Dienstag, 14. Mai 2024

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Grenzland Griechenland (3/5)
Zum Auftanken nach Bulgarien

Essen, trinken, tanzen - fast alles zum halben Preis. Viele Griechen zieht es über die Grenze ins bulgarische Ivajlowgrad, um den Krisenalltag zu vergessen, einzukaufen und ein bisschen Spaß zu haben. Denn hier sind die Griechen die Reichen.

Von Panajotis Gavrilis | 21.02.2018
    Griechen essen und trinken in einer bulgarischen Gaststätte in Ivajlowgrad
    Viele Griechen kommen nach Ivajlowgrad, gehen essen und amüsieren sich (Dradio/ Panajotis Gavrilis)
    Shampoo, Decken, Obst, Gemüse, Socken, Kleidung: Sie können hier alles kaufen. Hier auf dem Markt in Ivajlowgrad. Auch relativ viel Schrott. Hier kommen eben Griechen von den benachbarten Dörfern und kaufen ein.
    "Die Leute finden hier günstige Sachen, warum sollten sie nicht hierher kommen. Einmal Volltanken kostet hier 40 Euro, in Griechenland zahlt man über 60. Es bleibt uns nichts anderes übrig. Wir Menschen an der Grenze sind dem griechischen Staat ja auch egal."
    Diese ältere griechische Dame kommt regelmäßig über die Grenze ins bulgarische Ivajlowgrad. Der kleine Markt ist für sie günstiger und näher dran als jeder andere auf griechischem Gebiet. Fast jeder zweite Besucher spricht Griechisch. So auch ein älteres Pärchen: Die beiden besitzen Baumwollfelder in Griechenland und wollen sich mit bulgarischen Feldarbeitern treffen.
    "Wir sind hier, um mit ihnen über den Sommer zu sprechen."
    "Die Griechen gehen gar nicht mehr auf die Felder. Und jetzt sind wir hier, um die Bauern zu besuchen, um Kontakt zu halten. Wir haben gute – fast freundschaftliche Beziehungen. Man vergisst sich fast – seit Sommer haben wir sie nicht mehr gesehen."
    Eine alte Frau geht über den Wochenmarkt von Iwajlowgrad in Bulgarien
    Auf den kleinen Wochenmarkt von Iwajlowgrad in Bulgarien kommen vor allem Griechen, um einzukaufen (Deutschlandradio / Panajotis Gavrilis)
    Fast nur griechische Auto-Kennzeichen in der Stadt
    Im bulgarischen Grenzstädtchen Ivajlowgrad leben knapp über 3.000 Menschen. Große Plätze und rechteckige Blockhäuser erinnern noch an kommunistische Zeiten.[*] Das Casino "Fire Gaming Club" mit blinkenden Leuchtbuchstaben oder das "Café Griechenland" sollen vor allem Gäste aus dem Nachbarland anlocken.
    "Jetzt gehen wir zum Hotel "Konstantin und Elena". Ich sehe hier fast nur griechische Kennzeichen. Man hört schon die Musik von draußen."
    Es ist Mittwochmittag, halb zwei. Ältere, griechische Männer leeren genüsslich ihre Tsipouro-Schnapsgläser und kauen an Fleischrippchen. Mit leichtem Dialekt singt eine bulgarische Frau auswendig gelernte griechische Liedzeilen ins Mikrofon. Eine Bauchtänzerin geht von Tisch zu Tisch, kreist ihre Hüfte vor den angetrunkenen Männern.
    "Ich bin Radka. Ich bin aus Bulgarien, ich bin aus Slivén. Ich bin Tänzerin, Bauchtänzerin."
    Radka spricht wenig Griechisch – aber genug, um mit den griechischen Gästen zu kommunizieren, betont sie. Hier sind die Griechen die Reichen – und sie müsse sich schließlich den Kunden anpassen.
    Abschalten, Krisenalltag vergessen, Spaß haben
