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Griechenland-Debatte
"Diese Sparauflagen sind nicht realistisch"

Durch die harten Sparauflagen, die Griechenland als Gegenleistung für weitere Finanzhilfen auferlegt würden, könne kein Wirtschaftswachstum entstehen, sagte Fabian Lindner von der Hans-Böckler-Stiftung im DLF. Die rasche Erhöhung der Mehrwertsteuer sei "der absolut falsche Weg".

Fabian Lindner im Gespräch mit Gerd Breker |
    Ein vermummter Mann wirft einen Molotow-Cocktail.
    Proteste gegen die geplante Sparpolitik. Lindner: "Mit dem Grexit würden Sie viel viel Chaos auslösen." (AFP / Andreas Solaro)
    Gerd Breker: Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg, hat die Bundeskanzlerin zur Griechenlandhilfe gesagt. Der unterlegene Kanzlerkandidat der SPD, Per Steinbrück, der heute gegen die Griechenlandhilfe stimmen wird, er begründet sein Nein mit der Umkehrung: Wo kein Wille ist, ist auch kein Weg. Wie er werden auch mehrere Abgeordnete der Union mehr denn je gegen die Verhandlungen über ein drittes Hilfspaket für Griechenland stimmen. In unserem Studio in der Hauptstadt begrüße ich Fabian Lindner, er ist Referatsleiter Allgemeine Wirtschaftspolitik beim IMK der Hans-Böckler-Stiftung. Ich grüße Sie, Herr Lindner!
    Fabian Lindner: Guten Tag, Herr Breker!
    Breker: Ein drittes Hilfspaket gegen Reformauflagen. Herr Lindner, wir fragen uns, ist das die richtige Medizin für Griechenlands Wirtschaft, und das fragen wir auch Sie.
    Lindner: Ich würde sagen, jain, wobei das Nein sozusagen überwiegt. Und da gibt es ja verschiedene Komponenten in diesem Programm. Was auf jeden Fall schädlich sein wird, und das hat man ja auch gerade in der Debatte im Bundestag gehört, sind die massiven Sparauflagen, die Griechenland hier abverlangt werden. Diese Sparauflagen sind erst mal unrealistisch, zum Beispiel die Überschussziele des griechischen Haushaltes sind nicht realistisch, und sie werden jetzt, in einer sowieso schon sehr fragilen Situation, die wirtschaftliche Situation noch mal verschlechtern, Stichwort die Mehrwertsteuererhöhungen, die jetzt am Mittwoch im griechischen Parlament verabschiedet worden sind, werden jetzt schon ab Montag gelten. Es ging ja schon vorhin, auch Herr Straubhaar hatte das in einem Interview vorhin bei Ihnen gesagt, dass das eventuell über Monate sich hinziehen wird. Nein. Sie werden schon ab Montag unmittelbar die griechische Wirtschaft und den griechischen Konsumenten schwächen, und das kommt jetzt sozusagen noch mal dazu zu einer schon seit zwei Wochen währenden Bankenschließung, die dazu geführt hat, dass die Einzelhandelsumsätze eingebrochen sind, und das ist auf jeden Fall der absolut falsche Weg.
    Positiv zu werten sind einige strukturelle Reformen, die übrigens auch von Syriza in den Verhandlungen vorgeschlagen worden sind, jetzt auch mit in diesen Vereinbarungen drin sind, zum Beispiel, dass man die Arbeitsmarktreform zusammen mit der internationalen Arbeitsorganisation machen will und sich da Best Practices, also die besten Praktiken auch von anderen europäischen Ländern abgucken will, und dass es hier nicht nur darum geht, den Arbeitsmarkt absolut zu deregulieren, und auch zum Beispiel, dass man mit der OECD ein Programm machen möchte, um die Produktmärkte zu reformieren. Das sind beides Punkte, die übrigens auch Syriza vorgeschlagen hat und die beide jetzt auch in dem Paket mit drin sind. Aber das eigentliche Problem ist im Moment der Zusammenbruch der Wirtschaft. Und diese Reformen sind nur langfristig wirkende Reformen, die jetzt kurzfristig nicht helfen werden.
    Breker: Herr Lindner, bevor wir ins Detail gehen, lassen Sie uns noch grundsätzlich die Dinge erörtern. Die Bundeskanzlerin betont ja immer wieder die Notwendigkeit, dass Griechenland zur Wettbewerbsfähigkeit zurückfinden muss. Nur, wenn wir ehrlich sind, eine große Exportnation war Griechenland doch noch nie?
    Lindner: Genau. Das ist eines der Probleme auch. Griechenland ist, obwohl es ein relativ kleines Land ist, ein doch sehr geschlossenes Land. Das heißt, selbst, wenn sie ihre Wettbewerbsfähigkeit – und hier können ja nur sozusagen fallende Preise gemeint sein – verbessern, wird es wahrscheinlich – und das hat man ja auch die letzten fünf Jahre gesehen, die Exporte nicht wirklich beleben können. Und selbst wenn die Exporte belebt werden würden, sind sozusagen zu wenig Exporte insgesamt da, um die gesamte Wirtschaft dann beleben zu können. Und was wir gesehen haben in den letzten fünf Jahren, dass die Löhne massiv gekürzt worden sind. Und die Löhne sind eben eine der Hauptkomponenten auch der Kosten. Hier ist also sozusagen die preisliche Wettbewerbsfähigkeit tatsächlich auch stark verbessert worden mit massiven Lohnverringerungen. Da aber Griechenland vor allem von seiner Binnenwirtschaft lebt und weniger eben über den Export, hat das eben, diese Lohnsenkung, mit natürlich noch vielen anderen Maßnahmen dazu geführt, dass in Griechenland in den letzten fünf Jahren die Wirtschaft um ein Viertel zusammengebrochen ist. Und ich möchte nur mal, um zu sagen und auch den Hörern verständlich zu machen, was das bedeutet. Ein Zusammenbrechen der Wirtschaft in dieser Größenordnung, das hatten wir in Deutschland gehabt ab dem Jahr 1929 bis 1933, und das hat eben die politischen Grundlagen dafür gebildet, dass dann 1933 die Nazis an die Macht gekommen sind. Das ist sozusagen die Dimension und auch die Dramatik, auch die politische Dramatik, in der die Griechen jetzt stecken.
