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Griechenland
Reaktionen auf das Türkei-Referendum

Im Vorfeld zum Referendum in der Türkei drangen türkische Kampfjets und Kriegsschiffe in griechisches Hoheitsgebiet in der Ägäis ein. Politische Scharmützel, um von innenpolitischen Problemen abzulenken oder eine reale Bedrohung für Griechenland? Die Regierung in Athen nimmt vorerst eine abwartende Haltung ein.

Von Rodothea Seralidou | 19.04.2017
    Leute an einem Zeitungsstand lesen Zeitungen in Athen.
    Probleme mit der Türkei werde man auch in Zukunft haben, weil die europäischen Länder Erdogan nicht zurechtweisen, befürchten Griechen. (imago stock&people)
    Jiannis Petridis sitzt in einem Straßencafé und diskutiert mit einem Freund über das Referendum in der Türkei. Das Ergebnis der Volksabstimmung habe ihn überrascht, sagt der 65-Jährige, ein Triumph für Erdogan sei es aber nicht:
    "Ich habe nicht damit gerechnet, dass das Ja gewinnt. Das wird bestimmt politische Konsequenzen haben für die Türkei: Vor allem innenpolitisch. Andererseits: Dass Erdogan mit so einem minimalen Vorsprung gewinnt, zeigt ja auch, das Ergebnis ist eine politische Niederlage für ihn. Ich frage mich: Wie lange kann er sich unter diesen Umständen überhaupt an der Macht halten?"
    "Die Demokratie ist etwas, was ungebildete Menschen nicht leicht verstehen können"
    Sein Freund, Stelios Moustakas, nickt. Der 53-Jährige lebt in Dänemark und ist nun über die Osterferien in seiner griechischen Heimat. Dass die Bewohner der türkischen Großstädte eher gegen die Verfassungsänderung gestimmt haben, während vor allem ärmere Provinzen dafür waren, wundert ihn nicht:
    "Religiöser Fanatismus und Nationalismus gewinnen nun mal vor allem die Armen und Ungebildeten. Das ist in Griechenland nicht anders. Die Demokratie ist etwas, was ungebildete Menschen nun mal nicht leicht verstehen können."
    Ein paar Schritte weiter steht Fani Saviolaki an einem Zeitungskiosk und schaut auf die Titelblätter. Darauf die Schlagzeilen: "Der Sultan der Spaltung", "Wahlsieg und politische Niederlage" oder auch "ein Sultan - zwei Türkeien". Fani Saviolaki ist beunruhigt. Die 65-jährige Frau fragt sich, ob Erdogan nach seinem Wahlsieg die Gebietsansprüche gegenüber Griechenland sein lässt oder doch weiter zuspitzt.
    "Die Provokationen der letzten Zeit waren vielleicht nur eine politische Taktik, aber bei jemandem wie Erdogan weiß man nie. Er ist ein Diktator, ein Sultan, was soll ich sagen, das ist alles besorgniserregend! Natürlich mache ich mir Sorgen! Ich glaube, jeder Mensch mit etwas Verstand macht sich im Moment Sorgen!"
    Europa setze der türkischen Regierung keine Grenzen, beklagen viele Griechen
    Sorgen machen sich auch Jannis Petridis und sein Freund Stelios Moustakas. Probleme mit der Türkei werde man auch in Zukunft haben, findet Petridis. Gerade, weil auch die anderen europäischen Länder Erdogan nicht zurechtwiesen:
    "Statt zu sagen, die griechischen Grenzen sind auch europäische Grenzen, also hört auf damit, lassen sie die Türkei gewähren und verkaufen ihr auch noch Waffen. Allen voran Deutschland. Alles ist eine Frage der Interessen. Jetzt ist in der Türkei die Rede von einem neuen Referendum zur Einführung der Todesstrafe. Die Europäer werden Idioten sein, wenn sie auch das tolerieren!"
    Erdogan: Ein zweiter Trump?
    Mit der Todesstrafe wären die Beitrittsverhandlungen zwischen der Türkei und der EU ein für alle Mal vorbei, sagt Stelios Moustakas. Aber vielleicht ist der Versuch, die Todesstrafe einzuführen, nichts weiter als leere Worte, hofft er:
    "Wir haben es auch mit Trump gesehen: Was hatte er nicht alles angekündigt: Dass er die NATO abschaffen will und und und. Und wie wir jetzt sehen, schlägt er doch eine andere Politik ein. Es wäre klug von Erdogan, nun die angespannte Atmosphäre zu entschärfen. Ich glaube, deshalb warten die Europäer auch ab und halten sich mit Reaktionen eher zurück."
    Eine abwartende Haltung zeigt auch die griechische Regierung. Der griechische Vizeverteidigungsminister Dimitris Vitsas sagte heute im griechischen Fernsehen:
    "Das Wichtigste steht uns noch bevor. Wie Erdogan versuchen wird, das Ergebnis der Abstimmung umzusetzen und seine Macht zu etablieren, wird ausschlaggebend sein für das, was kommen wird. Wenn die Türkei sich weiterhin mit Europa anlegen will, wird es für die ganze Region problematisch sein. Wir reagieren mit drei Worten: Ruhe-Entschlossenheit-Bereitschaft. Das Wettrüsten führt zu nichts, das Wichtigste ist die Diplomatie."
    Auch die konservative Nea Dimokratie schlägt sanfte Töne ein. Trotz der kommenden Verfassungsänderung wolle man weiterhin ein gutes Verhältnis der Freundschaft und Zusammenarbeit mit der Türkei, heißt es in einer Pressemitteilung der größten griechischen Oppositionspartei.