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"Gnade gehört zu unserem Recht"

Der FDP-Politiker Klaus Kinkel hat die mögliche Freilassung der RAF-Terroristen Klar und Monhaupt verteidigt. "Das Recht der Gnade bei Klar und das Recht zur Strafaussetzung zur Bewährung gehört nun mal zu unserem Rechtssystem", sagte Kinkel. Zugleich zeigte er aber Verständnis für Angehörige der Terror-Opfer, die in dieser Frage eine andere Haltung einnehmen.

Moderation: Stefan Heinlein |
    Stefan Heinlein: Freiheit auf Bewährung. Schon die Ankündigung der möglichen vorzeitigen Haftentlassung von Brigitte Mohnhaupt sorgte für heftige Kontroversen. Nun wird dieses Thema konkret. Das Stuttgarter Oberlandesgericht gibt in wenigen Stunden seine Entscheidung bekannt. Es gibt kaum Zweifel, wie diese Entscheidung ausfallen wird. Nach Ablauf ihrer Mindesthaftdauer von 24 Jahren wird die ehemalige RAF-Terroristin Ende März wohl auf freien Fuß kommen.

    Am Telefon begrüße ich jetzt den ehemaligen Bundesaußenminister Klaus Kinkel (FDP), zuvor Anfang der 90er Jahre Justizminister im Kabinett von Helmut Kohl. Guten Morgen Herr Kinkel!

    Klaus Kinkel: Guten Morgen!

    Heinlein: Haben Sie Zweifel, wie die Entscheidung der Stuttgarter Richter heute ausfallen wird?

    Kinkel: Ich gehe auch davon aus, dass bei Frau Mohnhaupt heute vom OLG Stuttgart die Reststrafe zur Bewährung ausgesetzt wird.

    Heinlein: Muss Brigitte Mohnhaupt entlassen werden, egal wie sie sich zu ihrer Vergangenheit stellt, ob sie ihre Taten nun bereut oder nicht?

    Kinkel: Die Frage, ob sie bereut, ob sie sich entschuldigt bei den Angehörigen, das alles wäre ungeheuer wünschenswert, ist aber eine moralische Kategorie, die für die Rechtsentscheidung nicht unbedingt eine Rolle spielt. Ich vertraue da den Richtern des Oberlandesgerichts. Wenn Frau Mohnhaupt in den bisherigen Anhörungen gezeigt hätte, dass sie auf dem beharrt, was sie an Schrecklichem getan hat, dass sie keine Reue zeigt, dass sie kein Mitleid mit den Angehörigen hat, dann gehe ich davon aus, dass die Richter die Strafe nicht zur Bewährung aussetzen werden. Da sollten wir auf das Gericht vertrauen.

    Heinlein: Moral, Herr Kinkel, spielt aber für die Bevölkerung durchaus eine Rolle. In Umfragen zumindest spricht sich mehr als die Hälfte der Bundesbürger gegen eine Haftentlassung von Brigitte Mohnhaupt aus. Darf dies die Entscheidung der Richter beeinflussen?

    Kinkel: Wir wollen in der Tat zunächst nicht vergessen, dass sowohl Brigitte Mohnhaupt als auch Christian Klar, auf den wir ja sicher gleich noch zu sprechen kommen werden, schreckliche Taten begangen haben. Niemand weiß das besser als ich, der ich viele Jahre ja beruflich mit dieser Frage zu tun hatte: als BND-Präsident, als Justizstaatssekretär, als Justizminister und auch schon damals im Innenministerium. Ich habe größtes Verständnis dafür und respektiere, dass die Mehrheit der Bevölkerung das so sieht, wie es ganz offensichtlich bei den Umfragen zum Ausdruck kommt, und ich habe noch größeres Verständnis dafür, dass die Angehörigen sehr, sehr betroffen sind. Ich wüsste nicht - ich habe das mehrfach erklärt -, wie ich selber reagieren würde, wenn ich betroffen wäre. Aber das Recht der Gnade bei Klar und das Recht zur Strafaussetzung zur Bewährung gehört nun mal zu unserem Rechtssystem. Deshalb ist das etwas, was berücksichtigt werden muss. Es gibt ja wie angeführt die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts. Man kann da verschiedener Meinung sein. Ich bin der Überzeugung, dass es richtig ist, jetzt nach 24 beziehungsweise bei Mohnhaupt 29 Jahren Haft ihr die Chance zu geben, in die Gesellschaft zurückzukehren. Dasselbe gilt für Christian Klar, wenn es um die Begnadigung durch den Herrn Bundespräsidenten geht.

    Heinlein: Sie haben Recht: über Christian Klar werden wir gleich sprechen. Zuvor noch ein Wort zu den Opfern und Angehörigen. Muss man nicht mehr an sie denken als an die Täter? Die Täter haben ja unser Rechtssystem missachtet und bekämpft und wollen jetzt davon profitieren.