    Lindner: "Grexit würde viel, viel Chaos auslösen"
    Breker: Die Rezepte einer Exportnation sind also offenbar nicht die richtigen für Griechenland, Sie haben es angedeutet. Woher kann denn überhaupt, woher soll denn eine Binnennachfrage kommen, wenn nur gespart wird?
    Lindner: Das ist das Geheimnis der Bundesregierung und auch das Geheimnis der Eurogruppe, also der 19 Finanzminister, und auch des IWF. Was man jetzt eigentlich machen müsste, wenn man wirklich daran interessiert wäre, dass Griechenland wieder auf die Beine kommt und übrigens dann tatsächlich auch seine Schulden bedienen kann – wenn ihnen natürlich die Wirtschaft zusammenbricht, dann brechen ihnen auch die Steuereinnahmen weg, und damit können sie natürlich auch Zinsleistungen, Zinsdienst und Tilgungsdienst gar nicht leisten. Das wäre das Erste. Was man jetzt machen müsste, wäre natürlich, von diesen überzogenen Überschussforderungen, ein Primärüberschuss, also Überschuss vor Zinszahlungen von 3,5 Prozent, glaube ich, im Jahr 2018. Wenn man davon weg käme, diese – es muss Überschüsse geben, das ist klar – aber diese Überschüsse nicht so hoch machen würde, diese massiven Mehrwertsteuererhöhungen strecken würde – man muss sie wahrscheinlich irgendwann haben, aber strecken würde, nicht gerade dann einführen, wenn die Wirtschaft am Boden liegt. Und das wären sozusagen Möglichkeiten, wie man zumindest das weitere Zusammenbrechen in Griechenland verhindern könnte. Und da wäre meine Hoffnung, die wahrscheinlich enttäuscht wird, dass das tatsächlich jetzt in den Verhandlungen eventuell in diese Richtung gehen könnte.
    Breker: Wenn man, Herr Lindner, das ganze Politische bei Seite lassen würde und es rein ökonomisch sehen würde, wäre dann nicht vielleicht der Grexit doch die bessere Lösung auch für Griechenland?
    Lindner: Das ist eine sehr schwierige Frage, die auch mich umtreibt. Ich würde sagen, ja und nein. Wir wissen im Prinzip nicht viel, was eigentlich passiert. Wir können sozusagen nur ein bisschen raten. Als Erstes, was mit hoher Wahrscheinlichkeit kommen würde, wäre ein noch viel schlimmerer Zusammenbruch der griechischen Wirtschaft, als wir ihn jetzt schon sehen. Wenn Sie jetzt tatsächlich eine Grexit machen würden, plötzlich die neue Drachme drin hätten in Griechenland, dann würde diese Drachme ja abwerten, sagen wir mal, um 30 Prozent, vielleicht noch mehr. Das heißt aber natürlich auch, dass sozusagen alle Importe plötzlich auch um 30 Prozent steigen würden. Jetzt haben Sie in Griechenland einfach eine völlig verarmte Mittelschicht, arme Leute, die, keine Ahnung, von 900 Euro und weniger leben im Monat. Wenn jetzt für diese Leute die Importe, und dazu gehören Medikamente, dazu gehört Fleisch, dazu gehört Energie, um ein Drittel im Preis steigen würden, dann hätten wir also noch eine massive Verschlechterung der Wirtschaftslage. Das ist das eine. Das andere ist auch noch, die Schulden würden ja weiter in Euro laufen. Und die würden auch dann mit einer 30-prozentigen Abwertung etwa auch plötzlich um 30 Prozent mehr wert werden, und dann würden natürlich überhaupt keine Schulden mehr, übrigens auch nicht mehr an Deutschland, zurückgezahlt werden können. Und aber auch die Schulden, die die Banken haben, in Euro, würden dann nicht mehr einholbar sein. Das würde dann zu einem Zusammenbruch der Banken führen und auch noch mal die jetzt ja schon sehr schwierige Lage der Banken noch mal massiv verschlimmern, sodass wir es wahrscheinlich unmittelbar nach dem Grexit, vielleicht für ein bis zwei Jahre, mit einer massiven humanitären Katastrophe zu tun hätten. Jetzt könnte man natürlich sagen, langfristig werden dadurch eben auch die Exporte billiger, und da könnte man dann vielleicht mehr exportieren, aber da – es ist etwas unklar. Es ist eine langfristige Möglichkeit, aber in der kurzen Frist würden Sie viel, viel, viel Chaos auslösen mit dem Grexit.
    Breker: Im Deutschlandfunk war das die Einschätzung von Fabian Lindner. Er ist Referatsleiter Allgemeine Wirtschaftspolitik der Hans-Böckler-Stiftung. Herr Lindner, ich danke für dieses Gespräch!
    Lindner: Ich danke Ihnen auch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.