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Griechenland-Krise
"Tsipras spielt mit dem Feuer"

Grundsätzlich halte er die Ankündigung Alexis Tsipras' einer Volksabstimmung über die griechischen Reformpläne für eine "gute Idee", sagte der FDP-Politiker Michael Theurer im DLF. Doch der Zeitpunkt sei falsch, ein Referendum habe längst kommen müssen.

Michael Theurer im Gespräch mit Sandra Schulz | 27.06.2015
    Michael Theurer, der Landesvorsitzende der baden-württembergischen FDP, spricht am beim Landesparteitag
    Michael Theurer, Europaparlamentarier und Landesvorsitzender der baden-württembergischen FDP (Picture Alliance / DPA / Bernd Weissbrod)
    Der griechische Ministerpräsident Tsipras spiele ein "Spiel mit dem Feuer", so der Europaabgeordnete im Deutschlandfunk. Seine Regierung pokere seit Wochen. Ohne Reformen seien Sparmaßnahmen nicht möglich, ohne Privatisierungen komme die griechische Wirtschaft "nicht auf den Wachstumspfad".
    In Brüssel beraten die Finanzminister der Euro-Länder heute abermals über den Schuldenstreit.
    Sie können das Gespräch bis zum 27. November nachhören.

    Das Interview in voller Länge:
    Sandra Schulz: Vor knapp vier Jahren, im November 2011 war es, da wurde der damalige griechische Regierungschef Papandreou aufs Heftigste zurückgepfiffen. Ohne Absprache hatte er eine Volksabstimmung über die geplante Sparpolitik angekündigt. Und genau das tut jetzt der aktuelle griechische Regierungschef Tsipras, genau drei Tage vor Ende des aktuell laufenden Hilfsprogramms. Christian Buttgereit berichtet:
    ((Einspielung))
    Der griechische Regierungschef Tsipras kündigt jetzt ein Referendum an über die Sparpolitik. Informationen waren das von Christian Buttkereit. Und ist das nun eine Provokation oder einfach eine gute Idee? Die Reaktionen aus Berlin fasst Johannes Kunz zusammen.
    ((Einspielung))
    sagt der CDU-Finanzpolitiker Christian von Stetten zum Ende des Berichts von Johannes Kunz aus unserem Hauptstadtstudio.
    Griechenland will jetzt ein Referendum über die Sparpolitik, und die Nachricht, die kommt jetzt wirklich in der ganz entscheidenden Phase der Verhandlungen darüber, ob und wie eine griechische Staatspleite abgewendet werden kann. Darum die Frage an Mario Dobovisek in Brüssel ...
    ((Mario Dobovisek))
    Einschätzungen live aus Brüssel waren das von Mario Dobovisek. Und mitgehört hat der FDP-Politiker Michael Theurer, Mitglied im Ausschuss Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments. Guten Tag!
    Michael Theurer: Guten Tag, Frau Schulz!
    Schulz: Herr Theurer, es ist ja immer wieder gesagt worden, der Ball liege im griechischen Feld. Haben die Geldgeber ja auch immer wieder gesagt. Dann ist es jetzt richtig und gut, dass Tsipras ein Referendum über die Sparpolitik ankündigt?
    Theurer: Das Referendum ist mit Sicherheit ja in einer Demokratie ein guter Weg. Die Regierung Tsipras spielt allerdings ein Spiel mit dem Feuer. Es ist ja bereits angeklungen, dass das sehr, sehr spät kommt. Das Referendum hätte schon längst kommen können. Insofern irritiert das jetzt die europäischen Gesprächspartner. Klar ist, das griechische Volk, auch das von den Griechen gewählte Parlament ist frei zu sagen, dass sie die Bedingungen nicht akzeptiert, aber auch die Gläubiger sind frei – und da stehen ja auch Parlamente wie der Bundestag dahinter, die zustimmen müssen – zu sagen, unter diesen Voraussetzungen geben wir eben keine zusätzlichen Kredite. Und da sieht man ja auch, wo hier das Problem liegt. Ich glaube, Herr Tsipras hat versäumt, seinem Volk klar zu machen, dass es nur zwei Optionen gibt: die Anpassung Griechenlands an die Wettbewerbsfähigkeit mit Hilfe der Euroländer im Euro oder eben eine Anpassung auch an die Weltwirtschaft, aber dann ohne die Hilfe der Partner, und das wäre für die Menschen in Griechenland der schlimmere Weg. Aber die Lösung, die einige Syriza-Politiker ja den Bürgerinnen und Bürger klar zu machen, dass das ohne Einschnitte, Sparmaßnahmen und Strukturreformen gehen könnte, die gibt es aus meiner Sicht nicht.
    Schulz: Ja, Sie sagen, Tsipras spiele mit dem Feuer, aber ist das Referendum jetzt nicht wirklich die einzige Möglichkeit, sozusagen einen Befreiungsschlag zu schaffen, nachdem die Griechen ja nun in den vergangenen Monaten auch immer das Gefühl hatten, das werde ihnen alles von der EU, von den Geldgebern aufgedrückt. Muss man jetzt nicht wirklich die Griechen fragen?
