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Griechenland
"Für Investitionen bleibt nichts übrig"

Die Gelder aus dem Hilfspaket, über das der Bundestag heute abstimmt, werden in Griechenland nicht für Investitionen eingesetzt, sagte der Linken-Politiker Dietmar Bartsch im DLF. Das Geld werde unter anderem zur Begleichung aktueller Schulden und für die Rekapitalisierung der Banken genutzt. Aus seiner Fraktion werde niemand zustimmen, stellte Bartsch klar.

Dietmar Bartsch im Gespräch mit Dirk Müller | 19.08.2015
    Der Linken-Politiker Dietmar Bartsch in einer Talkshow
    Dietmar Bartsch ist stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Linkspartei im Bundestag (Imago/ Müller-Stauffenberg)
    Das Geld aus dem dritten Hilfspaket, über das heute im Bundestag abgestimmt wird, wird nicht im Land bleiben und dort eingesetzt, sagte Bartsch, der stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Linken im Bundestag ist. "Es wird ein Kurs fortgesetzt, der sich zwei Mal nicht bewährt hat", sagte er im Hinblick auf die zwei vorangegangenen Hilfspakete für Athen. Diese Hilfspakete hätten die Wirtschaftsleistung in einem Maße schrumpfen lassen, "wie es nur im Krieg stattfindet", sagte Bartsch.
    Bartsch fordert Schuldenkonferenz
    Bartsch betonte, dass es Schuldenerleichterungen für Griechenland geben müsse. "Aber das will die Bundesregierung nicht", sagte er weiter. Der Linken-Politiker forderte eine Schuldenkonferenz nicht nur für Griechenland, sondern auch für andere EU-Länder, die in der Vergangenheit Finanzprobleme hatten. Auf die Frage, ob ein Schuldenschnitt die Glaubwürdigkeit des Euros gefährden könnte, sagte Bartsch: "Die Glaubwürdigkeit des Euros wird nicht fallen. Wenn Griechenland aus dem Euro(raum) ausscheiden würde, dann würde die Wirtschaftskraft der Eurozone infrage gestellt."
    Der Bundestag entscheidet heute über die neuen Milliardenhilfen für Griechenland, das dritte Hilfspaket. Nach einer Aussprache ist am Mittag eine namentliche Abstimmung angesetzt. In der CDU/CSU gibt es Vorbehalte. Bei einer Probeabstimmung in der Unionsfraktion am Dienstagabend votierten 56 Abgeordnete mit Nein, weitere vier enthielten sich. SPD und Grüne werden voraussichtlich mit großer Mehrheit das dritte Hilfspaket mittragen. Die Linke hat ihre Ablehnung angekündigt.
    Wir übertragen die Debatte aus dem Deutschen Bundestag ab neun Uhr als Livestream sowie im .
    Das vollständige Interview können Sie hier nachlesen.
    Dirk Müller: Mitgehört hat der Fraktionsvize der Linkspartei, Dietmar Bartsch. Guten Morgen.
    Dietmar Bartsch: Guten Morgen. Ich grüße Sie.
    Müller: Machen wir da weiter, wo wir aufgehört haben mit Herrn Schneider: Schuldenschnitt. Das ist für Sie wie für den IWF eine klare Sache, die umgesetzt werden muss?
    Bartsch: Es ist völlig klar, dass Griechenland die aufgenommenen Schulden so nicht bedienen kann. Deswegen muss es Schuldenerleichterungen geben. Ob das der klassische Schuldenschnitt sein wird, ist mit einem Fragezeichen zu versehen. Das will die deutsche Bundesregierung nicht. Das wäre aber richtig. Wir brauchen insgesamt, nicht nur für Griechenland, sondern für die gesamte Eurozone, eine Klärung der Schulden, auch für Spanien, Portugal und andere Länder. Da sollte es eine Schuldenkonferenz geben. Griechenland wird so die Kredite nicht zurückzahlen können. Wenn es denn Schuldenerleichterungen sind, sprich keine Zinsen, ist das nichts anderes. Die Union drückt sich da nur um einen Begriff herum, aber das ist eine der Voraussetzungen, wäre eine der Voraussetzungen, dass Griechenland wieder auf die Beine kommen kann.
    Müller: Herr Bartsch, gucken wir doch in dem Zusammenhang mal ganz kurz auf die Zahlen. Das was wir gefunden haben, Gesamtschulden Griechenlands: weit über 300 Milliarden Euro. Paket eins: 110 Milliarden. Paket zwei: 130 Milliarden. Jetzt Paket drei: 86 Milliarden, vielleicht sogar noch ein bisschen mehr. Es hat einen Schuldenschnitt auf der privaten Ebene ja schon gegeben. Die Banken, die Gläubiger haben verzichtet auf die Hälfte der Verbindlichkeiten, 107 Milliarden sind bereits gestrichen worden, einfach so geschenkt worden. Auch das hat direkt oder indirekt ja der Kunde, der Steuerzahler irgendwo bezahlt. Soll der Steuerzahler jetzt noch einmal heran und wie oft noch für Athen?
