Montag, 29. April 2024

Archiv


"Glos und Huber spielen den Weihnachtsmann im Mai"

Der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Joachim Poß, hat die Äußerungen von Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) zu baldigen Steuersenkungen scharf kritisiert. Glos setze die Glaubwürdigkeit der Regierungsarbeit und das Vertrauen in die Politik aufs Spiel. CDU-Chefin Angela Merkel müsse für Klarheit in ihren Reihen sorgen.

Moderation: Christian Schütte | 13.05.2008
    Christian Schütte: Michael Glos hat die Kritik der Schwesterpartei auf sich gezogen. Mehrere CDU-Politiker warnten den Bundeswirtschaftsminister von der CSU davor, mit seinem Drängen auf baldige Steuersenkungen die Glaubwürdigkeit der Union zu erschüttern. Glos hatte in einem Zeitungsinterview mit dem "Berliner Tagesspiegel" in Frage gestellt, die Haushaltskonsolidierung habe stets oberste Priorität. Doch nicht nur in der Union ist am Pfingstwochenende über künftige Steuerkonzepte diskutiert worden. Am Telefon ist nun der im Bericht gerade erwähnte Joachim Poß, der stellvertretende Fraktionschef der SPD im Bundestag. Guten Morgen, Herr Poß!

    Joachim Poß: Guten Morgen, Herr Schütte!

    Schütte: Steht die Große Koalition noch für das Ziel, den Bundeshaushalt bis 2011 zu konsolidieren, also keine neuen Schulden zu machen?

    Poß: Zunächst glaube ich, sollte man feststellen, dass die Bürger den Politikern misstrauen sollten, die zu viel versprechen - vor allen Dingen zu viel auf einmal. Was wir derzeit erleben, kann man auch so deuten, dass CDU und CSU, also unser Koalitionspartner, ein Spiel mit verteilten Rollen machen. Glos und Huber spielen den Weihnachtsmann im Mai. Die CDU bleibt bei der vereinbarten Linie der stabilen Finanzen. Die Glaubwürdigkeit von Regierungspolitik steigt dadurch nicht, das Vertrauen in Politik auch nicht. Von daher glaube ich, ist jetzt wirklich Frau Merkel gefordert, für Klarheit zu sorgen in ihren Reihen. Wir (das heißt die Sozialdemokraten) stehen zu dem, was wir in der Koalition vereinbart haben.

    Schütte: Nun haben, Herr Poß, CDU-Politiker, führende CDU-Politiker wie beispielsweise Michael Meister und Steffen Kampeter den Bundeswirtschaftsminister, wenn Sie so wollen, zurückgepfiffen - gerade mit Blick auf die Glaubwürdigkeit. Reicht Ihnen das nicht?

    Poß: Nein, das reicht nicht. Ich glaube, man muss da vorsichtig sein, an jedem Tag Frau Merkel zu irgendetwas aufzufordern, aber jetzt ist wirklich Frau Merkel gefordert, Klarheit zu schaffen, ob die Grundlagen der Koalitionsvereinbarung, auf die wir uns verständigt haben, denn wirklich noch gelten oder ob eineinhalb Jahre vor dem nächsten Bundestagswahltermin jetzt ein solches Spiel in Gang gesetzt wird mit Blick auf die bayerischen Wahlen oder welche Dinge auch immer. Da gilt es jetzt wirklich für Klarheit zu sorgen.

    Schütte: Befürchten Sie denn, dass Herr Glos möglicherweise nicht alleine dasteht im Kabinett, sondern sich weitere Regierungsmitglieder auf seine Seite stellen?

    Poß: Die Kabinettsmitglieder wissen ja um die finanziellen Spielräume, die wir haben, und sie müssten auch wissen, dass manches von dem, was Michael Glos oder auch Erwin Huber fordert, ja noch auf der Agenda dieser Koalition steht. Wir bekommen im Herbst den Existenzminimumsbericht. Das heißt wir werden uns im Herbst schon beschäftigen müssen mit der Frage Kindergeld und Kinderfreibetrag, also auch noch in dieser Wahlperiode. Das sage ich im Blick auf die Formulierung "Sofortmaßnahmen für Familien und Kinder", die da in den Glos-Aussagen oder Huber-Konzept enthalten sind. Das heißt diese Bundesregierung und diese Koalition wird sich mit der Frage sowieso beschäftigen müssen.

    Wir haben ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur steuerlichen Behandlung von Vorsorgeaufwendungen. Damit werden wir uns auch noch in diesem und im nächsten Jahr beschäftigen müssen, auch wenn es erst dann ab 2010 umgesetzt wird. Das sind konkret auch aller Voraussicht nach Steuersenkungen in einem großen Umfang. Es wird also noch steuerliche Entlastungen in absehbarer Zeit geben, unabhängig von der Verkündigung der Pläne der CSU oder anderer.

    Schütte: In der Sache also im Grunde genommen gar nicht viel Neues, sagen Sie. Weshalb ist dann das mit Herrn Glos für Sie trotzdem ein Aufreger, wie er sich geäußert hat?

