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Gregor Sander: „Alles richtig gemacht“
Rotzige DDR-Reste

Thomas und Daniel wachsen in den 80er-Jahren in Rostock auf. Hier erleben sie den Mauerfall, ziehen bald gemeinsam nach Berlin. Leicht, witzig, aber nie trivial schreibt Gregor Sanders in "Alles richtig gemacht" ihre Lebensläufe auf – und zeigt einen Abriss der jüngeren deutsch-deutschen Geschichte.

Von Christoph Schröder | 18.09.2019
Gregor Sander steht am Meer und lächelt in die Kamera.
Auch sein neuer Roman illustriert die großen Zusammenhängen und Entwicklungen in der deutsch-deutschen Geschichte ganz konkret: der 1968 in Schwerin geborene Autor Gregor Sanders (Thorsten Futh)
Dr. Thomas Piepenburg hat bis vor kurzem ein sozial erfolgreiches Leben als bürgerlicher Aufsteiger geführt: Er lebt in einer riesigen Berliner Stadtvilla, der ehemaligen Ostberliner Botschaft des Staates Libyen im nördlichen Prenzlauer Berg. Er ist Partner in einer kleinen, aber durchaus florierenden Anwaltskanzlei. Seine Frau Stephanie führt eine Galerie. Die gemeinsamen Zwillingstöchter sind gerade in der Frühpubertät. Es hätte schlimmer kommen können.
Im Dienst eines Miethais
Doch Thomas Piepenburgs Existenz ist erschüttert: Seine Frau hat ihn verlassen und die beiden Töchter mitgenommen; er selbst weiß gar nicht so recht, warum. Thomas trinkt zu viel, raucht zu viel und hat zudem einen unangenehmen Klienten am Hals: Einen vulgären Investor, in dessen Auftrag Thomas Altmieter aus Berliner Wohnungen herausdrängen und somit die Gentrifizierung vorantreiben soll. Genau das ist der Augenblick, in dem nach vielen Jahren wie aus dem nichts Daniel Rehmer wieder auftaucht.
Gregor Sanders Roman läuft auf zwei Zeitschienen: In der Gegenwart begleitet Sander Thomas Piepenburg durch seinen mühseligen Berliner Berufs- und Beziehungsalltag. Die zweite Zeitebene setzt ein in den frühen 1980er-Jahren. Genau gesagt an jenem Tag, an dem der zwölfjährige Daniel in einer Schule in Rostock in Thomas‘ Klasse kommt und die beiden beginnen, sich einander anzunähern.
Bröckelnde DDR
Die Milieus, aus denen die beiden Jungen stammen, könnten trotz des sozialistischen Gleichheitsgedankens nicht unterschiedlicher sein: Während in der Stadtvilla von Thomas' Eltern ein großbürgerlicher Habitus gepflegt und heimlich Uwe Johnson und Walter Kempowski gelesen wird, stammt Daniel aus prekären Verhältnissen. Er wird von seiner noch sehr jungen und schönen Mutter, um die sich wilde Gerüchte ranken, alleine großgezogen und haust mit ihr in einem Umfeld, in dem sich im Kleinen bereits der Verfall eines ganzen Systems ablesen lässt:
"Die DDR ging in den späten Achtzigerjahren in die Knie, und in diesem Viertel lag sie schon am Boden. Die Häuser waren völlig heruntergekommen, der Putz bröckelte nicht, er war schon ab. Wer hier wohnte, bekam entweder keine andere Wohnung oder besetzte einen der vielen Leerstände. Der Staat hatte längst die Übersicht verloren. Arbeiter, Studenten, Rentner und Alkis teilten sich das Viertel."
"Alles richtig gemacht" ist eine ungemein unterhaltsame Lektüre. Das hat mehrere Gründe: Zum einen kann Gregor Sander Schauplätze, Straßen und Gebäude so beschreiben, dass sie Verweischarakter gewinnen. Wenn sich seine Figuren über drei Jahrzehnte hinweg durch Berlin bewegen, entsteht eine anschauliche Stadtsoziologie; ein Bild des stetigen Wandels, Abrisses, Umbaus, Neubaus. Vor allem aber verschwinden Provisorien der unmittelbaren Nachwendezeit. Die Erkenntnis, dass die Menschen heutzutage nach Berlin-Mitte ziehen wollen, um dort zu leben wie in einem Vorort von Hannover, ist zwar nicht neu, aber gut formuliert.
