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Griechenland
"Tsipras wird mit der EU reden müssen"

Kein weiterer Schuldenschnitt für Griechenland. Nach Bundeskanzlerin Merkel und Finanzminister Schäuble erteilte auch der Vizepräsident des Europaparlaments, Lambsdorff, dieser Forderung aus Athen eine klare Absage. Im Deutschlandfunk meinte er, ein solches Entgegenkommen wäre "zutiefst unfair".

31.01.2015
    Alexander Graf Lambsdorff (Stellvertretender Präsident des Europäischen Parlaments, FDP) in der ARD-Talkshow GÜNTHER JAUCH
    FDP-Europapolitiker Lambsdorff: "Sparpolitik ist immer noch besser als Staatsbankrott" (imago/Müller-Stauffenberg)
    Der Vizepräsident des Europaparlaments, Alexander Graf Lambsdorff, hat den Eklat beim Besuch des Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem als einen zu erwartenden Affront bezeichnet. Dijsselbloem hätte gar nicht nach Griechenland fahren dürfen, sagte der FDP-Politiker im Deutschlandfunk. Zudem wies Lambsdorff ebenso wie Kanzlerin Angela Merkel und Finanzminister Wolfgang Schäuble die griechische Forderung nach einem weiteren Schuldenschnitt zurück: "Das kommt gar nicht infrage. Das wäre zutiefst unfair!" Was solle man anderen Staaten wie Spanien dann sagen, die gänzlich ohne auskommen mussten?
    Lambsdorff hob noch einmal hervor, dass Ende Februar die Unterstützung der internationalen Geldgeber für Athen auslaufe. Griechenlands Ministerpräsident Alexis Tsipras müsse am 12. Februar zum EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs nach Brüssel kommen. Und dann werde es ernst, dann werde es ein neues Arrangement geben müssen. Griechenland könne sich nicht einfach komplett verweigern. "Das ist so, als wenn Sie einen Kredit bei einer Bank aufnehmen würden und dann sagten, Sie redeten nicht mehr mit ihr, wenn es um die Modalitäten der Rückzahlungen geht."
    "Im Zweifelfsall führt kein Weg am Euro-Austritt vorbei"
    Die Regierung in Athen müsse ihre laufenden Kosten etwa für Gehaltszahlungen an Polizisten und andere Staatsbedienstete decken. Das könne das Land nach jetziger Lage nicht allein. Griechenland brauche Geld. Dass sich plötzlich andere Quellen auftäten, sehe er derzeit nicht, betonte der stellvertretende Präsident des EU-Parlaments. Auch dass Russland plötzlich als Geldgeber einspringe, wie diese Woche spekuliert worden sei, könne er sich nicht vorstellen.
    Letztlich sei die Sparpolitik immer noch besser als ein Staatsbankrott, argumentierte Lambsdorff weiter. Denn bei der Sparpolitik fließe immerhin noch Geld, im Fall einer Pleite nicht. Was dann passiert, habe man im Fall Argentinien sehen können. Am Ende schickte Lambsdorff noch mal eine Warnung in Richtung Athen: "Wenn Tsipras mit seinem Wahlprogramm eins zu eins weiter macht, dann führt kein Weg an einem Austritt Griechenlands aus der Eurozone vorbei."

    Das Interview in voller Länge:
    Bettina Klein: Die Bundesregierung winkt bereits ab, einen weiteren Schuldenschnitt für Griechenland wird es nicht geben, so äußerte sich Bundesfinanzminister Schäuble in einer ersten Reaktion auf die Entwicklungen gestern, und auch die Bundeskanzlerin bleibt dabei, weitere Hilfen sind geknüpft an die Reformpolitik, welche Alexis Tsipras allerdings gestern gerade aufgekündigt hat.
    Am Telefon ist Alexander Graf Lambsdorff, FDP, er ist Vizepräsident des Europaparlamentes. Guten Morgen, Herr Lambsdorff!
    Alexander Lambsdorff: Guten Morgen, Frau Klein!
    Klein: Griechenland will nicht mehr mit der Troika kooperieren. Ist es der Affront, nach dem es für viele in der EU offenbar klingt?
    Lambsdorff: Das ist ganz klar ein Affront, es ist aber auch ein Affront, der geboren ist aus einer Mischung, glaube ich, aus politischem Showgeschäft hier auf der einen Seite und einer gewissen Unverfrorenheit auf der anderen Seite, um die Wähler in Griechenland davon zu überzeugen, dass mit Syriza tatsächlich jetzt ein völlig neuer Politikstil eingekehrt ist. Aus unserer Sicht ist ganz klar, das ist so ähnlich, wie wenn Sie einen Kredit bei Ihrer Bank aufnehmen und anschließend der Bank erklären, Sie redeten nicht mehr mit ihr, wenn es darum geht, die Rückzahlungsmodalitäten zu vereinbaren.
