"Wir haben hier drei Schiffe. Eines liegt halb offen, halb abgebrannt, komplett verrostet im Meer. Man sieht hier die Ölfilme. Man kann in die Reste des Inneren dieses Tankers reingucken. Alles ist so verkohlt, verkrustet."
Ob Frachter, Kreuzfahrtschiff oder kleinere Boote – hier verrottet alles, was nicht mehr gebraucht wird oder kaputt ist. Im Küstengebiet von Elefsina liegen mehr als 30 dieser Wracks, zum Teil seit Jahrzehnten. Manche nennen die Bucht Schiffsfriedhof. Die Wracks, einige vom Staat beschlagnahmt, bedrohen vor allem die Umwelt. Eigentümer haben sie einst geparkt und dann sich selbst überlassen. Die Behörden wollen die Schiffe beseitigen. Dafür suchen sie die Eigentümer oder versuchen die Wracks zu versteigern. Es geht nur schleppend voran, die Bürokratie steht häufig im Weg.
Dieser Beitrag gehört zur fünfteiligen Reportagereihe Griechenland und die EU – Eine komplizierte Beziehung.
Knapp 30.000 Menschen leben hier in Elefsina, eine halbe Autostunde vom Athener Zentrum entfernt. In der Antike war der Ort wegen seiner Rituale und Kulte von großer Bedeutung. Heute ist Elefsina eine Mischung aus antiker Ausgrabungsstätte und trister Industriestadt. Antike Säulen mischen sich hier mit Fabrikschornsteinen einer alten Zementfabrik und dem Gestank aus der benachbarten Ölraffinerie.
Elfesina wird 2021 Europäische Kulturhauptstadt
Unter dem Titel "Euphoria", Euphorie, wird Elefsina 2021 Kulturhauptstadt Europas. Verlassene Parks sollen aufgewertet werden, es soll Veranstaltungen, Konzerte, Festivals, Theateraufführungen geben in den Gassen. Vor allem soll die lokale Bevölkerung mit einbezogen werden, erklärt Kelly Diapouli einer jungen Studierendengruppe aus Athen, die sie durch die Stadt führt. Diapouli ist die künstlerische Leiterin von "Elefsina 2021".
"Die ganze Nachbarschaft wird eingebunden. Das passiert auf vielen Wegen. Also nicht nur, wenn Einzelne bei einer Aufführung mitmachen. Das ist einfach magisch, wenn etwas neben dir passiert, in deinem Haus, oder in deinem Lebensraum. Wir machen Kunst sichtbar. Wir bringen sie in den Alltag der Menschen und an reale Orte."
Wie das aussehen kann, zeigt der 74-jährige Nikos. Den Bürgersteig vor seinem Haus hat eine Künstlerin verschönert und er sorgt dafür, dass die Kalkmalereien nicht verblassen.
"Es braucht Lust und ein wenig Druck. Ohne Mühe geht es nicht. Aber so schwierig ist das jetzt auch nicht. Ich habe lediglich das alte Bild mit etwas Kalk nachgemalt."
Die Besuchergruppe zieht weiter. "Herr Nikos", wie ihn alle nennen, bleibt in seiner Tür stehen, winkt ihnen hinterher. Er freut sich, junge Menschen zu sehen und dass seine Stadt aufgewertet wird.
"Die Gesellschaft muss mit eingebunden werden. Die Leute müssen an das Projekt glauben und wissen, was hier passiert. Aber die Verantwortlichen müssen noch mehr tun."
Küstenstadt soll in neuem Glanz erstrahlen
Neben der künstlerischen Leiterin Kelly Diapouli ist Nikos Koukmas einer der Verantwortlichen.
"In Elefsina merkt man noch die Krise. Es haben Fabriken dicht gemacht, es gibt eine hohe Arbeitslosenquote und das erschwert uns die Arbeit. Auf der anderen Seite ist es eine große Wette, nämlich wie die Kultur Elefsina helfen kann, wieder lebensfähig zu werden. Es wäre ja schon ein Erfolg, wenn junge Leute hierherkommen würden, um hier zu leben."
Der Titel der Europäischen Kulturhauptstadt geht mit Elefsina zum vierten Mal an eine Stadt in Griechenland. Sie folgt auf Patras, Thessaloniki und Athen. Elefsina soll in neuem Glanz erstrahlen, weg von der schmutzigen, tristen Industriestadt, hin zu einer lebenswerten, hippen Stadt, die sich vor dem großen Nachbarn Athen nicht verstecken braucht. Das Organisationsteam hat viel vor. Und nicht immer klappt alles nach Plan, sagt Kelly Diapouli.
"Es hat gedauert, bis sich das eigens dafür nötige Unternehmen gegründet hat, bis Stellen besetzt wurden. Viel Bürokratie in Kombination mit Verzögerungen, vor allem beim Aufbau der Infrastruktur."
Trotzdem so Diapouli: die Mühe werde sich lohnen. Denn die Arbeiterstadt Elefsina, in die früher viele unterschiedliche Menschen zogen, um in den Fabriken zu arbeiten, zeige aktuelle Herausforderungen auf. Was soll mit einer Region passieren, die ihre beste Zeit wohl schon hinter sich hat?
"Wir machen die Probleme sichtbar, mit denen Europa heutzutage konfrontiert ist. Aber nicht mit der Absicht, Europa zu verurteilen. Eher mit der Absicht, herauszufinden, wie man diese Probleme überwinden kann. Wie können wir eine wirkliche Union gestalten, die den Menschen tatsächlich etwas nützt."
Kleine Schritte für ein großes Projekt
"Wir formen den Übergang" heißt das Motto. Kunstschaffende aus aller Welt treffen auf Bewohner wie Nikos. Das ist für sie Europa, sagt Kelly Diapouli. Fremde Menschen begegnen sich und erschaffen etwas miteinander. Sie will die Menschen für Europa begeistern und deshalb müsse auch viel mehr in Kunst investiert werden, fordert sie.
"Elefsina ist eine Begegnungsstätte. Die Arbeit eines Künstlers kann Unterschiede glätten. Sie kann für einen guten und produktiven Zweck viele sehr unterschiedliche Teile der Gesellschaft zusammenbringen, das passiert auch hier."
Es sind kleine Schritte eines großen Projektes. Nicht nur ein Titel für 2021, sondern für die Zeit danach. Es soll etwas bleiben, nachhaltig sein.
Doch aller Euphorie zum Trotz: Die Schiffwracks von Elefsina sind immer noch da. Vermutlich liegen sie auch 2021, wenn Elefsina Europäische Kulturhauptstadt ist und die Öffentlichkeit hierher blickt, immer noch im Wasser.