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Griechenlands Reformpoker
Schleppende Verhandlungen machen EU-Parlamentarier nervös

Die griechische Seite beharre im Schuldenstreit zu sehr auf ihren Positionen - darin sind sich die meisten EU-Parlamentarier einig. Doch während die einen von Athen größere Anstrengungen bei der Bekämpfung von Korruption und Steuervermeidung fordern, stehen bei anderen auch die Gläubiger in der Kritik.

Von Jörg Münchenberg | 09.06.2015
    Im EU-Parlament in Straßburg stimmten 535 Abgeordnete zu, 127 Parlamentarier sprachen sich dagegen aus, 35 enthielten sich. Die Abstimmungen wurden zwischen den beiden Parlamenten live per Video übertragen.
    Die meisten Abgeordneten im EU-Parlament hoffen auf einen baldigen Durchbruch im Reformstreit zwischen Griechenland und den Gläubigern. (picture alliance / dpa / EPA / PATRICK SEEGER)
    Das Europäische Parlament sitzt beim Poker zwischen den Gläubigern und der griechischen Regierung um das Reformprogramm nur am Katzentisch. Und trotzdem sorgt der schleppende Verlauf der Verhandlungen auch in Straßburg zunehmend für Nervosität. Der SPD-Abgeordnete Jakob von Weizäcker:
    "Ich bin mir sicher, dass es auch Elemente der Inszenierung gibt. Es ist ganz klar, Herr Tsipras muss sich auch ums heimische Publikum und um seine Mehrheit im Parlament kümmern. Bundeskanzlerin Merkel muss das übrigens auch. Und jetzt ist die große Frage, ist man dabei so besonnen, dass das im jeweiligen Land nicht eine Eigendynamik entwickelt."
    Die dann vielleicht außer Kontrolle gerät und zu einem ungewollten Austritt Griechenlands aus der Eurozone führen könnte. Tendenziell sind sich aber die meisten Abgeordneten in einem Punkt weitgehend einig - die griechische Seite beharre zu sehr auf ihren Positionen. Das sagt selbst der Grüne Sven Giegold, grundsätzlich ein scharfer Kritiker der Troika-Politik:
    "Die Schonfrist ist vorbei"
    "Also, ich finde schon, dass derzeit die größere Bewegung bei der griechischen Regierung notwendig ist. Denn die Schonfrist ist vorbei. Die üblichen 100 Tage sind durch und bisher hat die griechische Regierung nichts gezeigt, dass sie irgendetwas Substantielles unternimmt, um die griechische Wirtschaft wieder auf die Beine zu bekommen. Und nicht einmal in ihrem Kernbereich der Korruptionsbekämpfung und Bekämpfung der Steuervermeidung ist etwas Substantielles passiert."
    Allerdings hält Giegold auch einige Vorschläge der Gläubiger für wenig zielführend. Eine Anhebung der Mehrwertsteuer, wie in dem Fünf-Seiten-Papier angeführt, würde die angeschlagene griechische Wirtschaft zusätzlich belasten, sagt er. Doch jenseits aller Streitigkeiten um Details geht es manchen Abgeordneten auch ums Grundsätzliche. Herbert Reul, Chef der deutschen Christdemokraten im Europäischen Parlament:
    "Ich habe Sorge, dass Regeln, die verabredet worden sind, leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden. Ich habe Sorge, dass man nachgibt, obwohl sich die Griechen eindeutig nicht an die Regeln halten. Und ich finde, das ist dann nicht nur ein Problem Griechenlands, sondern das ist ein Problem, wie die Zukunft Europas aussieht oder wie Europa funktioniert."
    Der Austritt Griechenlands aus der Eurozone müsse deshalb eine politische Option bleiben, fordert Reul. Eine Position, die allerdings auf der politischen Spitzenebene - angefangen von Kommissionspräsident Jean Claude Juncker bis hin zu Bundeskanzlerin Angela Merkel - so nicht geteilt wird. Fabio De Masi von der Linkspartei verteidigt dagegen als einer der wenigen im EU-Parlament fast bedingungslos die griechische Regierungspolitik und sieht vor allem die Gläubiger in der Pflicht:
    "Wenn man ihnen jetzt permanent zusätzlichen Stress macht - über die Entscheidung der EZB, die griechische Regierung jetzt nicht mehr zu akzeptieren - das sie immer neue Löcher stopfen müssen, dann kommen sie eben nicht dazu zu regieren."
    EU-Abgeordnete hoffen auf baldigen Durchbruch im Reformstreit
    Silvie Goulard, eine französische Liberale, die auch die sozialen Verwerfungen in Griechenland immer wieder öffentlich kritisiert hat, spricht von verpassten Chancen. Regierungschef Tsipras hätte auch gegenüber den Gläubigern viel mehr erreichen und vielleicht auch durchsetzen können:
    "Diese Regierung hätte kommen können zum Beispiel mit einem Programm 'Mehr Steuern für die Reichen' und Hilfen für die armen Familien. Das wäre ausgewogen gewesen. Das hätte eine Debatte eröffnen können. Sie haben das nicht gemacht. Sie haben Geld für den Zweiten Weltkrieg gefordert. Sie haben die anderen beschimpft. Das hat sicherlich nicht geholfen."
    Trotzdem hoffen auch die meisten EU-Abgeordneten auf einen baldigen Durchbruch im Reformstreit. Ob er kommt und vor allem wann, das aber will niemand in Strassburg prognostizieren, auch nicht der SPD-Abgeordnete Jakob von Weizäcker:
    "Ich fürchte, solche Spiele werden solange gespielt, bis das Geld dann wirklich aus ist. Wurde ja immer gesagt, dass ist jetzt die allerletzte Woche und dann ist Griechenland endgültig zahlungsunfähig. Da wage ich keine Prognose. Vielleicht fallen denen noch mal irgendwelche Sachen ein. Aber in den nächsten Wochen werden wir eine Lösung brauchen."