Wenn Big Ben heute Nacht zwölf schlägt, dann ist der große Moment für John und Bernardo gekommen:
"Das erste Mal in der Geschichte dieses Landes, dass wir absolut gleich sind per Gesetz, ich finde das phänomenal. Als wir geboren wurden -Bernardo unter dem Franco-Regime in Spanien und ich hier auf den Britischen Inseln -, da konntest du ins Gefängnis gesteckt werden für homosexuellen Sex. Und jetzt dürfen wir heiraten - das ist eine außergewöhnliche Zeit!"
John ist 52 und Dokumentarfilmer; mittelgroß, schlank und kurz geschnittenes weißes Haar. Neben John sitzt sein vier Jahre jüngerer Partner Bernardo, ein Markenstylist. Der 48-Jährige ist schwarzhaarig, sein Vollbart sauber gestutzt, das Haar geschoren. Wir haben uns in ihrem Lieblingspub im Londoner Stadtteil Pimlico zum Bier verabredet. Bernardo sagt, sie dürften das allererste gleichgeschlechtliche Paar in England und Wales sein, das sich am 29. März kurz nach Mitternacht vor einer Standesbeamtin das Ja-Wort gibt:
"Es sieht so aus als wären wir die ersten, die zu Ehemann und Ehemann erklärt werden. Und für mich ist es wichtig, in der Öffentlichkeit nicht nur sagen zu können, das ist mein Partner, sondern: John ist mein Mann ich bin Johns Mann."
Geplant ist trotz des Medienrummels eine schlichte und stilvolle Zeremonie. Goldene Eheringe, gefertigt aus dem Ring seines verstorbenen Vaters, dunkle Designeranzüge mit weißem Hemd ohne Krawatte und beim Dinner vorweg ihr Lieblingskonzert - auf keinen Fall schrillrosa Anzüge, Blumen, Dragqueens oder Halligalli, sagt Bernardo:
"Wir wollen keine Show veranstalten, wir wollen einfach heiraten im Beisein unserer engsten Freunde und Verwandten; die treffen wir um 9 Uhr abends in einem Pub bei der Bücherei; es gibt zu essen und zu trinken; anschließend findet um eine Minute nach Mitternacht die Zeremonie statt und dann geht es in unsere Wohnung, wo es Champagner und den Hochzeitskuchen gibt. Und damit endet es."
Und John ergänzt:
"Wir wollen die Feier, die Worte und den historischen Moment einfach für sich selbst sprechen lassen und das nicht aufpeppen, sondern es sehr einfach und schlicht belassen."
Beide werden nicht nur die ersten schwulen Ehepartner sein, sondern wohl auch die einzigen, die zeitgleich mit einem befreundeten heterosexuellen Paar getraut werden.
"Wir waren wirklich erpicht auf dieses Symbol, das zeigt: Die Ehen sind gleichwertig. Es ist ohne Beispiel und ich habe bis vor neun Monaten niemals im Leben erwartet, heiraten zu können."
Parlament setzt sich gegen Kirchen durch
Im Frühsommer 2013 stimmte das britische Parlament mit einer überwältigenden Mehrheit für die Einführung der gleichgeschlechtlichen Ehe, die die konservativ-liberale Regierungskoalition gegen heftigen Widerstand der beiden großen Kirchen durchgesetzt hat.
Lange dafür gekämpft hat die älteste Hilfsorganisation für die Rechte der Schwulen und Lesben in Großbritannien, die nahe dem Londoner Bahnhof King's Cross in einer einstöckigen Ladenzeile hinter einer unscheinbaren Fassade residiert.
Monty Moncrieff ist seit eineinhalb Jahren Geschäftsführer von London Friend. Ein rundes Gesicht mit Vollbart, Glatze und freundlichen braunen Augen. Seine kräftigen Oberarme zeigen, dass der 43jährige regelmäßig ein Kraftstudio besucht. Warum hat den Homosexuellen die eingetragene Lebenspartnerschaft nicht gereicht, die seit 2005 in Großbritannien möglich ist? Die Antwort:
"Die Menschen haben nicht nur für irgendeine gesetzliche Anerkennung ihrer Bindung gekämpft, sondern für dieselbe. Das ist sehr wichtig für gleichgeschlechtliche Paare, mit der Ehe die gleiche Art von Beziehung führen zu dürfen, dasselbe legale Gebilde wie heterosexuelle Paare. Und es ist wichtig, dass es genauso heißt."
Recht auf Adoption
Darauf haben auch Paul und Michael Atwal-Brice gewartet. Beide leben in ihrem schmucken Backsteinhaus in der Nähe von Doncaster, in der mittelenglischen Provinz:
"Wir waren begeistert, wie alle schwulen Paare, absolut begeistert. Wir dachten: großartige Neuigkeiten, endlich!",
sagt der 36-jährige Paul, dem man ansieht, dass er aus dem Showbusiness kommt. Drahtig, knallweiß gebleachte Zähne, gebräunte Haut, gegeltes schwarzes Haar. Paul ist professioneller Tänzer. Michael ist sieben Jahre jünger als Paul. Der gelernte Einzelhandelskaufmann ist kräftiger und wirkt etwas weniger mondän:
"Und wir haben schon Vorbereitungen getroffen. Wir haben einen Fotografen gebucht, Kuchen bestellt, Anzüge und solche Dinge."
Seit fast sechs Jahren haben Paul und Michael eine eingetragene Lebenspartnerschaft. Und fast ebenso lang sind sie Eltern der beiden adoptierten Zwillinge Levy und Lucas. Und dann macht da noch Leo, ihr Pflegekind, das Wohnzimmer unsicher.
Leo ist gerade acht Monate alt, krabbelt in seinem Strampler quirlig über den Parkettboden, und will unbedingt das Mikrofon untersuchen. Michael:
"Meine Mutter und mein Vater hatten jeder zehn Geschwister. Ich stamme aus einer großen Familie, Paul hat viele Geschwister. Es war für uns wirklich wichtig, Kinder in unserem Leben zu haben und auch eine Familie."
Ehe löst anerkannte Partnerschaft ab
Hätten beide statt der zivilen Partnerschaft schon 2008 eine Ehe eingehen dürfen, so wäre die Wahl leicht gefallen, versichert Michael.
"Es ist schon eine speziellere Verpflichtung. Wenn es die Möglichkeit zur Ehe damals gegeben hätte, hätten wir geheiratet. Wir wollten die Ehe vom ersten Tag, aber es gab nie die Option. Nun gibt es sie ab Ende März."
Allerdings nicht für Paare wie Paul und Michael; noch nicht. Denn der Gesetzgeber hat einfach vergessen, die Umwandlung der zivilen Partnerschaften in eine Ehe zu regeln.
So müssen nun ausgerechnet jene gleichgeschlechtlichen Paare, die sich als erste aneinander gebunden haben, am längsten auf die Hochzeit warten. Mindestens, so lautet die Auskunft der Regierung, bis Ende des Jahres.