Event. Keinen Sieger, der später die Trophäe zurückgeben muss. Deshalb macht er sich für eine sehr eigenartige Rechtsauslegung stark.
    Das führt zu dem seltsamen Szenario: Anerkannt falsches Recht, ausgenutzt durch Team Sky und Chris Froome, mündet in den Wunsch nach einer Rechtsbeugung. Und Froome soll es nun besser haben als damals Contador. Oh je Radsport, oh je, Weltantidopingagentur.
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