    Theurer: Das Referendum finde ich eine gute Idee, hätte ich auch damals schon eine gute Idee gefunden. Allerdings ist es jetzt ein Zeitpunkt hinter dem 30. Juni, und das ist ja die entscheidende Frage, was passiert dann? Weil die als Sicherheiten hinterlegten Anleihen, die verfallen, wenn es kein Rettungsprogramm mehr gibt. Und eine Verlängerung des Rettungsprogramms über den 30.6. erfordert zum Beispiel die Zustimmung des Deutschen Bundestags. Also hier spielen, oder was heißt spielen, hier reizen die Verhandlungspartner aus Griechenland die anderen Eurostaaten also schon, weil sie sie zwingen, dann Parlamentsbeschlüsse zu missachten. Das kann man als unfair empfinden. Vielleicht gibt es für fünf Tage doch eine Lösung, und dann stehen die Griechen vor der Frage, wollen sie diese Sparmaßnahmen tragen und dafür dann eben neue Kredite bekommen – damit kann man auch im Euro bleiben. Oder aber geht man in eine ungewisse Zukunft.
    Schulz: Das heißt aber, wenn ich Sie richtig verstehe, ist ja auch lange schon FDP-Position, sie fänden eigentlich den Grexit jetzt einen Schrecken – nein – ein Ende mit Schrecken besser?
    Theurer: Die FDP-Position ist Hilfe gegen Auflagen. Das Hauptproblem in Griechenland sind nicht die Altschulden, die sind auf lange Frist gestreckt, die Zinshilfe reduziert die Belastung für den griechischen Haushalt. Das Problem ist der laufende Haushalt. Selbst, wenn man alle Schulden erlassen würde, hat der griechische Haushalt keinen oder nur einen ganz kleinen Primärüberschuss. Das heißt, man bräuchte sofort wieder Kredite. Und genau das ist ja der Aspekt, der zu kurz kommt. Ohne Strukturreformen, ohne eine Deregulierung der Wirtschaft, ohne Privatisierung, ohne eine Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen kommt die griechische Wirtschaft nicht auf einen Wachstumspfad. Das heißt, den ineffizienten Staatsapparat zu reformieren, das ist unausweichlich. Und genau darauf müsste sich jede griechische Regierung konzentrieren. Sie hat sich leider bisher auf die falsche Frage konzentriert, nämlich auf den Erlass der Altschulden.
    Schulz: Aber diese Sparpolitik, diese Versuche, Strukturreformen zu schaffen, die laufen ja nun schon seit Jahren. Sind diese Versuche nicht gescheitert?
    Theurer: Die Frage ist, warum funktioniert es nicht. Wenn Griechenland, wie uns der Vizepräsident der Kommission, Timmermans, vorrechnet, 17,5 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Renten ausgibt, in der Eurozone der Durchschnitt aber nur bei 13,2 Prozent liegt, dann stellt sich die Frage, warum kann man da nicht rangehen? Warum müssen Slowenen und Slowaken und Letten, die deutlich ärmer sind, praktisch bezahlen für höhere Renten in Griechenland? Oder die zweite Frage, warum hat Griechenland das zweithöchste Rüstungsbudget nach Großbritannien pro Kopf? Kann man da nicht sparen. Wir haben den Eindruck, es wird in Griechenland so getan, als ob die Gläubiger verlangen, das Sozialniveau zu kürzen, und da stellt sich dann sofort die Frage, warum kürzen die Griechen nicht an anderer Stelle, und vor allen Dingen, warum machen sie keine Reform wie Irland, Spanien oder Portugal, die dazu führen, dass Arbeitsmärkte flexibilisiert werden, dass Existenzgründungen erleichtert werden? Wo sind in Griechenland die Sonderwirtschaftszonen zum Beispiel, die dann dafür sorgen, dass sich neue Firmen ansiedeln? Das haben wir alles nicht gesehen, bei dieser Regierung nicht, leider auch bei den Vorgängerregierungen nicht.
    Schulz: Herr Theurer, weil Sie gerade noch mal die Renten ansprechen: Es ist ja jetzt der Status quo, dass 45 oder rund 45 Prozent der griechischen Rentner unter der Armutsgrenze leben. Was ist für die griechische Wirtschaft gewonnen, wenn bei denen jetzt noch gekürzt wird?
    Theurer: Die entscheidende Frage ist, gibt es in Europa eine Mehrheit dafür, dass andere Euroländer praktisch über einen Transfer, über Budgethilfen das Sozialstaatsniveau in Griechenland subventionieren ...
    Schulz: Ja, aber sagen Sie noch: Wie soll die Wirtschaft in Griechenland auf die Beine kommen mit noch weiter gekürzten Renten? Das war ja meine Frage.
    Theurer: Man kann nur ausgeben, was eingenommen wird. Die griechische Wirtschaft hat eine starke Tourismusbranche, die muss man ausbauen. Und dann muss man zusätzliche Firmen ansiedeln. Wenn man sich anschaut, es gibt ja Interessenten etwa an dem Hafen Piräus und auch andere Projekte. Also, die entscheidende Frage ist, tut die Regierung in Griechenland genug, um Unternehmen anzusiedeln und die Wirtschaft anzukurbeln. Es ist ja genau das Gegenteil der Fall, es haben sich ja eher noch Investoren zurückgezogen. Die Leute heben Geld ab, Kapitalflucht, weil die Rahmenbedingungen nicht stimmen und weil die Regierung im Grunde genommen seit Wochen pokert, anstatt dass sie die Aufgaben macht, die notwendig sind.
    Schulz: Michael Theurer, FDP, Mitglied im Ausschuss Wirtschaft und Währung im Europäischen Parlament und hier heute in den Informationen am Mittag im Deutschlandfunk. Herzlichen Dank für das Interview!
    Theurer: Vielen Dank, Frau Schulz!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.