    Kinkel: Ja. Man muss ganz, ganz stark an die Angehörigen denken. Auch da wiederhole ich noch mal, dass ich selber weiß wovon ich rede. Es muss aber im Endeffekt dann eben nach so langen Jahren der Buße so sein, dass nach unserem Rechtssystem der Staat, der ja Gewaltmonopolinhaber ist, das heißt der straft, eben auch sagt, jetzt ist Zeit genug gebüßt, wir wollen und dürfen nicht rächen. Der Staat steht dann sozusagen zwischen Täter und Opfer. Das ist eine ganz schwierige Situation, die insbesondere für die Angehörigen ganz, ganz schwer verstehbar ist. Nochmals: ich verstehe das in ganz besonderer Weise.

    Heinlein: Herr Kinkel, nach ihrer Entlassung wird Frau Mohnhaupt von vielen Redaktionen und Talkshows wohl angefragt werden als Gesprächspartnerin. Dies wird für die Angehörigen sehr, sehr schwer zu ertragen sein. Gibt es irgendwelche Möglichkeiten, dies zu verhindern?

    Kinkel: Ich hoffe sehr, dass Frau Mohnhaupt das nicht tut. Ich habe sie ja selber im Gefängnis damals besucht. Ich habe sie erlebt nach der Verurteilung. Ich hoffe sehr, dass sie das nicht tut und insbesondere auf die Gefühle der Angehörigen Rücksicht nimmt. Ich meine man wird es ihr nicht verbieten können. Da gibt es keine rechtliche Möglichkeit. Ich hoffe aber sehr - ich sage es mit großem Nachdruck -, dass das nicht geschieht.

    Heinlein: Kommen wir, Herr Kinkel, auf Christian Klar zu sprechen. Hat die wahrscheinliche Entlassung von Brigitte Mohnhaupt heute irgendwelchen Einfluss auf die Entscheidung des Bundespräsidenten mit Blick auf Christian Klar? Er muss ja über ein Gnadengesuch entscheiden.

    Kinkel: Das ist etwas anderes. Klar sitzt seit 24 Jahren. Nach 26 Jahren, das heißt in zwei Jahren, käme sowieso die normale Überprüfung bei ihm. Nun ist es so, dass er in seinem Gaus-Interview - das ist etwas, was für mich bei meiner Beurteilung nicht unwichtig ist - bereits einen physisch und psychisch angeschlagenen Eindruck gemacht hat. Man muss ja sehen, dass das Gnadengesuch nicht erst jetzt vorliegt, sondern es lag bereits Bundespräsident Rau vor. Man darf auch nicht vergessen, dass RAF-Angehörige, die wegen gleicher oder ähnlich schwerer Straftaten verurteilt worden sind, von Bundespräsident Herzog und Bundespräsident von Weizsäcker bereits begnadigt worden sind. Bei Klar gilt: so wie ich seine physische und psychische Verfassung einschätze - wie gesagt ich kann das nicht direkt beurteilen, nur indirekt -, bin ich der Meinung, dass nach 24 Jahren die Rückkehr in die Gesellschaft für ihn ermöglicht werden sollte. Es geht keine Gefahr mehr von ihm aus. Das ist rechtlich praktisch allein entscheidend. Niemand sitzt lebenslänglich, es sei denn in Sicherheitsverwahrung, und nochmals: Gnade gehört zu unserem Recht.

    Heinlein: Spielt denn bei der Bewertung dieses Gnadengesuches die Kooperationsbereitschaft, die Reue eine Rolle für die Entscheidung des Bundespräsidenten? Hier liegen ja die Dinge durchaus anders als bei Brigitte Mohnhaupt.

    Kinkel: Ja, das spielt natürlich eine Rolle und auch da vertraue ich dem Herrn Bundespräsidenten. Wenn er über das Gnadengesuch entscheidet - das steht ja noch nicht fest, ob positiv oder negativ und ob er überhaupt entscheidet -, vertraue ich ihm auch. Er wird alles ausschöpfen und alles möglich machen, um die persönliche Situation, die Einsichtsfähigkeit, die Reuefähigkeit, die Anteilnahme an dem Schrecklichen, was den Angehörigen geschehen ist, zu überprüfen. Auch da kann ich nur sagen: Wenn es denn so wäre, dass der Bundespräsident, wenn er entscheidet, zu dem Ergebnis kommt Klar ist uneinsichtig, Klar zeigt keinerlei Reue, dann wird er ihn eben für meine Begriffe nicht begnadigen. Im Übrigen hat ja Klar, wenn ich das richtig sehe, in Briefen an Bundespräsident Rau Reue gezeigt. Er hat gesagt, dass er bestimmte Dinge bedauert, so weit ich das in den Medien nachlesen konnte. Ich glaube nicht, dass man von Mohnhaupt oder Klar eine Presseerklärung, um das mal deutlich zu sagen, nach draußen erwarten kann, wo all diese Dinge zum Ausdruck kommen. Die Richter des OLG und der Bundespräsident werden das zu prüfen haben und denen sollten wir Vertrauen schenken.

    Heinlein: Der ehemalige Bundesjustizminister Klaus Kinkel heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Herr Kinkel, ganz herzlichen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören!

    Kinkel: Bitte schön! Auf Wiederhören!