    Poß: Ein Aufreger ist, weil Herr Glos klar festgestellt hat, wir müssen das Ziel, auf das wir uns verständigt haben, nämlich auch auf Bundesebene im Bundeshaushalt den Haushaltsausgleich im Jahr 2011 zu erreichen, dass er dieses Ziel verlassen hat, ausdrücklich. Das ist bisher noch von keinem Bundesminister so gemacht worden, und das wird er ja nicht ohne Absprache mit der CSU-Spitze insgesamt gemacht haben.

    Schütte: Der Bundesumweltminister von der SPD will mit einer gezielten Pendlerpauschale für Geringverdiener diejenigen fördern, die sich neue spritsparende Autos nicht leisten können. Nähert sich da Ihr Parteikollege Sigmar Gabriel ebenfalls der CSU an?

    Poß: Gabriel hat ja im Interview mit der "Bildzeitung" deutlich gemacht, dass für ihn die Grundlinie dieser Koalition nicht in Frage steht, sondern er hat sich zu einer Detailfrage geäußert. Ob eine solche Überlegung tragfähig ist, vermag ich gar nicht zu beurteilen. Da müsste man über die Ausgestaltung sprechen und auch über deren Finanzierbarkeit. Von daher kann ich das derzeit nicht beurteilen. Aber er hat ausdrücklich sich bekannt zu der Grundlinie der Koalition.

    Schütte: Schauen wir weiter auf Ihre Partei und den Bundestagswahlkampf für 2009. Werden Sie das Thema Abgaben zu einem zentralen Thema für die SPD machen?

    Poß: Die SPD wird sich wie die anderen Parteien auch zu dem Gesamtthema positionieren müssen. Wir werden ja als Partei nicht nur irgendwelche Entlastungen in Aussicht stellen können, sondern wir müssen auch etwas sagen zur Finanzierung von Zukunftsaufgaben. Wie ist es denn mit der Finanzierung der Bildungspolitik? Kann die denn noch erreicht werden, wenn einige Kräfte in der CDU und der CSU sich durchsetzen, die ja am liebsten keine Erbschaftsbesteuerung mehr haben wollen? Das ist eine Frage, über die derzeit ja noch gerungen wird in der Koalition - und zwar weil das Verfassungsgericht uns gewisse Auflagen erteilt hat. Da geht es um ein Aufkommen von vier Milliarden Euro. Wenn eine solche Erbschaftssteuer im nächsten Jahr nicht mehr erhoben werden könnte, wüssten die Länder auch sicherlich nicht, manche Bildungsaufgaben, die notwendig sind für die weitere Entwicklung hier in Deutschland, für die Zukunft unserer Kinder, zu finanzieren. Das ist ein konkretes Projekt, mit dem wir es jetzt auch noch zu tun haben. Man sieht also, darauf müssen die Parteien Antworten geben. Wir müssen die Antwort dazu geben: Wie haltet ihr es mit der Finanzierung der beschlossenen Maßnahmen im Bereich Bildung, Betreuung, Forschung und des Bundeszuschusses an die gesetzliche Krankenversicherung? Das haben wir doch längst in der Koalition vereinbart. Also muss auch die Finanzierung sichergestellt werden. Und natürlich denken wir Sozialdemokraten auch seit langem an zusätzliche Steuerentlastungen. Wir hatten ja massive Steuerentlastungen insbesondere auch für Arbeitnehmer und Familien mit Kindern in den Jahren 1998 bis 2005, indem wir gesagt haben: Natürlich, wenn Inflation und anderes als Problem massiver hinzutritt, müssen wir auch entlasten. Aber den Spielraum dafür, den sehen wir eher in der nächsten Legislaturperiode, nicht in irgendwelchen Sofortmaßnahmen.

    Schütte: Herr Poß, weniger Abgaben für Kranken- und Rentenversicherung. Das ist ein Vorschlag der SPD. Damit würden Sie allerdings auch ein großes Loch in die Sozialkassen reißen. Wer soll das stopfen?

    Poß: Bei all diesen Dingen geht es hier ... Ich habe jetzt gesagt, was derzeit diskutiert wird und was zur Erledigung auch ansteht. Das ist das eine. Das andere sind mittelfristige Überlegungen, inwieweit auch im Bereich der Geringverdiener die Last gesenkt werden kann. Da Geringverdiener kaum oder nicht Steuern zahlen, muss man dann über Sozialversicherungen nachdenken.

    Schütte: Das würde auch bedeuten, beispielsweise den Spitzensteuersatz etwas anzuheben, um das auszugleichen. Damit belasten Sie dann wiederum den Mittelstand.

    Poß: Das kann eine Überlegung sein, die Sie da zitieren. Aber das setzt dann in der Tat voraus, dass man einen Tarif so schneidet, dass der Spitzensteuersatz dann nicht schon einsetzt bei Alleinstehenden bei 52.000 Euro. Man muss diese Dinge im Zusammenhang sehen und deswegen bin ich auch dagegen, dass jeder punktuell sich einen Punkt rausnimmt und dann irgendwelche Aussagen trifft. Das Schwierige besteht darin, die Dinge zu bündeln und ein schlüssiges Konzept daraus zu entwickeln: Finanzierung von Zukunftsaufgaben, solide Finanzen im Interesse der nachfolgenden Generation und notwendige Entlastung bei Steuern und Sozialversicherung.