Dienstag, 16. April 2024

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Graphic Novel über Computerpionier
"Mich hat Turings verrückte Persönlichkeit fasziniert"

Alan Turing war nicht nur ein großer Wissenschaftler, sondern auch ein Homosexueller, der in den 1950er-Jahren mit Hormonen auf den "rechten Weg" gezwungen werden sollte. Der Zeichner Robert Deutsch spricht im DLF darüber, wie er diese Spannung in seiner biografischen Graphic Novel umgesetzt hat.

Robert Deutsch im Corsogespräch mit Sören Brinkmann | 29.12.2016
    Robert Deutsch
    Robert Deutsch schrieb und zeichnete Turings Biografie als Graphic Novel (Robert Deutsch/Copyright Yvonne Most)
    Sören Brinkmann: Alan Turing gilt als einer der ganz großen Wissenschaftler des 20. Jahrhunderts, wegen seiner Leistungen als Informatiker und als einer, der zur Entschlüsselung der Enigma-Kodiermaschine der Nazis maßgeblich beigetragen hat. Sein Leben wird jetzt beleuchtet in einer Graphic Novel, geschrieben, gezeichnet, gestaltet von Robert Deutsch. Und mit dem bin ich in Halle verbunden. Guten Tag, Herr Deutsch!
    Robert Deutsch: Guten Tag, Herr Brinkmann!
    Brinkmann: Dieses Buch, Ihre Graphic Novel – am Ende steht ein Bild eines angebissenen Apfels. Erinnert stark natürlich an das Logo einer bekannten Computerfirma. Da habe ich mich gefragt, warum dieser Schlusspunkt? Soll das so zeigen, dass Alan Turing irgendwie der Vater unserer heutigen elektronischen Geräte war?
    Deutsch: Ja, so kann man das ungefähr auffassen. Ich habe den Apfel ja am Ende auch noch mal gespiegelt. Also, es ist nicht genau derselbe Apfel, aber es ist natürlich die Assoziation, der man da begegnet. Den Apfel als das Medium, also das Logo, das überall auf den Mobilgeräten momentan drauf ist und zu dieser modernen Kommunikationstechnik beigetragen hat. Und ich fand, das war oder ist ein schöner Schlusspunkt. Es ist jetzt auch nicht bewiesen, dass Apple den Apfel deswegen verwendet hat, aber ich denke mal, dass es schon ein Symbol dafür ist, für die heutigen Medien.
    Brinkmann: Und auf traurige Weise auch Schlusspunkt im Leben von Alan Turing, denn mit diesem Apfel hat er sich, so sieht es eben aus, das Leben auch genommen.
    Turings Leben mit Schneewittchen-Analogie
    Deutsch: Ganz genau. Deswegen auch dieses Symbol am Ende. Dass er diesen Apfel von Schneewittchen – deswegen gibt es ja auch die Assoziation, die Analogie in meiner Geschichte zu Schneewittchen –, also er hat den Apfel in Cyanid getaucht, und deswegen habe ich eben dieses Symbol eben auch am Ende des Buches verwendet.
    Brinkmann: Dieses Leben von Alan Turing, das eben dann in den frühen 50er-Jahren endete, als er sich das Leben genommen hat, dieses Leben von Alan Turing, das wurde jetzt gerade vor Kurzem verfilmt. Es gab diesen Film mit Benedict Cumberbatch, der einen Oskar bekommen hat, "Imitation Game", passend dazu auch eine neue Biografie, jetzt Ihre Graphic Novel – was würden Sie sagen, was ist da Ihre Erklärung, dass Alan Turing gerade jetzt auch so viel Aufmerksamkeit bekommt?
    Deutsch: Er hatte ja vor gar nicht allzu langer Zeit, ich glaube, sechs Jahre ist es nun her oder fünf, hundertsten Geburtstag gehabt, und da gab es natürlich eine ganze Reihe von Informationen, die auf einen eingebrochen sind, über Alan Turing, über sein Leben, und da bin ich eben auch darauf aufmerksam geworden, und da war ich natürlich auch nicht der Einzige, der dann da angesetzt hat und gesagt hat, es gibt einfach zu wenig über ihn, egal, in welcher Form. Es gibt Ansätze im Comic, aber meistens nicht mit seinem Namen, und immer stellvertretend mit anderen Namen. Und deswegen habe ich mir gedacht, jetzt ist es an der Zeit, einfach auch seinen Namen vorne dran zu schreiben und die Geschichte zu erzählen, wie sie wirklich war.