Zudem gelingt es Sander, in der Sprache seiner Figuren eine Mischung aus ostalgischer Heimeligkeit und authentischem Jargon zu erzeugen. Sicher, vielleicht wird das ein oder andere Mal zu oft "ein Bier geknackt" oder "eine Zigarette aus der Tasche gefummelt". Doch insgesamt trotzt der Sound des Romans rotzig den sich verändernden Verhältnissen.
Historie fließt durch die Figuren
Vor allem aber, und das ist die größte Stärke des Romans, lässt Sander den Lauf der Geschichte durch seine Figuren hindurchfließen. Historische Ereignisse werden nicht plakativ an Charaktere angeheftet, sondern geschehen einfach so, zeigen mal mehr und mal weniger Wirkung, erfordern aber stets eine individuelle Reaktion. Ein einschneidendes Erlebnis sowohl für Thomas als auch für Daniel sind die Pogrome in ihrer Heimatstadt Rostock im August 1992:
"Als der Mob in Lichtenhagen das Sonnenblumenhaus anzündete, als sie die Vietnamesen, Jugoslawen, Rumänen und Afrikaner jagten und Brandbomben unter dem Applaus der Nachbarn in die Fensterscheiben warfen, waren wir in Markgrafenheide. Kerstin und ich hatten zwei Wochen Ferien am Stück. Es war still und friedlich auf dem Zeltplatz, während ein paar Kilometer weiter Menschen Menschen umbringen wollten und andere Menschen ihnen dabei zusahen und applaudierten."
Kurz darauf wird Daniel von einer Horde Skinheads auf der Straße zusammengeschlagen und schwer verletzt. Das ist das Signal für die beiden Freunde, Rostock zu verlassen und in Berlin den Versprechungen einer offenen Zukunft zu folgen. Von nun an begleitet Gregor Sander die mäandernden Lebensläufe der beiden Freunde, wobei er stets in der Ich-Perspektive von Thomas erzählt. Auf diese Weise wird Daniel zu einer schwer zu fassenden, unstet durch Zeit und Raum schlingernden Figur, die immer mal wieder auf- und dann auch wieder abtaucht: Kochlehre, Auslandsaufenthalt und schließlich ein höchst riskantes und illegales Manöver auf dem Kunstmarkt, in das auch sein alter Freund Thomas verwickelt ist.
Partystimmung in Berlin
Der wiederum schmeißt sein Germanistikstudium, wendet sich den Rechtswissenschaften zu, lernt erst Kerstin und über sie ihre Freundin Stephanie kennen, die alle wegen ihres Nachnamens Krug nur "Manne" nennen. Echter DDR-Humorrestbestand. Es ist die Stimmung der Berliner 90er-Partyjahre, die Sander auch einfängt, die Verheißung auf ein kreatives, nicht von ökonomischen Zwängen bestimmtes Leben, dessen Ende nicht absehbar ist:
"Wenn wir gemeinsam ausgingen, landeten wir zum Schluss oft im Boudoir in der Brunnenstraße, auf den breiten Sofas in diesem dunklen Laden, durch den die Musik waberte wie etwas Flüssiges. Mit Kruder und Dorfmeister als Wasserbett. Die Mädchen tanzten, ich tanzte, wir alle tanzten oder hingen in den Kissen und sahen den anderen dabei zu. Tranken, rauchten, versanken in der Zeit."
"Alles richtig gemacht" ist ein heiteres Buch, das aber keinesfalls die Wendeopfer aus den Augen verliert: Thoma' Vater nimmt sich, das wird wie nebenbei erzählt, das Leben, weil alle Investitionen in seinen Drogerieladen vergeblich sind und die neuen Großketten ihn in den Ruin treiben.
Keiner der Lebensläufe, das darf man bei aller Munterkeit des Tonfalls nicht übersehen, verläuft bruchlos. Aber Gregor Sander gelingt es, über alle Sprünge hinweg den großen Bogen seiner Erzählung über ein ungleiches Freundespaar zu einem halbwegs versöhnlichen Ende zu schlagen. Sanders Roman ist leicht, witzig, aber nie trivial. Das muss ein Autor erst einmal hinbekommen.
Gregor Sander: "Alles richtig gemacht"
Penguin Verlag, München, 240 Seiten, 20 Euro