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Griechenland-Krise
Ruhe-Insel im Chaos

Weit weg vom Athener Chaos, von der lauten, stressigen Hauptstadt, liegt die kleine Insel Agistri. Die Fahrt mit dem Boot dauert nur eine Stunde, dann tauchen die Besucher ein in die ruhige, entspannte Inselromantik. Doch die Krise und die zugespitzte Lage auf dem Festland sind auch auf der Insel zu spüren.

Von Panajotis Gavrilis | 10.07.2015
    Verkaufshäuschen auf der griechischen Insel Agistri.
    Weg vom Athener Chaos - rein in die kriselnde Idylle der Insel Agistri. (Deutschlandradio.de/Panajotis Gavrilis)
    Am kleinen Hafen plätschern die Fischerboote auf dem türkis-schimmernden Wasser, kaum jemand ist auf den Straßen von Agistri unterwegs, die Insel wirkt idyllisch leer, ruhig. Vassiliki sitzt in ihrem Kassenhäuschen und verkauft Tickets für die "Delfinia" - die schnellen Jetboote, die über die Wasseroberfläche nach Piräus jagen. Ein Schiff ist gerade kaputt, das passt in die Misere dieser Tage, meint sie.
    "Bis vor einer Woche kamen noch Leute. Es ist aber auch logisch, wenn die Menschen kein Geld haben und die Banken zu sind. Für die Zukunft sehe ich schwarz. Aber vielleicht ist das auch gut so."
    Der Sommer ist für die meisten der rund 1.000 Menschen auf Agistri die Haupt-Einkommens-Zeit. Die 30-Jährige arbeitet erst seit drei Monaten hier auf der Insel. In Athen hat die studierte Betriebswirtin keinen Job gefunden. Mehr als zehn Stunden am Tag sitzt sie am Ticketschalter.
    "Mein Job hat nichts mit dem zu tun, was ich studiert habe. Aber was soll ich machen? Ich habe wie alle hier keinen Alltag. Die Insel lebt eigentlich vom Sommer."
    Agistri hat einen einzigen Bankautomaten
    Die Wege auf Agistri sind kurz, die grüne Insel hat nur eine Hauptstraße, 14 Kilometer lang. Direkt neben Vasilikis‘ Kassenhäuschen verleiht Panajotis Logothetis Roller und Fahrräder. Für zwölf Euro am Tag. Tiefpreise in Zeiten des knappen Geldes. Kundschaft? Immerhin: Eine Familie aus England, die zwei Roller mietet - aber sonst nichts.
    "Mit den Nachrichten, mit dem Referendum, seit zwei Wochen ist hier alles tot. Ein paar Touristen haben wir. Meistens aus Skandinavien und Deutschland. Jetzt blicken wir auf Sonntag, damit diese schwierige Situation endlich aufhört, damit wir endlich zur Ruhe kommen."
    Panajotis Logothetis will nicht aus dem Euro, nicht aus der EU raus, sagt er. Neben dem "Bike-Rental" betreibt er auch die einzige Tankstelle der Insel. 1,69 für Benzin, Diesel kostet 1 Euro 34. Zu teuer für viele der Menschen hier, aber notwendig.
    "Wenn wir etwas für unseren Betrieb besorgen müssen, haben wir riesige Probleme. Gerade bei der Tankstelle. Unsere Lieferanten wollen mittlerweile nur noch in bar bezahlt werden. Wir haben hier keine Bank auf der Insel, wir müssen zur Nachbarinsel, aber momentan sind ja alle Banken zu und wir können keine Transaktionen durchführen."
    Einen Bankautomaten gibt es gerade einmal auf Agistri, der in diesen Tagen häufig kein Geld mehr ausspuckt. Und nur einmal im Monat bekommt die Insel Sprit-Nachschub, insgesamt 30.000 Liter. Jetzt reicht es noch für knapp zwei Wochen aus. Und danach? Panajotis Logothetis befürchtet das Schlimmste:
    "Ich beliefere viele Boote, die Wasser-Taxis, die für Notfälle da sind. Oder auch Hotels, die Warmwasser über Zentralheizung betreiben, Restaurants, die Generatoren betreiben. Das alles würde wegfallen und die Touristen könnten keine Roller mehr mieten, nur noch Fahrräder. Das wäre sehr schlimm."
    "Hier wird niemand verhungern"
    Die letzten Wochen hat sich ein weiteres Problem verschärft: die medizinische Versorgung. Normalerweise arbeitet zumindest ein Landarzt hier, eingesetzt vom Staat. Doch der alte Arzt ist weg, auf den Neuen warten die Inselbewohner vergeblich.
    "Das ist überlebenswichtig. Es ist gefährlich, dass es hier keinen Arzt gibt. Wir hatten schon Kinder oder ältere Leute, die dringend einen Arzt brauchten. Wir haben hier keine Absicherung. Die meisten können dann im Notfall auch nicht einfach ins Krankenhaus fahren, die Menschen haben kein Geld."
    Meint Katerina, die Frau von Panajotis Logothetis, die ihm bei der Arbeit hilft. Trotz der angespannten Lage glaubt sie aber nicht an eine Katastrophe. Auf Agistri werden die meisten überleben, egal was kommt.
    "Hier wird niemand verhungern. In Athen gab es zu Besatzungszeiten große Probleme. Hier aber bekamen die Menschen kaum Schwierigkeiten. Sie hatten ihre Hühner, haben gefischt, ihr Brot gebacken, ihre Ziegen gemolken, hatten ihr Olivenöl, ihren Wein. Jetzt auch. Wir sind eine große Familie."
    Anders als im schnellen und stressigen Athen, sind es in Zeiten der Unsicherheit und Ungewissheit vor allem die Ruhe und die klare Seeluft, die den Menschen auf Agistri ein Stück Gelassenheit in diesen Tagen geben.