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Grenzland Griechenland (4/5)
Idomeni zwischen Makedonien und Mazedonien

Die Griechen wollen Mazedonien nicht Mazedonien nennen. Seit 1991 streiten die beiden Länder um den Namen. An der griechisch-mazedonischen Grenze liegt auch Idomeni. Das Flüchtlingscamp ist weg und aus dem lebendigen Ort ist wieder ein trostloses Dorf geworden.

Von Panajotis Gavrilis | 22.02.2018
    Auf einen Schild steht in Englisch und Arabisch "Kaffee, Drink, Restaurant"
    Ein Schild erinnert noch an die Zeit, als in Idomeni Tausende Flüchtlinge lebten (Dradio/ Panajotis Gavrilis)
    "Vernichtet sie! Missachtet sie! Kauft sie!", hetzt dieser Radiomoderator gegen das Nachbarland Mazedonien, das sich nach griechischer Lesart so nicht nennen darf. "Mazedonien ist griechisch!", rauscht es durchs Radio. Die Hörer sollten einem Restaurant "Besuch abstatten", da sich griechische "Verräter und Skopjaner" dort aufhalten würden, so der Moderator. Skopjaner – so nennen Griechen ihre Nachbarn der "ehemaligen jugoslawischen Republik Mazedonien", wie es offiziell heißt.
    Der griechische Radiomoderator ruft vor allem die grenznahen Dörfer dazu auf, gegen einen Namenskompromiss auf die Straße zu gehen.
    Idomeni ist so ein Grenzdorf. Ein paar Häuser, eine Kreuzung und ein kleines, geschlossenes Postamt. Der kalte Wind peitscht mit 70 Kilometern die Stunde über die weiten Felder. Daneben schwingt ein ausgeblichenes Schild mit arabischen Buchstaben. Wer nach Menschen sucht, findet sie in der Taverna neben dem Bahnhof, der gerade renoviert wird.
    "Alle Migranten nannten Skopje Mazedonien und ich korrigierte alle: Es heißt nicht Mazedonien, es heißt Skopje. Hier ist Mazedonien!", sagt Köchin Alexandra von der einzigen Taverna in Idomeni.
    Die 50-Jährige fährt regelmäßig, aber mit gemischten Gefühlen nach Gevgelija, zur Grenzstadt auf der anderen Seite.
    "Wir hatten nie ein Problem mit ihnen. Aber ... OK, die haben jetzt auch Interessen und wir fahren wie die Blöden und füllen noch ihre Taschen. In den Casinos, beim Supermarkt, beim Tanken. Denen kann es ja egal sein, die kassieren ja durch uns."
    Namensstreit um Mazedonien
    Seit 1991 streiten die beiden Länder um den Namen "Mazedonien". Griechenland möchte nicht, dass das Nachbarland wie die eigene Nordregion Makedonien heißt und befürchtet territoriale Ansprüche. Zudem wollen die Griechen den Namen "Mazedonien" als kulturelles Nationalerbe einzig für sich beanspruchen. Deswegen blockierten sie jahrelang den Beginn von EU-Beitrittsgesprächen und die Nato-Mitgliedschaft des Nachbarlandes.
    "Wir befinden uns an der Stelle, wo wir vor knapp eineinhalb Jahren etwa 15.000 bis 16.000 Flüchtlinge und Migranten zu Gast hatten. Das ist die naheste Stelle an der Grenze zu Skopje. Es gibt mittlerweile nichts außer dem Stacheldrahtzaun, der damals von den Skopjanern errichtet wurde, als sie die Grenze dichtgemacht haben. Die Menschen konnten nicht mehr rüber, um ihren Traum von Europa zu erfüllen."
    Idomeni - das Leben ist wieder wie früher
    Xanthoula Soupli, Kommunalverwalterin der Gemeinde Idomeni steht direkt vor dem Grenzgraben. 20 Meter weiter weht eine große gelbrote Sonnenflagge, die Grenzpolizei läuft am Zaun entlang. Auf griechischer Seite patrouilliert in Frontex-Mission ein Bus der deutschen Bundespolizei. Xanthoula Soupli zeigt vor ihre Füße auf einen Müllhaufen aus Plastik, Holzpaletten und verrosteten Stangen: Nur diese Reste erinnern noch an die einstige Flüchtlings-Zeltstadt. Was ist aus dem Dorf geworden, das damals weltweit bekannt wurde?
    "Das Leben ist wieder so wie früher. Die Männer beschäftigen sich mit der Landwirtschaft, die Frauen mit dem Haushalt. Im Winter, wo es nicht so viel Arbeit gibt, drehen alle ihre Runden, trinken ihren Kaffee, diskutieren und gehen wieder nach Hause. Das ist der Alltag der Bewohner hier in Idomeni."
    Idomeni heute wirkt fast so, als wäre nichts gewesen, als hätte es die Tausende Camping-Zelte und die UNHCR-Container nie gegeben. Von 2015 bis zur Räumung des Flüchtlingscamps im Mai 2016 war hier ein chaotischer, aber ein lebendiger Ort.
    Wer jung ist, will so schnell wie möglich weg
    Für den 17-jährigen Thanassis ist es nun das, was es vorher schon war: ein trostloses 120-Seelen-Dorf.
    "Es ist sehr schwierig. Gerade, wenn ich nicht einfach woanders hinfahren kann. Ich habe nur während der Schule Kontakt mit meinen Freunden und hier mit meinem Handy. Es gibt hier kein Leben. Ich bin alleine. Ok, dann machst du mal eine Spazierfahrt, einmal, zweimal, zehnmal. Dann langweilt dich das dann auch irgendwann. Es ist jeden Tag das Gleiche."
    Thanassis ist der Sohn von Alexandra, der Köchin der einzigen Taverna in Idomeni. Während seine Eltern Mittagspause machen, hält er das Restaurant für zwei Gäste am Laufen. Manchmal, erzählt der Schüler, bringt er auch Essen ins Polizeirevier.
    "Wenn sie jemanden beim Grenzübertritt schnappen, rufen sie uns an und sagen: ‚Wir haben so und so viele Leute, bringt uns so und so viel Essen". Wir bringen ihnen: Pommes, Omelette, Eier, Spaghetti – eigentlich alles. Einmal waren es 50 Leute, wir sind immer hin und her gefahren, hin und her."
    Thanassis schickt Nachrichten an seine Freunde, vertreibt sich so die Zeit. Der aktuelle Namensstreit ist für ihn nur nebensächlich.
    Ihn interessiert seine eigene Zukunft. Nach der Schule will er so schnell es geht weg – weiterziehen, auch über die Grenze hinaus, so wie die Geflüchteten.
    "Du musst anfangen, dein Leben selbst zu gestalten. Du kannst nicht ein Leben lang mit deinen Eltern leben und Ihnen auf der Tasche liegen. Ich überlege Elektriker zu werden und ich will eine gute Arbeit finden, um mein eigenes Geld zu verdienen. Wenn das nicht klappt, dann werde ich gezwungenermaßen hier bleiben."