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Idomeni heute
Die Ruhe nach dem Sturm

Nach der Auflösung des Flüchtlingscamps ist in dem griechischen Dorf Idomeni wieder Ruhe eingekehrt. Viele der älteren Bewohner sind froh darüber, einige aber auch traurig. Denn in der kurzen Zeit sind Freundschaften entstanden und einige haben an den Flüchtlingen gut verdient.

Von Rodothea Seralidou | 10.08.2016
    Zwei Flüchtlinge verlassen das ehemalige Flüchtlingscamp Idomeni in Griechenland. Dieses wurde im Mai 2016 geräumt.
    Das Flüchtlingscamp Idomeni wurde im Mai 2016 geräumt (dpa/picture-alliance/Socrates Baltagiannis)
    Idomeni heute - siebzig Einwohner leben hier, die meisten sind ältere Menschen. Weiß gestrichene Häuser mit roten Ziegelsteindächern und gepflegten Vorgärten, umzingelt von Mais- und Sonnenblumenfeldern, dominieren das Bild. Der 80-jährige Christos Kovátzis steht vor einem Gartenzaun und diskutiert mit einer älteren Frau. Sie solle ihm doch bitte auch einen Laib Brot kaufen, wenn der Bäcker vorbeifährt, ruft er ihr zu. Dass Idomeni wieder zum ruhigen Örtchen von einst geworden ist, findet er großartig:
    "Wir schlafen jetzt wieder mit offener Haustür. Sonst mussten wir immer rechts und links schauen, ob jemand da ist. In die Häuser, in denen kein Licht an war, gingen die Flüchtlinge rein. Sie hatten ja Hunger, haben Hühner gestohlen und die Mandeln von den Bäumen gepflückt. Sonst taten sie nichts; wir Dorfbewohner aber hatten Angst. Wir sind ja alles alte Menschen."
    Erleichterung der Dorfbewohner
    Am Rande von Idomeni und wenige Meter vom Güterbahnhof entfernt liegt das Kafenio, das Dorfcafé; bis zu den Gleisen weitete sich einst das wilde Camp von Idomeni aus. Heute erinnern nur noch ein paar zerbrochene Fensterscheiben an die Ausnahmesituation von damals. Daran, dass auch in der Wartehalle der Zuggesellschaft die Menschen Unterschlupf gefunden hatten. Zelte aber gibt es weit und breit keine mehr.Heute sitzt im Kafenio eine Handvoll älterer Männer, sie trinken ihren Ouzo. Noch im Mai wäre das unmöglich gewesen, erinnert sich Giorgos Moutaftzidis, ein Mann in seinen 70ern.
    "Es gab doch keinen Platz hier, es war alles voll. Um einen Ouzo trinken zu können, musste ich in ein anderes Dorf fahren. Klar haben hier einige gut verdient: dieses Café, das Geldwechselbüro gegenüber, der Minimarkt. Sie haben richtig fette Kohle gemacht, aber auf wessen Kosten? Auf meine!"
    Diese Aufregung der älteren Dorfbewohner kann der Inhaber des Kafenio, Vangelis Grozidis, nicht verstehen. Fünf Jahre lang ist der Familienvater zwischen der nächstgelegenen Großstadt Kilkis und Idomeni gependelt. Erst als es mit den Flüchtlingen viel zu tun gab, entschloss er sich, nicht nur hier zu arbeiten, sondern samt Familie ganz ins Dorf zu ziehen.
    "Als die Grenze geschlossen wurde, kamen die Leute anfänglich noch mit 500-Euro-Scheinen in den Laden. Der Umsatz, den wir hatten, war verrückt. Hier war die Hölle los! Eines Tages waren die Pommes alle und bis zur Lieferung haben mein Sohn und ich acht große Säcke Kartoffeln geschält. Können Sie sich das vorstellen? Ich rede von 20-Kilo-Säcken!"
    Gute Einnahmen durch Flüchtlinge
    Dass es irgendwann vorbei sein würde, damit habe er schon gerechnet, gesteht der kleine Mann im blauen T-Shirt. Dass das Camp allerdings so plötzlich geräumt würde, das hatte der Gastronom nicht erwartet. In den Monaten, in denen die Flüchtlinge da waren, habe er aber nicht nur gut verdient. Er habe auch tolle Menschen kennengelernt, sagt Grozidis.
    "Wir haben Freundschaften geschlossen. Meine Nachbarin hatte Monate lang Flüchtlinge bei sich wohnen, auch sie war traurig, als sie gehen mussten. Wenn du die Geschichten dieser Menschen gehört hättest, wärst Du verrückt geworden: Ein Syrer erzählte, dass er tagelang in den Trümmern seines Hauses nach den Überresten seiner Frau und seiner drei Kinder gesucht hat. Andere schilderten uns, wie Kinder vor ihren Augen ermordet wurden. Wie sollten denn diese Menschen unter solchen Umständen in ihrer Heimat bleiben?"
    Nach dieser Erfahrung sei er dankbar, in Frieden leben zu dürfen, sagt Grozidis. Und auch wenn die Flüchtlinge weg sind: Seine Entscheidung, ins Dorf zu ziehen, bedauert der 55-Jährige nicht. Hier sei das Leben eh viel preiswerter als in der Stadt. Und: Zumindest seine alte Kundschaft ist wieder zurückgekehrt.