    Klein: Wie reagiert die EU jetzt?
    Lambsdorff: Nun, die EU wird auf den 12. Februar warten, da muss Tsipras nach Brüssel kommen zum Gipfel und sich erklären. Denn Ende des Monats laufen die Hilfsprogramme der EU für Griechenland aus, es wird ein neues Arrangement geben müssen. Und es kann ja nicht sein, dass Griechenland sich jedem Dialog verweigert. Insofern, was da gestern passiert ist, war absehbar, ich bin der Meinung, Jeroen Dijsselbloem hätte gar nicht fahren dürfen. Aber was am 12. Februar passiert, das wird dann ernsthaft.
    Klein: Nun haben wir aber auch von Herrn Tsipras bereits gehört, es muss gar keine Verlängerung des jetzt auslaufenden Hilfsprogramms geben, das wird dann eben eingestellt. Und daraus spricht ja, Griechenland kommt auch ohne diese Zahlungen klar?
    Lambsdorff: Na ja, woher er diese Überzeugung nimmt, ist ein absolutes Rätsel. Natürlich hat der griechische Staat Ausgaben, die müssen ihre Beamten bezahlen, die Polizisten, die Soldaten, die Lehrer, die Gefängniswärter, die Richter. Und die laufenden Kosten müssen gedeckt werden, das kann Griechenland nach derzeitiger Lage nicht alleine stemmen. Es sei denn tatsächlich, dass Griechenland neue Finanzquellen auftut, die kann ich allerdings noch nicht sehen. Ich halte auch die Idee, das Russland hier einspringen würde, ehrlich gesagt für eine Fantasievorstellung.
    Klein: Ja. Aber wie viel Entgegenkommen der Europäischen Union ist denn möglicherweise gefragt nun? Also, Martin Schulz, der Präsident des Europaparlamentes, hat schon angeregt, möglicherweise könne man über eine Streckung der Kredittilgung reden um etwa zehn Jahre. Wäre das etwas, was Sie auch befürworten würden?
    Lambsdorff: Man muss sich natürlich fragen, was bringt das eigentlich? Bringt den Griechen ein Schuldenschnitt etwas, bringt den Griechen eine Verlängerung der Zahlungsfristen etwas? Symbolisch, politisch mag eine Verlängerung der Fristen etwas bringen; tatsächlich sind die Griechen ja jetzt schon so aufgestellt, dass sie trotz der ja vordergründig sehr hoch aussehenden Schuldenlast in der Lage sind, die Schulden zu bedienen. Das sind relativ geringe Aufwendungen, die sie jedes Jahr haben für Schulden. Also, insofern, der reale Effekt – das sagt übrigens auch Martin Schulz – ist da eher gering, es ist eher ein politischer Effekt. Und beim Schuldenschnitt gilt ganz klar: Nein, das kommt überhaupt nicht infrage, was sollen wir den Leuten in Spanien, in Portugal denn erklären, die haben ohne Schuldenschnitt hier sehr schwere und auch tiefe Einschnitte hinnehmen müssen und zahlen selbstverständlich ihre Schulden zurück. Das wäre zutiefst unfair.
    Klein: Das heißt, die Europäische Union wird an ihrer Politik nichts ändern, wenn ich Sie richtig verstehe? Auch wenn Gregor Gysi zum Beispiel heute Morgen der Deutschen Presseagentur sagt, das ist ein Zeichen dafür, die Troika-Politik der Europäischen Union ist gescheitert und damit ist auch Angela Merkel hier gescheitert?
    Lambsdorff: Na ja, Leute wie Gysi und auch Leute wie Tsipras erklären ja immer nur, wer gescheitert ist, sie erklären aber überhaupt nicht, wie es weitergehen soll. Und sie erklären auch nicht, wo Herr Tsipras Geld herkriegen soll. Denn eines ist doch klar: Auch ein Herr Tsipras kann kein Geld zaubern. Denn die Finanzen Griechenlands sind der Ursprung dieser Krise, die Zerrüttung der öffentlichen Finanzen, der kaputte Haushalt in Griechenland, die stehen am Ausgangspunkt dieser gesamten Krise. Und wir sind noch lange nicht aus der Krise raus, weil die Haushaltsdaten Griechenlands eine selbsttragende Politik dort ohne Hilfe von außen ja gar nicht ermöglichen. Und von daher kann Herr Gysi das gerne erklären, nur es hat mit der Realität überhaupt nichts zu tun. Deswegen, eines ist klar: Ende Februar läuft das Programm der Europäischen Union bisher aus, es wird keinen Schuldenschnitt geben, Herr Tsipras muss am 12. Februar erklären, wie er denn Alternativen sich vorstellt, anstatt nur zu sagen, was er alles nicht tut. Ich glaube, das ist das Entscheidende.