    Bartsch: Wissen Sie, das ist die Kritik, und deswegen wird die übergroße Mehrheit meiner Fraktion auch heute mit Nein stimmen. Es wird einige Enthaltungen geben, zustimmen wird niemand.
    Geld wird nicht im Land bleiben
    Müller: Sie stimmen mit Nein?
    Bartsch: Wir stimmen mit Nein, ich selbst stimme mit Nein, selbstverständlich, weil es wird ein Kurs hier fortgesetzt, der sich zweimal nicht bewährt hat. Wenn wir nicht mal in der Lage sind zu analysieren, was haben denn die beiden ersten sogenannten Hilfspakete gebracht; sie haben im Ergebnis ein Schrumpfen der Wirtschaftsleistung in Griechenland gebracht, was so sonst nur im Krieg stattfindet. Sie haben eine Arbeitslosigkeit von deutlich über 20 Prozent Jugendarbeitslosigkeit bei 52 Prozent gebracht. Der gleiche Kurs, die gleiche Medizin wird weiter verabreicht. Diese 86 Milliarden, die jetzt heute zur Debatte stehen, davon werden 54 zur Bedienung anderer alter Schulden eingesetzt, sprich die vorher aufgenommenen. Das Geld geht nach Griechenland, sieht einmal die Sonne und geht wieder zurück. Der wesentliche weitere Teil wird zur Rekapitalisierung der Banken eingesetzt. Und dann gibt es einen Rest, wo Griechenland, also der Staat, aktuelle Forderungen begleicht. Für das, was notwendig ist, sprich Investitionen im Land, damit wirklich Wachstum und Beschäftigung und Steuereinnahmen zustande kommen können, bleibt nichts.
    Deshalb stimmen wir gegen dieses Paket, nicht weil wir Griechenland aus dem Euro rausdrängen wollen. Das wäre falsch und das wird im Übrigen nie passieren, weil der Euro wird dort, egal was ansonsten ist, immer die Erstwährung bleiben, und das in besonderer Weise für die Eliten. Der Kurs ist falsch, das ist der Kern.
    Müller: Wenn die Glaubwürdigkeit des Euro und der Wert des Euro international immer weiter fällt, aufgrund dieser Krise und aufgrund dieses Patienten, haben Sie auch nichts dagegen?
    Bartsch: Die Glaubwürdigkeit des Euros wird damit nicht fallen. Anders herum: Wenn Griechenland aus dem Euro ausscheiden würde - ich sage noch mal, das ist auch wirtschaftspolitisch nahezu unmöglich -, dann würde die Glaubwürdigkeit des Euros und insgesamt auch die Wirtschaftskraft der Eurozone infrage gestellt werden. Wir müssen doch schauen, warum geschehen diese Fehler.
    Wir brauchen eine Wirtschaftsunion in Deutschland [gemeint war Europa, Anm. der Redaktion]. Das ist die Voraussetzung. Schauen Sie, wenn ich einmal darauf verweisen darf, dass die Wirtschaftsleistung Bayerns und Mecklenburg-Vorpommerns verglichen genauso weit auseinanderliegt wie die zwischen Deutschland und Griechenland, dann muss es doch offensichtlich, weil es in Deutschland funktioniert, auch Möglichkeiten geben, dass es in Europa funktioniert.
    "Es deutet sich ein weiteres Paket an"
    Müller: Wenn die Bayern frei entscheiden können, würden die das dann auch nicht machen.
    Bartsch: Ich glaube, die Bayern würden das auch weiter machen. Da gibt es nur sehr wenige, die das anders sehen, und das ist auch gut so, weil sich diese föderale Struktur ja auch bewährt hat und weil auch das Bundesland Bayern sehr viel von den Erfolgen und von der Landschaft und vielen anderen Mecklenburg-Vorpommerns hat. Das ist im Übrigen in Griechenland ähnlich.
    Aber der Kern ist: Wir haben in Griechenland schon jetzt - lassen Sie uns mal nicht nur über dieses Geld reden; das ist relativ einfach dargestellt - wir haben jetzt eine humanitäre Katastrophe. Wir haben weiterhin einige Eliten in Griechenland, die von der Krise offensichtlich noch nichts mitbekommen haben. Da müssen wir heran. Wir müssen sofort helfen. Wieso kommen denn Millionen Flüchtlinge nach Griechenland? Offensichtlich geht es denen noch schlechter. Bitte lassen Sie uns in diesen Komplex schauen und wirklich sehen, dieser Weg wird falsch sein. Es deutet sich an, dass es dann irgendwann ein weiteres Paket geben wird, und wir müssen die Bundesregierung stellen, auch im nächsten Wahlkampf, dass dieser Weg nicht fortgesetzt wird.
    Müller: Herr Bartsch, ich muss jetzt leider. Die Musik kommt, die Nachrichten warten. Ich danke ganz herzlich. Dietmar Bartsch von der Linkspartei. Auf Wiederhören!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.