    "Auch seine Homosexualität war für mich ein wichtiger Punkt"
    Brinkmann: Was in seinem Leben hat Sie da auch beeindruckt oder fasziniert?
    Deutsch: Fasziniert hat mich einmal das Genie Alan Turing, dann auch seine Persönlichkeit, auch eine ziemlich verrückte Persönlichkeit. Allein den Gedanken zu fassen, künstliche Intelligenz zu entwickeln aus einer emotionalen Entscheidung heraus, und auch seine Homosexualität natürlich, die ja auch ganz groß an die Glocke gehangen wurde, eben auch zu seinem Geburtstag. Das war auch der ausschlaggebende Punkt gewesen, mich damit zu befassen.
    Brinkmann: Sie haben jetzt ein paar Schlaglichter schon geworfen auf das Leben. Er hat eben teilgenommen oder er war maßgeblich daran beteiligt, dass diese Enigma-Kodiermaschine entschlüsselt wurde während des Zweiten Weltkriegs, ist dann ins Visier des Geheimdienstes geraten, eben weil er homosexuell war, und hat sich in den frühen 50er-Jahren das Leben dann genommen. Er wurde depressiv auch wegen der Hormonbehandlung, die angeordnet wurde. Auch das wurde ja zum Beispiel verarbeitet in diesem schon angesprochenen Film, "Imitation Game". War dieser Film für Sie dann auch irgendeine Art von Inspirationsquelle oder Informationsquelle?
    Deutsch: Ich habe ja vor fünf Jahren angefangen mit meiner Recherche über Alan Turing, bin auf die Biografie von Andrew Hodges gestoßen, habe die gelesen, und habe dann natürlich immer weiter recherchiert, und ich glaube, ich hatte ein halbes Jahr schon dran gearbeitet, ich hatte mein Storyboard fast fertig gehabt, die Geschichte geschrieben, und dann bin ich eben darüber gestolpert, dass dieser Film auch in Produktion ist mit Cumberbatch, und war natürlich dann erst mal entrüstet, aber dachte mir auch, Film und Graphic Novel sind zwei völlig unterschiedliche Medien, und deswegen ist das auch keine Gefahr.
    Von einem Schlüsselmoment zum nächsten
    Brinkmann: Und wie sind Sie da rangegangen? Wie setzt man so ein Leben um als Graphic Novel?
    Deutsch: Ich habe mir erst mal ganz viele Schlüsselmomente rausgeschrieben aus seinem Leben, habe eine schöne Übersicht gemacht und habe mich dann von einem Schlüsselmoment zum nächsten, der mir wichtig erschien in seinem Leben, ein Konstrukt gebaut und habe mich dann eben daran entlang gehangelt und eben diese Geschichte dann so verfasst, wie sie jetzt am Ende im Buch dann auch zu lesen ist.
    Brinkmann: In kunstvoll die 50er-Jahre evozierenden Acrylbildern, so schreibt das der Journalist Lars von Törne. Finden Sie da Ihre Arbeit wieder?
    Deutsch: Auf jeden Fall. Die 50er-Jahre faszinieren mich sowieso sehr, auch von der Ästhetik her, von der Farbsprache her, und deswegen war das natürlich für mich auch ein gefundenes Fressen gewesen in dieser Zeit, und auch die Ästhetik einfach, die mich sehr angesprochen hat. Ich habe natürlich auch eine eigene Formästhetik mit eingebracht, die sich immer anlehnt an die Fünfziger, das ist immer dieses Abgerundete und, ich möchte jetzt nicht sagen nierentischartige, aber schon eine sehr skurrile Welt, fand ich, in der vieles noch nicht ganz sicher war vielleicht.
    Brinkmann: Ist das denn eine Formsprache, die Sie eben an diese 50er-Jahre anpassen wollen, oder ist das Ihre eigene Formsprache, die Sie jetzt auch entwickeln?
    Deutsch: Das ist schon ein Teil meiner eigenen Formsprache, die da mit einfließt, auf jeden Fall. Natürlich auch angelehnt an die Fünfziger, aber da fließt auch sehr viel eigene Formsprache mit ein.
    Brinkmann: Das ganze Projekt ist eigentlich entstanden aus Ihrer Abschlussarbeit heraus. Das ist jetzt Ihr Debüt auch, diese Graphic Novel, die erscheint. Wie schwierig ist es, sich als Newcomer einen Namen zu machen?