    Klein: Aber dahinter steht doch auch die Frage, Herr Lambsdorff, wie viele andere Länder sich möglicherweise dieser griechischen Politik jetzt anschließen könnten, also etwa Portugal, Italien, Frankreich werden da genannt. Die Frage ist doch: Wie ansteckend ist dieser Protest gegen die sehr strengen Sparauflagen, die man Ländern gerade Südeuropas gemacht hat?
    Lambsdorff: Nun, ich halte das nicht für sehr wahrscheinlich. Matteo Renzi hat sich ja auch schon sehr skeptisch eingelassen zu dem Wahlsieg von Syriza, der hat kein Interesse daran, die Populisten im eigenen Land stark zu machen, indem Syriza jetzt von Erfolg zu Erfolg eilt, sondern auch ein Matteo Renzi hat ein Interesse daran, dass die Abmachungen, die mit Griechenland geschlossen worden sind, eingehalten werden. Auch Italien steht ja dort im Risiko, circa 40 Milliarden, die weg wären, wenn es einen Schuldenschnitt gäbe. Und nehmen wir die Spanier: Welches Interesse hat die spanische Regierung, dafür zu sorgen, dass Herr Tsipras durch Europa reist, Erfolge verkündigen kann und dann in Spanien selber die dortige populistische Bewegung Podemos stark wird? Also auch hier: Ich halte das im Moment für ein Feuerwerk, das da abgefackelt wird an Ideen, an Vorstellungen, die mit der Realität sehr wenig zu tun haben.
    Klein: Sie haben gerade noch mal die Vokabel Feuerwerk verwendet und vor einigen Minuten auch von Showgeschäft gesprochen. Der gerade schon zitierte Parlamentspräsident Schulz hat sich auch hier bei uns im Programm sehr sicher gezeigt, das seien alles nur Thesen im Wahlkampf gewesen und Herr Tsipras würde eine sehr pragmatische Politik doch angehen wollen. Hat er sich geirrt?
    Lambsdorff: Na ja, also, im Moment sieht es so aus, als ob das Feuerwerk weiter munter abgebrannt wird. Noch wird nicht gesagt, wie man nach vorne gehen will, außer was man nicht tun will. Und das ist natürlich so, dass das in Griechenland in Athen bei den Wählern von Syriza gut ankommt, aber die werden merken, auch die Syriza-Leute, auch Varoufakis, auch Tsipras, dass ihre Bäume nicht in den Himmel wachsen. Denn da muss man doch ganz klar sein: Die Kritik an der Austeritätspolitik, die kann man ja machen; aber dann muss man auch sagen, was sind denn die Alternativen? Die Alternative für Griechenland, ganz klar, ist die Zahlungsunfähigkeit, der Staatsbankrott. Und bei Austerität fließt wenigstens Geld, beim Staatsbankrott fließt überhaupt kein Geld mehr. Das ist dann der vollständige Zusammenbruch, das kennen wir aus Ländern wie Argentinien, das wollen wir in der Euro-Zone ganz sicher nicht haben. Und wenn Tsipras weiter so macht, also wenn er ernst macht mit der Umsetzung seines Wahlprogramms, eins zu eins, dann führt auch kein Weg daran vorbei, dass Griechenland die Euro-Zone verlässt.
    Klein: Und dem sind wir – das wäre meine abschließende Frage – mit dem gestrigen Tag ein Stück näher gekommen?
    Lambsdorff: Das ist zu früh, um das zu sagen. Nur eines ist klar: Ein Austritt Griechenlands aus der Euro-Zone ist nicht mehr das Schreckensszenario, das es 2010 oder 2012 war. Wir haben mit dem Europäischen Stabilisierungsmechanismus, mit einer selbstbewussten Europäischen Zentralbank, mit dem Beginn einer Bankenunion Institutionen geschaffen in Europa, die die Folgen abfedern könnten. Also mit anderen Worten: Auch das Erpressungspotenzial von Herrn Tsipras ist erheblich geringer als das griechische Potenzial noch vor einigen Jahren war.
    Klein: Sagt Alexander Graf Lambsdorff, FDP, Vizepräsident des Europaparlaments zum Streit zwischen Griechenland und der EU-Troika. Danke für das Interview heute Morgen, Herr Lambsdorff!
    Lambsdorff: Danke Ihnen!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.