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Griechische EU-Korrespondenten
Zwischen allen Stühlen

Mit ihrem forschen Auftreten hat die neugewählte griechische Regierung viele Partner in der Europäischen Union überrascht. Auch die griechischen Journalisten in Brüssel sehen das Verhalten der Linksregierung kritisch - werben aber gleichzeitig um Verständnis.

Von Jörg Münchenberg | 17.03.2015
    Der griechische Finanzminister Yannis Varoufakis steht hinter einigen Mikrofonen und verzerrt das Gesicht.
    Der griechische Finanzminister Yannis Varoufakis irritiert mit seinem unkonventionellen Auftreten Politiker und Journalisten - auch einige aus seiner Heimat. (picture alliance / dpa / Stephanie Lecocq)
    Auch die meisten griechischen Journalisten in Brüssel hat der forsche außenpolitische Auftritt der neuen Linksregierung überrascht. Die Meinungen sind allerdings geteilt, ob Regierungschef Alexis Tsipras und sein streitbarer Finanzminister Varoufakis damit bei den Europartnern Erfolg haben werden. George Syriopoulos vom staatlichen Rundfunk etwa wirbt für Verständnis - noch gelte die 100-Tage-Frist: "Ich finde, die neue Regierung hat zunächst noch Geduld von uns verdient. Ich weiß nicht, wie lange das dauern kann, weil parallel die Verhandlungen für das neue Programm stattfinden. Aber jeder Tag ist interessant, zu sehen, wie sie ihren Job machen - und klar, es ist ein anderer Weg."
    Der aber mittlerweile quer durch Europa für einiges Befremden gesorgt hat. Die quälend langsamen Fortschritte bei den Verhandlungen über die Bedingungen für die Auszahlungen der letzten Hilfstranchen; die verbalen Pirouetten und zahlreichen Interviews - das alles sei wenig hilfreich, meint die Journalistin Maria Aroni, die für die staatliche Nachrichtenagentur Athens News Agency arbeitet: "Die neue Regierung arbeitet nicht, wie sie arbeiten sollte. Sie muss die Verhandlungen endlich voranbringen. Und durch ihr provokantes Auftreten belasten sie die Gespräche. Das betrifft sehr viele Leute der neuen Regierung. Aber das hilft nicht weiter. Das macht sie Situation viel schwieriger."
    Fast keine Regierungserfahrung
    Kritische Worte also auch von den professionellen Beobachtern der griechischen Politik. Weniger als 20 Journalisten sind bei der Ständigen Vertretung der griechischen Regierung in Brüssel registriert - auch Eleni Varvitsioti von der liberalen Tageszeitung Kathimerini gehört dazu. Auch sie steht der Tsipras-Regierung zwar kritisch gegenüber und kann doch auch vieles erklären. Fast keiner verfüge dort über Regierungserfahrung:
    "Ich glaube, die Unerfahrenheit ist ein großes Problem. Und dann gibt es ein großes Missverständnis: Die Griechen wollten zunächst eine politische Lösung und dann erst die technischen Gespräche. Aber so funktioniert das nicht in Brüssel und das haben sie den Griechen auch erklärt: zuerst die Einigung mit den technischen Teams, also wie steht es um die Haushaltszahlen, um die Finanzlücke, um das Budget – dann erst kann es auf der politischen Ebene Gespräche geben. Das haben sie jetzt endlich verstanden, aber es hat gedauert."
    Ungewohnter Auftritt
    Doch auch die Eurogruppe müsse sich neu aufstellen, fordert Radiojournalist Syriopoulos und sich mit den Forderungen der neuen griechischen Regierung unter Alexis Tsipras wenigstens ernsthaft auseinandersetzen. Letztlich seien allein die Inhalte entscheidend: "Natürlich ist sein Auftritt hier in Brüssel für viele ungewohnt. Man sieht jetzt einen Regierungschef ohne Krawatte, er tritt viel lockerer auf. Aber diese neue Regierung versucht eben auch, die politische Agenda, die politische Rhetorik zu verändern."
    So darf das laufende Hilfsprogramm nicht mehr Hilfsprogramm heißen, aus der in Griechenland so verhassten Troika von Internationalem Währungsfonds, Europäischer Zentralbank und EU-Kommission wurden "die Institutionen". Inhaltlich aber, so die Zeitungskorrespondentin Eleni Varvitsioti habe Tsipras viel zu wenig erreicht:
    "Ich finde, da ist sehr viel Tarnung dabei. Diese Regierung verschwendet viel zu viel Energie in Semantik, wie Dinge bezeichnet werden müssen. Da haben sie unglaublich viel politisches Kapital investiert. Jetzt ist eben nicht die Troika zurück in Athen, sondern es sind die Institutionen. Aber die griechischen Wähler durchschauen das sehr wohl, dass es hier keine Änderungen gibt."
    Innenpolitisch motivierte Attacken
    Auch die verbalen Attacken gegenüber einigen EU-Mitgliedsländern und Finanzminister Wolfgang Schäuble seien vor allem innenpolitisch motiviert. Das gilt auch für die Reparationsforderungen, eine zentrale Position der Linkspartei im zurückliegenden Wahlkampf. Doch bei aller Kritik - auch Varvitsioti bemüht sich hörbar um eine faire Behandlung der neuen Regierung, weist auf die besondere Situation hin, in der Tsipras nun bestehen muss:
    "Es gibt noch Probleme in der Administration. Da sind viele Posten noch nicht besetzt. Wenn diese Regierung nicht sofort mit der Troika verhandeln müsste, wenn es nicht diese akute Finanznot geben würde, wenn das Programm nicht schon Ende Juni auslaufen würde – dann wäre es ganz egal, wie erfahren diese Regierung ist oder nicht. Aber das Problem ist: Es gibt einfach keine Zeit, damit diese Regierung lernen kann, wie das System funktioniert."
    Und das bereite ihr große Sorgen für die anstehenden Verhandlungen, sagt die griechische Journalistin zum Abschied. Dabei sei sie eigentlich ein positiv denkender Mensch.