    Deutsch: Das wird sich zeigen. Man arbeitet ja schon eine ganze Weile dran, dass man sich einen Namen macht. Man illustriert für Zeitschriften und ist natürlich auch in den sozialen Medien unterwegs, die nicht zu unterschätzen sind. Und man verknüpft sich ja da auch untereinander international, lernt sich kennen, begegnet sich dann auch auf Festivals oder jetzt eben in Leipzig, wo ja auch einige meiner Kollegen wohnen. Und ich würde sagen, es geht langsam, Schritt für Schritt voran.
    Brinkmann: Helfen denn da Preisnominierungen? Immerhin gehörten Sie zu den Finalisten des Comic-Buchpreises.
    Deutsch: Auf jeden Fall. Allein, dass man dort eingeladen wird und Leute kennenlernt und Verknüpfungen machen kann in alle mögliche Richtungen, das hilft schon sehr. Man kann natürlich auch sehr gut damit hausieren gehen, dass man nominiert wurde für verschiedene Preise, und taucht halt auch immer wieder irgendwo auf.
    Brinkmann: Abgesehen von dem biografischen Blick auf Alan Turing, wenn man den großen Blick auf die Welt wirft, was sind denn da Themen, die Sie ganz besonders interessieren, möglicherweise auch für künftige Arbeiten?
    Deutsch: Im Groben gefasst, geht es mir natürlich sehr viel in meinen Arbeiten auch um Humor, um Sarkasmus, aktuelle Themen zu verarbeiten und eben meinen subjektiven Blick auf die Dinge.
    Brinkmann: Wieso Sarkasmus? Für künstlerische Verarbeitung?
    Deutsch: Auf jeden Fall. Das ist natürlich eine schöne Art und Weise, mit der Realität auch umzugehen und ein anderes Licht auf die Realität zu werfen oder auch auf Missstände aufmerksam machen zu können. Und ich denke, dass man eben mit Humor da sehr viele Leute erreicht.
    "Graphic Novels sind künstlerisch freier als Comics"
    Brinkmann: Was zeichnet Graphic Novels aus, und wie ist es bestellt um die Szene in Deutschland?
    Deutsch: Die Graphic Novel zeichnet aus, dass es einfach auch einen anspruchsvollen literarischen Background gibt, mit dem man sich befasst und den eben zeichnerisch umsetzt. Und ich denke, dass –
    Brinkmann: Dass es mehr ist als Comic.
    Deutsch: Dass es mehr ist als Comic auf jeden Fall, so sehe ich das auch. Es ist, finde ich, fast künstlerischer oder künstlerisch freier als der Comic – das ist meine Meinung. Und ich denke, dass die Szene in Deutschland immer mehr am Wachsen ist, immer mehr Kollegen bringen eben auch Bücher in Form einer Graphic Novel heraus. Und irgendwo muss es den Markt ja auch geben, wenn die Nachfrage da ist. Man wird ja auch verlegt, nicht wahr?
    Brinkmann: Wie ist das im Vergleich zu anderen Ländern? Also, wenn man an die USA denkt, wo es ja auch eine ganz lange Comic- oder Graphic-Novel-Tradition gibt?
    Deutsch: Ja, das ist das Land des Comics. Da floriert das natürlich auf eine andere Art und Weise, und ich glaube, dass die Leute da ein bisschen mehr ein Gefühl für das gezeichnete Bild haben oder die Narration im Bild, als hier in Deutschland. Obwohl Deutschland ja eigentlich auch sich nicht verstecken muss. Feininger fing ja damit auch schon an. Und das wissen natürlich viele nicht, dass er auch Comics gezeichnet hat. Das ist natürlich irgendwann untergegangen und wird jetzt auch wiederentdeckt. Also ich habe Feininger für mich entdeckt und muss sagen, der hat dann eben auch viel für die USA oder viel für amerikanische Zeitschriften –
    Brinkmann: Weil er dann eben in die USA gehen musste.
    Deutsch: Genau. Illustriert, und deswegen wissen es viele Deutsche nicht. Und ich glaube, dass die Amerikaner da eben auch einen anderen Fokus drauf haben als wir Deutsche.
    Brinkmann: Robert Deutsch. Seine Graphic Novel über Alan Turing, die erscheint im kommenden März. Ihnen ganz herzlichen Dank für das Gespräch!
    Deutsch: Ich danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.