    "Jede Woche, jeden Mittwochmittag, Freitag- und Samstagabend bin ich hier. Mit den Griechen gibt es keine Schwierigkeiten, im Gegenteil. Es ist gut für uns, dass Griechen da sind. Sie sind nett und wir haben eine gute Zeit! Keine Probleme – eben Balkanisch!"
    Ein Mann tanzt mit Zigarette im Mundwinkel, schwingt dabei seine Arme über dem Kopf. Seine Freunde werfen Servietten in die Luft, feuern ihn an. Er steckt Radka einen Fünfeuroschein an ihre Bluse. Abschalten, Krisenalltag vergessen, Spaß haben: Dafür kommt der 55-jährige Petros Sarandis hierher.
    "Es ist ein bisschen Unterhaltung, weil bei uns im Dorf alles so monoton ist. Unser Dorf ist klein, alle laufen mit gesenkten Köpfen und gebückter Haltung rum, alle haben Schulden, niemand redet miteinander. Meine Freunde und ich gelten noch als die Jüngeren des Dorfes. Wir wollen nicht so enden und deswegen kommen wir hier einmal im Monat hier her. Um rauszukommen, um unsere psychische Verfassung anzukurbeln."
    Der Frührentner kommt aus Mikro Derio, einem Dorf 50 Kilometer von Iwajlowgrad entfernt. Griechenland sei einfach zu teuer geworden – hier zahle er nur die Hälfte. Essen, Trinken, Singen und Tanzen kosten zehn Euro pro Person.
    "Hier sind nur Männer und im Dorf auch. Meine Freunde und ich sind unverheiratet. Aber um hier ein "Mäuschen" zu finden, wie wir bei uns im Dorf sagen, das ist zu weit für uns. Du musst Kilometer zurücklegen und mit der ganzen Krise ist das schwierig. Wir fahren lieber alle hierher, um uns zu amüsieren, ein bisschen Händchen halten gehört vielleicht auch dazu. Dann geht's aber wieder nach Hause, Zigaretten und Kartenspielen, damit die Zeit vergeht."
    Griechenlands vergessene Grenzregion
    Petros Sarandis fühlt sich vom griechischen Staat vergessen. Wer durch das Grenzgebiet fährt, sieht was er meint: verlassene Fabriken und Häuser, abgelegene Dörfer und zum Teil aufgerissene Nebenstraßen.
    Diese Region scheint unter den verordneten Sparpaketen in Griechenland am meisten zu leiden. Politiker? Kommen nur vorbei, wenn Wahlen bevorstehen, kritisiert er:
    "Es gibt keine Arbeit, unsere Parlamentsabgeordneten, die bei uns waren, haben keine großen Projekte an Land gezogen, um junge Leute zu halten. Die sind logischerweise dann abgehauen. Die Politiker sollen mal in die abgelegenen Dörfer kommen. Um zu sehen, was es für Probleme gibt, wo sie helfen könnten, vielleicht eine Fabrik bauen zu lassen. Auch wir gehören zu Griechenland und nicht nur Peloponnes, Kreta oder Athen. Sie isolieren uns und tun so, als gäbe es uns nicht. Bald nennen sie uns nur noch Türkei und Bulgarien. Das geht nicht!"
    Bulgarinnen singen Lieder aus seiner Region in einem bulgarischen Hotelrestaurant voller griechischer Rentner. Ja, das mag absurd wirken, meint Petros Sarandis. Für ihn ist es aber normal und er ist froh: Das gibt uns so etwas wie Würde, fügt er hinzu, ehe er im Halbkreis Hände haltend mit Radka und seinen Freunden weitertanzt.

    [*] Anmerkung der Redaktion: An dieser Stelle ist in der Audio- und Sendefassung die Rede von "sowjetischen Zeiten". Das haben wir in der Textfassung zu "kommunistische Zeiten" korrigiert. Bulgarien war zwar ein Verbündeter der Sowjetunion, gehörte aber nicht zu deren Staatsgebiet.